Austria
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Was passiert, wenn der Handel erstmals streikt?

Sollte es zu keiner Einigung in der fünften Verhandlungsrunde kommen, wurden für Freitag und Samstag landesweite Warnstreiks im Handel angedroht. Doch wie sollen diese in einer derart dezentralen Branche ablaufen?

Nach dem 24-stündigen Warnstreik der Eisenbahner nahmen die Betriebe am Dienstag wieder den Verkehr auf. Doch schon am Freitag und Samstag könnten die nächsten österreichweiten Arbeitsniederlegungen bevorstehen. Sollte es zu keiner Einigung in der fünften KV-Verhandlungsrunde kommen, wurden landesweite Warnstreiks im Handel angedroht. Und das mitten in der Adventzeit. Eine Streikfreigabe hat sich die Gewerkschaft bereits vom ÖGB geholt. Es wäre der erste Streik der österreichischen Händler. Und im Vorfeld der Verhandlungen sieht es nicht nach einer Einigung aus. Wie kam es zu der bevorstehenden Eskalation? Und wie soll ein Streik im dezentralen Handel überhaupt ablaufen?

Der Handels-KV ist der größte Kollektivvertrag in Österreich und betrifft rund 430.000 Angestellte und Lehrlinge im Einzel-, Groß- und Kfz-Handel. In mehr als 300 Unternehmen gebe es Streikbeschlüsse aus dortigen Betriebsversammlungen, so die Gewerkschaft. Darunter befinden sich große Handelsketten - auch aus der Lebensmittelbranche -, Textilketten, Großhändler und Baumärkte. Wo es keinen Betriebsrat gibt, gibt es auch keine entsprechenden Beschlüsse. Also drohen dort auch keine Streiks. Das Recht auf einen Betriebsrat gilt in allen Betrieben, in denen mindestens fünf Arbeitnehmer dauerhaft beschäftigt sind. Das Streikrecht sieht jedoch auch Möglichkeiten für Beschäftigte von Handelsfirmen ohne Betriebsrat vor.

Aber zurück zu den aktuell stockenden KV-Verhandlungen: Die Gewerkschaft fordert ein Gehaltsplus von 8,5 Prozent für alle, zumindest aber 200 Euro brutto mehr. Die Arbeitgeber schlagen eine steuerfreie Prämie vor, die den Beschäftigten großteils noch heuer ausbezahlt werden soll und bieten eine Lohnerhöhung um vier Prozent (laut Gewerkschaft) bzw. fünf Prozent (laut Arbeitgebern). Die Gewerkschaft lehnt Einmalzahlungen ab und will angesichts der hohen Inflation ordentliche Gehaltssprünge sehen. Das Durchschnittsgehalt in der Branche liegt laut GPA bei 2000 Euro brutto. Der Großteil der Menschen, die im Handel zu arbeiten beginnen, verdiene 1800 Euro brutto. 70 Prozent aller Beschäftigten im Handel sind Frauen. Mehr als ein Drittel davon arbeitet Teilzeit.

Für Arbeitgeber-Chefverhandler Rainer Trefelik ist die "Blockadehaltung" der Gewerkschaft unverständlich. Es bedarf also einiger Abstriche auf beiden Verhandlungsseiten, um am Dienstag doch eine Einigung zu verkünden.

Der dezentrale Handel

Doch warum wurde im österreichischen Handel bisher noch nie gestreikt? Ein Grund ist die dezentrale Filialstruktur in Österreichs Handel. Die Bahn ist vergleichsweise einfach zu bestreiken. Mit Ausnahme der privaten Westbahn und einiger Güterverkehrsunternehmen gehören alle 60 Betriebe der Branche der öffentlichen Hand. Auch unter den knapp 670 Betrieben der Metallindustrie (Stand 2021) lässt sich ein Streik einfacher koordinieren. Zum Vergleich: Österreichs Handel zählte laut Statista im Jahr 2020 gut 80.000 Betriebe - darunter zahlreiche Kleinstbetriebe. Ein einheitlicher landesweiter Streik ist daher nur schwer realisierbar.

Auch das fehlende Gemeinschaftsgefühl ist ein Problem: Ruft die Gewerkschaft bei Großunternehmen wie den ÖBB mit 40.000 Beschäftigten zum Streik auf, entwickelt sich eine andere Dynamik als etwa im 15-Mitarbeiter-Handelsbetrieb. Sollten zudem nicht alle Betriebe an einem Strang ziehen, ist fraglich, ob sich kleinere Betriebe oder direkte Konkurrenten streikender Großkonzerne die Umsätze am ersten Adventwochenende entgehen lassen.

Gewerkschaft schlecht organisiert

Hinzu kommt, dass die Gewerkschaft im Handel vergleichsweise schlecht organisiert ist. Nicht einmal zehn Prozent der Beschäftigten sind Mitglied der Gewerkschaft. Ruft die Gewerkschaft also zum Warnstreik auf, ist davon auszugehen, dass große Handelsbetriebe die Ausfälle ohne gröbere Probleme kompensieren können - owohl freilich auch Mitarbeiter, die nicht der Gewerkschaft angehören, streiken dürfen. Dennoch entwickelt der Streikaufruf unter diesen Voraussetzungen eine andere Dynamik.

Auch die zahlreichen inhabergeführten (Kleinst-)Betriebe spielen im Hinblick auf den möglicherweise ersten Streik im österreichischen Handel eine Rolle. Dass sich diese zahlreich am Warnstreik beteiligen, gilt als unwahrscheinlich. Für viele wäre der wirtschaftliche Schaden wohl zu verheerend, sollten sie ihre Geschäfte am ersten Weihnachtswochenende zusperren.

Die möglicherweise bevorstehende Streik-Premiere wirft also noch viele Fragen auf. Die Einschränkungen würden im Vergleich zum jüngsten Bahnstreik aber wohl deutlich weniger gravierend ausfallen.