Germany
This article was added by the user . TheWorldNews is not responsible for the content of the platform.

Bankenkrise: Schwelende Verluste bringen Lagarde in die Zwickmühle

Am Finanzmarkt herrscht nach der Credit-Suisse-Rettung trügerische Ruhe: Die Banken sitzen weiter auf Billionen Dollar schwelender Verluste. Das könnte dem Kampf der Notenbanker gegen die Preisexplosion einen Strich durch die Rechnung machen

Um die Angst der Notenbanker vor dem drohenden Crash zu erhaschen, musste man in der vergangenen Woche, als Fed-Chef Jerome Powell nach dem Zinsentscheid vor die Presse trat, wieder einmal genau zuhören. Die Notenbanker blieben weiter „stark fokussiert auf Inflationsrisiken“, hieß es im Fed-Statement, bei der Festlegung weiterer Zinsschritte beobachte man aber ebenso „wirtschaftliche und finanzielle Entwicklungen“. Statt „laufender Erhöhungen“ der Zinsen wie bisher, sei daher womöglich nur noch „ein wenig zusätzliche Straffung der Geldpolitik angemessen“.

Mit diesen kryptischen Äußerungen deutete die Fed-Spitze nichts weniger an, als dass die Zinserhöhung der vergangenen Woche die letzte gewesen sein könnte. Und dass mit der schnellsten Zinswende seit Jahrzehnten womöglich schon bald wieder Schluss ist.

Denn die US-Notenbank und die EZB stecken in einem Dilemma: Sie kämpfen nicht nur gegen die galoppierende Inflation, die Wladimir Putin mit seinem Einmarsch in der Ukraine ausgelöst hat. Sondern gegen eine Bankenkrise, die sie mit steigenden Zinsen selbst verursacht haben. Dieser Zielkonflikt könnte die Preisexplosion, die sie eigentlich stoppen wollen, weiter anheizen. Denn die Geister, die die Währungshüter am Finanzmarkt gerufen haben, werden sie so schnell nicht wieder los.

Weitere Banken könnten ausbluten

Die Pleite der Silicon Valley Bank (SVB) und die anschließende Rettung der Credit Suisse (CS) sind dabei nur die Spitze des Eisbergs. Beide Banken gingen unter, weil sie durch die von den Notenbanken verursachte Zinsexplosion ausbluteten: Sparer zogen ihre Einlagen ab und steckten sie in besser verzinste Papiere anderswo. Um ihre Kunden auszuzahlen, mussten SVB und CS Wertpapiere, in denen ihr Geld steckte, mit großen Abschlägen plötzlich notverkaufen – und gingen an den Verlusten in die Knie. So war es historisch gesehen schon oft: die Märkte ächzen, wenn die Zinsen zu schnell steigen, weil viele Investoren ihre Verpflichtungen nicht mehr stemmen können.

Ursache des neuen Bankenbebens sind also nicht faule Wertpapiere. Sondern die unheilvolle Dynamik eines klassischen Bankensturms: Wenn zu viele Sparer flüchten, kann die Bank sie nicht alle gleichzeitig bedienen und ist pleite. Und der Funke, der die Lunte diesmal zum Brennen gebracht hat, ist die Zinsexplosion, die Fed und EZB seit Sommer vergangenen Jahres zur Bekämpfung der Inflation eingeleitet haben.

Ein Mann legt beim Edelmetallhändler Pro Aurum zwei Goldbarren in ein Schließfach

Die aktuelle Bankenkrise lässt den Goldpreis an der 2000 US-Dollar Marke kratzen. Gold-Fans fühlen sich bestätigt: Das gelbschimmernde Edelmetall halte, was es verspreche – Sicherheit. Doch so einfach ist es nicht

Denn die hat massiv in den Bankbilanzen eingeschlagen: Wegen der jahrelangen Nullzinspolitik und Einlagenschwemme in der Corona-Krise haben die Institute einen Großteil ihres Geldes auf viele Jahre in aus heutiger Sicht zu niedrig verzinsten Wertpapieren – Staatsanleihen, Pfandbriefen, Hypotheken – geparkt. Nun, wo die Zinsen steigen, sind diese Altpapiere plötzlich viel weniger wert, weil man am Markt für neue Anlagen gleicher Machart auf einmal deutlich höhere Zinsen bekommt. In den Büchern stehen sie aber immer noch zum nominalen Anschaffungswert. Erst wenn sie die Papiere in einer Notlage plötzlich zum Marktwert flüssig machen müssen, treten die Verluste zu Tage - und können die gesamte Bank umhauen.

Geisterkapital hält Geldhäuser am Leben

Das Problem ist längst nicht gelöst. Forscher der New York University haben kürzlich errechnet, dass die US-Banken wegen der Zinswende auf bislang unrealisierten Verlusten von 1,7 Billionen Dollar sitzen – fast soviel wie das gesamte Eigenkapital von 2,1 Billionen Dollar im US-Bankensystem. Die Banken seien „mit fiktivem Kapital überflutet“, sagt der US-Ökonom Michael Hudson. Er glaubt deshalb, dass das jetzige Bankenbeben schlimmer wird als 2008.

Denn wenn die damalige Finanzkrise ein Flächenbrand war, ist das heutige Bankenbeben eher eine Art unterirdischer Schwelbrand, viel hartnäckiger und schwieriger zu löschen. Das gigantische Verlustpotential durch die Zinswende lässt sich nicht einfach mit einem Rettungsfonds herausoperieren wie das Kreditgeschwür vom Hypothekenmarkt, an dem die Geldhäuser im großen Crash von 2008 beinahe zugrunde gingen. Es ist zu groß und steckt zu tief drin.

Um Panikverkäufe der Altpapiere zu verhindern, hat die Fed nach der Krise um SVB und Credit Suisse bereits ein neues Hilfsprogramm gestartet: Die Banken hinterlegen ihre Altbestände als Sicherheiten und bekommen im Gegenzug günstige Kredite von der Notenbank. Dabei dürfen sie die Papiere zum Buchwert ansetzen, zu dem sie sie einst gekauft haben – und nicht zum niedrigeren Marktwert wie bei den regulären Refinanzierungsoperationen, mit denen die Fed den Leitzins steuert. Zudem haben die Kredite einen festen Zinssatz und eine Laufzeit von bis zu einem Jahr, und nicht nur höchstens 90 Tagen und variable Zinsen wie bei den regulären Offenmarktgeschäften zur Liquiditätsversorgung der Banken.

UBS und Credit Suisse haben ihren Hauptsitz jeweils in Zürich

Die Übernahme der Credit Suisse sei für die UBS kein schlauer Deal, sagt Bankenexperte Volker Brühl. Deutsche Kreditinstitute würden zwar von der Situation profitieren, doch Privatanleger sollten in den nächsten Wochen vorsichtig sein

Eine Frage des Vertrauens

Auch die europäischen Banken haben tendenziell das gleiche Problem. Nur gibt es hier kein vergleichbares Programm. Die EZB hat die drohenden Wertverluste zwar auf dem Schirm, hinkt bei der Problemlösung aber noch hinterher. Beim Zinsentscheid Mitte März beschränkten sich die Notenbanker noch darauf, Beruhigungspillen zu verteilen: „Der Bankensektor des Euroraums ist widerstandsfähig: Kapital- und Liquiditätspositionen sind solide“, sagte EZB-Chefin Christine Lagarde. Und räumte gleich darauf ein, dass es auch schnell anders kommen könnte: Die EZB verfüge „über alle geldpolitischen Instrumente, um das Finanzsystem des Euroraums erforderlichenfalls mit Liquiditätshilfen zu unterstützen“.

Das würde Lagardes eigentlichen Kampf gegen die Inflation konterkarieren. Daher deutete die oberste Euro-Hüterin ebenfalls an: Die Annahmen für die jüngste Zinserhöhung seien vor den Finanzmarktturbulenzen getroffen worden. „Diese Spannungen schaffen zusätzliche Unsicherheit in Bezug auf die Bewertung von Inflation und Wachstum in den Basisprojektionen“. Soll heißen: Welchen Spielraum für weitere Zinserhöhungen gegen die Preisexplosion Lagarde hat, hängt also davon ab, wie sehr die Sparer den Anlageentscheidungen ihrer Banken trauen – und ob sie ihr Geld weiter auf dem Konto oder die Banken beben lassen.

Einen Lichtblick gibt es für die Notenbanker: Die Bankenkrise, die sie ausgelöst haben, wirkt selbst als Inflationsdämpfer. Wegen der schwelenden Vertrauenskrise vergeben die Institute weniger Kredite, senken so Nachfrage und Preise und nehmen den Notenbanken quasi einen Teil ihrer Arbeit ab. Wie groß dieser Effekt ist, sei momentan aber „über den Daumen gepeiltes Schätzwerk“, sagt Fed-Chef Powell.

Dieser Text ist zuerst auf ntv.de erschienen.

#Themen