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«Zwetschgenmann» im Dilemma: Rekord-Sommer beschert besonders süsse Früchte

«Zwetschgenmann» im DilemmaRekord-Sommer beschert besonders süsse Früchte

Statt im Herbst sind die Schweizer Zwetschgen jetzt schon reif. Das ist den Bäuerinnen und Bauern jedoch zu früh.

Obstbauer Bruno Eschmann prüft die Qualität der Früchte. Dieses Jahr sind sie besonders aromatisch.

Obstbauer Bruno Eschmann prüft die Qualität der Früchte. Dieses Jahr sind sie besonders aromatisch.

Foto: Silas Zindel

Noch stecken die meisten Kantone gerade erst mitten in den Sommerferien. Für Erfrischung sorgen mitunter Früchte – etwa Wassermelonen oder Beeren. Schon jetzt sind die ersten Herbstfrüchte in Aktion. Zwetschgen bietet die Migros in Zürich seit Dienstag für 5.50 Franken pro Kilogramm an. 

Zwetschgenkuchen gibt es dieses Jahr also schon im Hochsommer. Momentan stammen laut Angaben des Schweizer Obstverbandes alle im Detailhandel oder auf dem Markt erhältlichen Zwetschgen aus der Schweiz – vor allem aus der Nordwestschweiz und dem Mittelland. Und bald wird auch in der Ostschweiz die Zwetschgenernte volle Fahrt aufnehmen.

Bruno Eschmann steckt mitten in den Vorbereitungen, als wir ihn diese Woche auf seinem Bauernbetrieb in Niederbüren SG besuchen. Die Äste seiner rund 1000 Zwetschgenbäume ächzen unter der Last der blauen Früchte. Nächste Woche wird Eschmann, der in der Region wegen eines Zeitungsberichts auch «Zwetschgenmann» genannt wird, seine jetzt noch etwas zu harten Früchte pflücken können.

Dieses Jahr wird in der Schweiz fast alles früh geerntet – insbesondere Zwetschgen. 

Dieses Jahr wird in der Schweiz fast alles früh geerntet – insbesondere Zwetschgen. 

Foto: Silas Zindel

«Das wird eine hervorragende Ernte», freut er sich. Wegen des warmen und sonnigen Sommers dürften die Früchte dieses Jahr aussergewöhnlich aromatisch und süss werden. Beim Spaziergang von Baumreihe zu Baumreihe bleibt Eschmann plötzlich stehen. Er holt ein längliches Gerät aus der Hemdtasche, bricht eine Zwetschge entzwei, reibt das Fruchtfleisch auf der Messoberfläche und sagt: «Diese Zwetschge hat bereits 14 Brix.»

Die Masseinheit Brix gibt den Süssegehalt einer Frucht an. Ein Brix entspricht 1 Gramm Saccharose in 100 Gramm Lösung. Erreicht eine Zwetschge 14 Brix, kommt sie in den Handel, 16 Brix gelten als guter Wert. 

«Nicht erst im September, sondern schon jetzt Anfang August sind die blauen Früchte im Laden.»

Bruno Eschmann, Obstbauer in Niederbüren SG

Über die ganze Schweiz gesehen fällt die Zwetschgenernte 2022 sowohl quantitativ als auch qualitativ sehr gut aus. «Die Zwetschgensorten, die zurzeit gepflückt werden, haben im Schnitt einen Wert von 20 Brix», sagt Beatrice Rüttimann, Sprecherin beim Schweizer Obstverband. Gemäss Schätzung des Obstverbandes werden in der aktuellen Saison rund 3900 Tonnen Zwetschgen geerntet werden. Das sind 30 Prozent mehr als im Schnitt der vergangenen fünf Jahre.

Die Obstbauern haben für einmal wenig Grund zu klagen, im Gegenteil: Kirschen hatten ebenfalls ein sehr gutes Erntejahr. Mit 2200 Tonnen liegt die Schweizer Kirschenernte um 20 Prozent über dem Schnitt der letzten fünf Jahre. Und auch die Beeren konnten besser und in grösseren Mengen gedeihen als auch schon. Rüttimann sagt: «Neben Erdbeeren, Himbeeren, Heidelbeeren und Stachelbeeren waren die Wetterbedingungen im Juni und Juli vor allem für Brombeeren optimal. Sie lieben hohe Temperaturen.»

Zwetschgen lassen sich im Sommer schlechter verkaufen

Nun hoffen Produzenten wie Bruno Eschmann, dass sie die Früchte auch tatsächlich verkaufen können. Denn dass die Schweizer Zwetschgen immer zeitiger reif werden, ist nicht nur Grund zur Freude. «Im Vergleich zur Zeit vor vierzig oder fünfzig Jahren ernten wir die Zwetschgen mittlerweile jeweils rund zwei bis drei Wochen früher», sagt Eschmann. Dabei müsse man bedenken, dass sich seither die Sorten verbessert hätten. Doch dieses Jahr sei es besonders krass: «Nicht erst im September, sondern schon jetzt Anfang August sind die blauen Früchte im Laden.»

Der 49-jährige Obstbauer befürchtet, dass die Konsumentinnen und Konsumenten noch keine Zwetschgen essen wollen, wenn weiterhin Melonen, Nektarinen und Aprikosen zuhauf und günstig im Angebot sind. «Und bald schon kommen die Trauben», sagt der «Zwetschgenmann», während er eine weitere Frucht vom Zweig bricht und ins knackig-gelbe Fruchtfleisch beisst. 

«Die frühe Ernte liegt daran, dass es in gewissen Regionen sehr trocken ist und der Mais nicht mehr wachsen kann.»

Sandra Helfenstein, Sprecherin Schweizer Bauernverband

Viele Zwetschgen auf dem Markt drücken den Preis tendenziell nach unten, jedoch nicht sehr stark. Der Schwankungsbereich des jährlichen Kilopreises liegt nur bei etwa 40 Rappen. Der Produzentenpreis der Zwetschgen wird jährlich vor Erntebeginn ausgehandelt in einer Kommission, der die Produzenten, Händler und die Detailhändler angehören. Wie die anderen Zwetschgenbauern erhält Eschmann derzeit 2.10 Franken pro Kilo. Heisst: Bei einer Produktionsmenge von rund 30 Tonnen im Jahr erzielt er in erfolgreichen Jahren mit dem Zwetschgenverkauf einen Umsatz von rund 60’000 Franken. 

Erste Bauern starten die Maisernte

Derweil wirkt sich der heisse und trockene Sommer auf die gesamte Schweizer Landwirtschaft aus. Die Erdbeersaison im Seeland endete zwei Wochen früher als sonst üblich, wie das «Bieler Tagblatt» berichtete.
«Dieses Jahr wird alles deutlich früher geerntet, weil es das ganze Jahr überdurchschnittlich warm war», sagt Sandra Helfenstein, Sprecherin des Bauernverbandes. So ernten erste Bäuerinnen und Bauern jetzt bereits den Mais – mehrere Wochen früher als in anderen Jahren. Schweizer Mais wird normalerweise Ende September oder im Oktober geerntet.

«Die frühe Ernte liegt zu einem Teil auch daran, dass es in gewissen Regionen – etwa in der Westschweiz oder im Jura – sehr trocken ist und der Mais nicht mehr wachsen kann respektive auszutrocknen beginnt», sagt Helfenstein. Welchen Einfluss das auf die gesamtschweizerischen Erntemengen hat, ist zurzeit nicht abzuschätzen. Stark betroffene Betriebe dürften die Ausfälle aber durchaus merken und müssten allenfalls zusätzliches Futter dazukaufen, so die Bauernsprecherin. 

Netze über den Bäumen sollen Hagelschäden vermeiden.

Netze über den Bäumen sollen Hagelschäden vermeiden.

Foto: Silas Zindel

Aber was machen Obstbauern wie Bruno Eschmann, sollten sie auf dem Zwetschgenberg sitzen bleiben? Eschmann bleibt gelassen. Weil sie besonders gut schmecken, würden die Schweizerinnen und Schweizer dieses Jahr mehr Zwetschen essen als die 1,5 Kilo, die sie in den Vorjahren im Schnitt gegessen haben, hofft er. 

Und sonst lässt der «Zwetschgenmann» seine Früchte so lang am Baum, bis sie überreif sind und im Fass landen. Er ist nämlich nicht nur Meisterbauer, sondern auch preisgekürter Schnapsbrenner.

Edith Hollenstein ist Wirtschaftsredaktorin. Sie schreibt vor allem über Tech-Firmen, Detailhandel/Konsum und die Kreativwirtschaft. Mehr Infos@e_hollenstein

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