Austria
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Architekturkritik: Ein Kaufhaus auf dem Land

Zeller Kaufhaus – ein nostalgischer Neonschriftzug macht in der Gemeinde Kleinzell im Mühlviertel auf den neuen Nahversorger aufmerksam. Es ist nicht nur diese sympathisch unaufgeregte Leuchtreklame, die das vom Linzer Architekturbüro Gerald Anton Steiner geplante Kaufhaus von den sonst im ländlichen Raum dominierenden Handelsketten unterscheidet.

Auch die Architektur in Holzbauweise stellt hinsichtlich ihrer gestalterischen Qualität und der auf den Ort wohltuend Rücksicht nehmenden Maßstäblichkeit eine Besonderheit dar. Dies, obwohl der Bau durch seine Materialität und die geschwungene, organisch wirkende Form mit den baulichen Gepflogenheiten in Kleinzell bricht.

Dynamische Holzfassade

Die lebendig bewegte äußere Fassade aus vertikalen, gebäudehohen Holzlatten resultierte aus dem pragmatischen Wunsch, die zur Verfügung stehende Baufläche optimal auszunutzen. Hierdurch gelang es, alle gewünschten Nutzungen ebenerdig unterzubringen, Dachaufbauten waren nicht notwendig. Dies steigert die harmonische Gesamtwirkung des Gebäudes: Die fließende Silhouette des Bauwerks wird an keiner Stelle durchbrochen und kann sich wirksam entfalten.

Auch wenn aktuell im ländlichen Raum mehr und mehr Bauten anzutreffen sind, deren Fassaden mit hölzernen Latten gestaltet werden, geht das Kaufhaus in Kleinzell eigene Wege. Die organisch wirkende Gebäuderundung dynamisiert das vertikale Linienspiel der Holzfassade. Außergewöhnlich ist daneben die dunkelgraue Farbe des Außenbaus, die die übliche Holzanmutung zugunsten einer selbstbewussten Modernität vermeidet.

Ein Kaufhaus auf dem Land
Ein Kaufhaus auf dem Land
Raumhaltige Fassadenstruktur

Bild: Kurt Kuball

Welche konstruktiven Potenziale in einer solchen Fassadengestaltung stecken, wird an zwei Stellen deutlich. Im Eingangsbereich und an der Bushaltestelle auf der Nordseite lösen sich die Latten der äußeren Hülle vom Gebäudekern ab. Es entstehen überdachte "Zwischenräume" für die Einkaufswägen bzw. die wartenden Fahrgäste, ohne dass der Fassadenfluss beeinträchtigt wird.

Ein sozialer Ort

Im Gegensatz zur dunklen Fassung des Außenbaus steht die helle, naturbelassene Verwendung von Holz im Inneren. Es ist erstaunlich, wie kompakt und dabei atmosphärisch überzeugend die unterschiedlichen Nutzungen (Markt, Bäckerei mit Gastronomie, Postfiliale etc.) auf einer Ebene integriert werden konnten. Die hohe gestalterische Qualität dürfte dazu beitragen, dass der neue Nahversorger als Treffpunkt und Kommunikationsort funktioniert. Genau dies wünschte sich die Kleinzeller Bevölkerung in Befragungen, die dem Planungsprozess vorausgegangen waren. Eine besondere Rolle spielt die soziale Ausrichtung des Gesamtprojekts. So sind beispielsweise fünf der neu geschaffenen Arbeitsplätze auf die Bedürfnisse beeinträchtigter Personen ausgerichtet.

Ein Kaufhaus auf dem Land
Ein Kaufhaus auf dem Land
Helle Kaufatmosphäre im Inneren

Bild: Kurt Kuball

Insgesamt bildet das neue Kaufhaus gemeinsam mit dem benachbarten alten Amtshaus bei aller Unterschiedlichkeit eine städtebaulich harmonische Einheit. Die Platzfläche zwischen beiden Gebäuden lässt sich unter anderem für Außengastronomie nutzen.

Entgegen dem Trend

Das Zeller Kaufhaus erinnert mit seiner fast altmodischen Namensgebung, der geschwungenen Gebäudeform und der Leuchtreklame auf sympathische Weise an die ländliche Kaufhauskultur der 1950er- und 1960er-Jahre. Diese war ökonomisch und sozial mit den Orten eng verwoben, wurde jedoch durch Zentren auf der grünen Wiese und den Internethandel weitestgehend verdrängt. Das Zeller Kaufhaus stellt sich diesem Trend bewusst entgegen. Ohne eine anspruchsvolle Architektur, die neben ihrer Funktionalität eine den Menschen entgegenkommende städtebauliche und atmosphärische Qualität realisiert, kann ein solches Unternehmen kaum gelingen. In Kleinzell wurden diesbezüglich von Gerald Anton Steiner bemerkenswerte Maßstäbe gesetzt.

Datenblatt

  • Architektur: Gerald Anton Steiner, Linz
  • Bauherrschaft: Gemeinde Kleinzell im Mühlkreis
  • Wettbewerb: März 2020
  • Planung: November 2019 bis Mai 2021
  • Fertigstellung: Mai 2021
  • Bauweise: Holzbauweise auf Betonfundament
  • Ökologie: sozial, ökologisch und wirtschaftlich nachhaltig konzipiertes Gesamtprojekt in Holzbauweise, Beauftragung regionaler Baufirmen