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Wir wollen lieber keinen neuen Menschen [premium]

Wie kann eine „Politik der Befreiung“ aussehen? Christoph Menke versucht das in seinem neuen Buch zu klären – und kommt nicht weit.

Es gab und gibt in der Menschheit reichlich Verhältnisse der Unterdrückung, individuell wie kollektiv. Von einer Theorie der Befreiung darf ich mir also erwarten, dass ich über die Gesetzmäßigkeiten der Aufsprengung sozialer Unterdrückungsverhältnisse informiert werde. Außerdem wird keine Theorie der Befreiung ohne ein Kapitel über das Misslingen oder die Pervertierung von Befreiungsbewegungen auskommen. Ich schlage Christoph Menkes Buch auf. Immerhin, hier schreibt ein renommierter Professor für Philosophie mit Wirkungsort Frankfurt am Main. Und was schreibt er? Verblüffendes! „Die Theorie der Befreiung ist eine Theorie des Widerspruchs; des Widerspruchs der Befreiung mit sich selbst. Es gibt die Befreiung also nur so, dass sie sich befreit: dass sie sich von sich selbst befreit.“

Die restlichen 700 Seiten sind der Ausfaltung dieses eigenartigen Konzepts – des „Konzepts der radikalen Befreiung“ – gewidmet. Frei zu sein bedeutet demnach, „dabei zu sein“. „Dabeisein aber heißt Außersichsein“, indem das einzelne Subjekt von der Faszination einer Erfahrung gleichsam durchdrungen wird. Menke scheint überzeugt, dass alle Befreiung – auch jene in politischen Kontexten – nicht politisch, nicht massenpsychologisch, sondern primär vom erlebenden Individuum aus zu begreifen sei. Dieses müsse von einer Erfahrung „fasziniert“ sein, um so der Verkapselung des Ichs, dem Nicht-dabei-Sein, zu entkommen. Deshalb Menkes seltsame Volte: „Wir befreien uns nicht selbst, sondern werden – immer schon – befreit, wenn wir etwas erfahren: Die Erfahrung – genauer: die Erfahrung der Faszination – ist der Anfang der Befreiung.“ Dazu wird die Moses-Erzählung aus dem biblischen Buch „Exodus“ bemüht. Demnach ist die Befreiung des Anführers der israelitischen Stämme eine Folge seiner gläubigen Faszination durch JHWH, den Gott des brennenden Dornbuschs. Alle Glaubenserfahrungen stehen in diesem Kontext, solange die Ursprungserfahrung des Heiligen nicht zur ästhetischen Simulation – Kunstreligiosität – verkümmert.