Germany
This article was added by the user . TheWorldNews is not responsible for the content of the platform.

Ampel verhakt sich beim Verkehr: Neustart missglückt, Stimmung bestens

Die Ampelkoalition hofft zu Jahresbeginn auf einen kleinen Neustart, doch schon der erste Koalitionssauschuss endet ergebnislos. Beim Streitpunkt Verkehr kommen SPD, Grüne und FDP nicht zusammen. Dass auch keine Lösung absehbar scheint, steht in grellem Kontrast zur guten Stimmung im Bündnis.

Nächtelang tagende Koalitionsausschüsse wollen die Spitzen von SPD, Grünen und FDP auf ein Minimum reduzieren. Für Privatleben und Gesundheit der Teilnehmer und Berichterstattenden ist das durchaus erfreulich, denn das Treffen am Donnerstagabend war mangels absehbarer Einigung nach weniger als vier Stunden beendet. Dann halt kein Ergebnis im seit Monaten schwelenden Streit um Verkehrs- und Klimapolitik, die Koalitionsparteien sind da pragmatisch geworden. Man kennt die Haltungen und inneren Konflikte der jeweils anderen und will sich davon die Stimmung nicht ständig verderben lassen. Zumindest war auffällig, dass die Teilnehmer aller drei Parteien am Freitagmorgen betont gelassen von "konstruktiven" Gesprächen berichteten.

Die Spitzenvertreter von Parteien, Fraktionen und Kabinett nahmen sich, auch das wird übereinstimmend berichtet, eingangs Zeit zur Aussprache. Es war das erste Treffen dieses Gremiums im neuen Jahr. 2022 hatte das Bündnis wiederholt an die Belastungsgrenze und darüber hinaus geführt, als die SPD und ihre Koalitionspartner mit dem russischen Überfall auf die Ukraine, einer Energieversorgungskrise und allgemeiner Inflation sowie der noch nicht beendeten Corona-Pandemie umzugehen hatten, kaum dass sie die Ministerbüros bezogen hatten. Unter diesem Druck waren zahlreiche potenzielle Bruchstellen der Dreierkoalition sichtbar geworden. Nach einer Erholungspause über Neujahr war deshalb die Hoffnung aller Beteiligten groß, nun etwas entspannter weiterarbeiten zu können.

"Deutschland-Geschwindigkeit" beim Verkehrswegebau

Doch insbesondere Grüne und FDP sind eben auch mit dem Ziel ins Jahr gestartet, ihre Profile zu schärfen und in dem ständig Kompromisse abnötigenden Koalitionsgespann mit ihren Positionen sichtbarer zu werden. Es stehen schließlich vier Landtagswahlen an und das vergangene Jahr hat der jeweils eigenen Klientel viel zugemutet. Der Grünen-Bundesvorstand rief in der zweiten Januarwoche das "Jahr des Klimaschutzes" aus, die FDP sagte auf ihrem Dreikönigstreffen Bürokratie und hoher Steuerlast den Kampf an. Die Vorhaben beider Parteien kollidieren beim Thema Beschleunigung des Verkehrswegeausbaus - einem 120-Seiten-Gesetz, dass auch auch in der Verkehrsplanung die "Deutschland-Geschwindigkeit" etablieren soll, die der Kanzler bei den LNG-Terminal umgesetzt sah.

Der liberale Verkehrsminister Volker Wissing will Autobahnneubauten zu mehr Geschwindigkeit verhelfen, indem er die vorgeschriebene Umweltverträglichkeitsprüfung schleift. Das soll mit Zustimmung von SPD und Grünen auch bei Bahnstrecken sowie der Sanierung der vielen maroden Bundesstraßen und Brücken passieren. Neue Autobahnen betrachten die Grünen dagegen mindestens skeptisch. Diese Neubauten sind überwiegend bereits durch den Verkehrswegeplan festgeschrieben.

Wissing will die neue Priorisierungsregel aber auch für noch nicht einmal vereinbarte Autobahnbauten. Die Umweltverträglichkeitsprüfung betrifft nicht nur die berühmte Suche nach einer seltenen Tierart wie Zauneidechse und Mopsfledermaus im zu bebauenden Gebiet. Es geht auch um die Schaffung von Ausgleichsflächen, wenn Biotope für einen Neubau zerstört werden und es geht, das ist für Anwohner wichtig, um Lärmschutzfragen.

"Autofahren bedeutet Freiheit"

Doch solange keine Einigkeit zur Autobahnfrage erzielt wird, hängt das ganze Paket in der Luft. Persönliche Vermittlungsversuche von Bundeskanzler Olaf Scholz, der Wissing und die grüne Umweltministerin Steffi Lemke schon zu drei Vermittlungsgesprächen bei sich hatte, waren ergebnislos geblieben. Der Zwist zwischen beiden geht aber über die Autobahn-Frage hinaus. Lemke will Bio-Sprit wie Super E10 abschaffen. Der senkt auf dem Papier zwar durch Beigabe von organischem Sprit die CO2-Emmissionen im Verkehr, frisst im Gegenzug aber Agrarflächen und Wasser. Zudem steht weiter die Grünen-Forderung nach einem Tempolimit im Raum, nachdem das CO2-Einsparpotenzial eines allgemeinen Tempolimits auf Autobahnen einer neuen Studie zufolge noch größer sein könnte als angenommen.

Wissing muss den Grünen - und nicht nur denen - etwas anbieten. Der BUND fordert per Klage gegen die Bundesregierung ein Sofortprogramm für den Verkehrssektor. Der von Wissing verantwortete Verkehr hängt bei den Klimasparzielen besonders weiter hinterher: Das Bundesverkehrsministerium spricht von notwendigen Einsparungen um 120 Millionen Tonnen CO2 bis 2030, das von den Grünen geführte Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz gar von 170 Millionen Tonnen CO2. Doch auf dem Weg dorthin hält Wissing eine Gängelung von Pkw-Fahrern, um ihnen das Autofahren zu verleiden, nicht für zielführend. Im Gegenteil: Die FDP will für die Autofahrer mehr Straßen, die dann in Zukunft eben von klimaverträglicheren E-Autos befahren werden könnten. "Autofahren bedeutet Freiheit", versicherte Wissing den Lesern der "Bild am Sonntag".

FDP hält an AKW-Frage fest

Und weil Klimaschutz nicht nur Verkehrsthema ist, machen die Liberalen auch erneut die Frage der Energieversorgung auf: "Wenn die Grünen ihre Warnrufe nach mehr Klimaschutz ernst meinen, dann müssen sie sich einer etwas längeren Nutzung der Kernenergie öffnen", zitierte die Nachrichtenagentur dpa aus der FDP-Führung. Dass sich die Grünen wiederum einer um mehrere Jahre verlängerten Kernkraftnutzung öffnen - für weniger würde eine anstehende Periodische Sicherheitsüberprüfung der verbliebenen AKW sowie die Bestellung neuer Brennelemente keinen Sinn ergeben -, ist maximal unwahrscheinlich. Die Grünen wissen in dieser Frage den Kanzler an ihrer Seite, nachdem Scholz im Herbst sein Wort gegeben hatte, das mit den Atomkraftwerken im April wirklich Schluss sein soll.

Der Atomkompromiss von Oktober könnte nun auch die Richtung vorgeben im Verkehrsstreit: Wenn sich die Minister nicht einigen können und der Koalitionsausschuss keinen Durchbruch erzielt, müssen es der Kanzler, sein Vize und dessen Stellvertreter unter sich ausmachen: Scholz, Habeck, Lindner. Ob das aber die Zerschlagung des gordischen Knotens vereinfacht, ist mehr als fraglich: Wissings Autobahn-Plädoyers sind voll auf der Linie des FDP-Vorsitzenden. Das Erreichen der Klimaschutzziele wiederum steht sehr weit oben auf Habecks Agenda. In Berlin kursiert nicht einmal eine Idee, wie ein Kompromiss aussehen könnte. Aber die Stimmung in der Koalition ist, wie gesagt, bestens.