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Die Zeit ist nahe, aber eben noch nicht erfüllt

Die ultimativ böse Frage der Saison: Schon alle Geschenke für Weihnachten gekauft (gebastelt gar)? In Anlehnung an die Bibel: Die Zeit ist nahe, aber eben noch nicht erfüllt.

Von Geschäft zu Geschäft, Online-Portal zu Online-Portal, mit müdem Blick auf der Suche nach Weihnachtsgeschenken. Die letzten wichtigen Termine vor dem Jahreswechsel einschlichten. Wir kennen die Klagen, kennen die Probleme, Luxusprobleme.

Sich selbst Gutes zu gönnen gerät da leicht in Vergessenheit. Zwei Vorschläge, die beidem gerecht werden können: zu schenken oder sich zu beschenken. Zwei neue Bücher, die um Religion, Kirche, Sinn des Lebens, Spiritualität kreisen, unterschiedlicher aber kaum sein könnten. Es soll ja Personen geben, auch in der katholischen Kirche aktive Amtsträger (Namen werden nicht genannt, da verhält es sich ähnlich wie beim Beichtgeheimnis), die all der vielen Diskussionen über von Rom verbotene Dinge wie das Frauenpriestertum satt sind und deshalb sogar richtig wütend werden können (eine Sünde?). Nicht nur ihnen sei „Dein Herz ist gefragt“ ans Herz gelegt.

Hermann Glettler zitiert in seinem bei Herder verlegten Buch nicht nur den Benediktiner und Beststellerautor David Steindl-Rast, er bewegt sich auch ein wenig in dessen Spur. Jedenfalls gelingt es dem Bischof von Innsbruck im Erzähl-, nicht im Predigtton ohne Peinlichkeiten zwischen Augustinus, Schwester Angela Autsch, dem „Engel von Auschwitz“, seiner eigenen Mutter, Caravaggios „Sieben Werken der Barmherzigkeit“ und Frank Sinatras Grabstein mit der Aufschrift „The best is yet to come“ zu pendeln. Getreu dem Vorhaben eines laut Eigendefinition „Crossover-Buchs“, wie es der Autor verspricht. Versprechen gehalten.

Hermann Glettler will Anstifter zu Glaube, Hoffnung und Liebe „in nervöser Zeit“ sein. Er plädiert für eine neue Innerlichkeit, so unmodern der Begriff auf den ersten Blick sein mag („auf Soulfit, nicht nur Outfit achten“) – ohne aber Eskapismus zu huldigen. Im Gegenteil, ohne Zuwendung zum anderen, ohne den hohen Anspruch einer sozial-ökologischen Weltverantwortung, wie immer die dann genau aussehen soll, sieht er das Herz verkümmern. Der Bischof erlaubt sich, den Prolog des Johannes-Evangeliums zu paraphrasieren: „Im Anfang steht das Hören, nicht das Wort.“ Wie geht erfülltes Leben? Darauf versucht er im Grunde in immer neuen Anläufen Antworten oder wenigstens Antwort-Schnipsel zu geben.

Zu Antworten auf andere Fragen setzt Franz-Xaver Kaufmann an. Der 90-jährige Soziologe arbeitet sich aus Sicht seiner Profession an den Krisen der Kirche ab. Eine Schlüsselpassage von „Katholische Kirchenkritik“, in der Edition Exodus erschienen: „Wir haben uns in unserer Welt so gut eingerichtet, dass wir der Gnade Gottes nicht mehr zu bedürfen glauben. Überhaupt scheint die Kirchenkrise durch eine selten thematisierte Krise des Gottesglaubens mitbedingt.“ Klingt nicht unplausibel.

dietmar.neuwirth@diepresse.co