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Büro-Lärm nach Corona: Privatsphäre am Arbeitsplatz: Die Sehnsucht nach einem Ort der Ruhe

Nach der Pandemie fällt es vielen Angestellten schwer, sich im Büro zu konzentrieren. Arbeitgeber und Co-Working-Firmen wie We Work gestalten deshalb ihre Räume um. Doch manch einer fühlt sich in kleine Zellen abgeschoben

Die Mitarbeiter der Chicagoer Anwaltskanzlei Levenfeld Pearlstein bereiten sich auf einen Büroumzug im Januar vor. Es geht von der Mitte des Geschäftsviertels der Stadt ans Flussufer. Sie entsorgen den Müll auf ihren Schreibtischen und packen ihre persönlichen Sachen zusammen. Der neue Standort ist nicht nur kleiner (von 53.000 Quadratmetern auf etwa 37.500), sondern es gibt auch weniger Einzelbüros.

Chief Operations Officer Kevin Corrigan erwartet, dass dieser Schritt zu Unmut führen wird. „Einige Leute werden denken: ,Ich habe hart für mein Büro gearbeitet, ich bin aufgestiegen. Jetzt wollen sie das Büro verkleinern. Vielleicht habe ich gar keins.' Das wird eine Umstellung für die Menschen sein.“

Es ist nicht nur eine Frage des Egos. Das Unternehmen möchte seine Mitarbeiter dazu ermutigen, in Teilzeit ins Büro zurückzukehren, da es wie viele andere Arbeitgeber auf hybride Arbeitsformen setzt, sprich auf eine Mischung aus Heimarbeit und Büroarbeit. In der Regel sollte die Zeit zu Hause für konzentriertes Arbeiten genutzt werden, während der Büroarbeitsplatz für Teamarbeit, Meetings und soziale Kontakte vorgesehen ist.

Rückzugsorte im Büro

Die Werbeagentur McCann zum Beispiel hat neue Büros in der Londoner City eröffnet und sieht darin einen Ort der „Kreativität, Zusammenarbeit und Vernetzung“ mit sogenannten Hack-Rooms, Pitch-Rooms und Creative Zones, so Büroleiterin Lucy d'Eyncourt-Harvey. Es gebe aber auch Ruhezonen in dem neuen Arbeitsumfeld, sagt sie.

Es ist nicht immer einfach, den Arbeitstag so aufzuteilen, dass man sich einerseits auf seine Arbeit konzentrieren und andererseits mit anderen zusammenarbeiten kann, weshalb im Büro auch Räume benötigt werden, die eine gewisse Privatsphäre und Ruhe bieten. In jedem Fall ist das Büro für manche ein Zufluchtsort vor den Ablenkungen zu Hause – für Mitarbeiter mit kleinen Kindern oder älteren Familienmitgliedern oder für diejenigen, die in Wohngemeinschaften und in beengten Verhältnissen leben. Kristin Cerutti, leitende Designerin bei Nelson Worldwide, sagt: „Man kann das nicht verallgemeinern. Viele Menschen brauchen das Büro für konzentriertes Arbeiten.“

Laut Corrigan wird Levenfeld Pearlstein weiterhin Büroräume zur Verfügung stellen, damit Mitarbeiter – Assistenzen wie Anwältinnen und Anwälte – zwischen Meetings, Schulungen und Beratungsgesprächen sich zurückziehen können. Das soll der besseren Konzentration. Allerdings werde es sich dabei nicht mehr um persönliche Einzelbüros handeln.

Peter Raue

Als Rechtsanwalt hat Peter Raue viele prominente Schauspieler und Künstler vertreten. Der 81-Jährige ist ein leidenschaftlicher Kunstmäzen und -sammler. Im Interview spricht er über sein „krankhaftes Verhältnis zu Geld“

Lärmempfindliche Mitarbeitende

Nach zwei Jahren mit Schließungen und Fernarbeit fällt es vielen Angestellten schwerer, sich in Großraumbüros zu konzentrieren. Jeremy Myerson, emeritierter Professor am Royal College of Art und Mitautor von „Unworking: The reinvention of the modern office“, sagt: „Wenn man zwei Jahre lang allein gearbeitet hat, wird man sehr lärmempfindlich. Von den Personalabteilungen hören wir, dass die Menschen überempfindlich auf ihre Umgebung reagieren.“ Das könnte auch daran liegen, dass viele Menschen Zoom-Telefonate eher an ihrem Schreibtisch führen als in einen abgeschotteten Raum zu gehen, von dem aus sie nicht zu hören sind.

Der Akustik im neuen Büro sei viel Aufmerksamkeit geschenkt worden, sagt Corrigan. Allerdings müssen einige Mitarbeiter dazu angehalten werden, ihre Bürotüren zu schließen und Headsets zu benutzen, anstatt Telefonkonferenzen über Lautsprecher abzuhalten. „Wir können die Infrastruktur schaffen, aber die Menschen müssen auch ermutigt werden, sie zu nutzen.“

Die Akustik ist eine der größten Herausforderungen, sagt der Präsident des British Council for Offices Mark Kowal. „Rosa Rauschen“ ist eine immer beliebtere Option, um den Hintergrundlärm zu überdecken – er verwendet es sogar an seinem eigenen Arbeitsplatz, einem Architekturbüro. Kowal beschreibt es als „künstliches Durcheinander von Frequenzen, das einschränkt, was man hören kann [und] es passt sich an die Anzahl der Personen im Raum an“. Dies ist nicht nur eine Frage der Sensibilität nach der Pandemie. Schon vor den Lockdowns waren Arbeitnehmer in Großraumbüros mit beengten Platzverhältnissen konfrontiert. Nach Angaben des British Council for Offices gab es 2001 in britischen Büros etwa einen Schreibtisch pro 15 Quadratmeter, 2018 waren es 9,6 Quadratmeter.

WeWork schafft Ruhezonen

Als Reaktion auf die Zoom-Anforderungen und die Pandemie-Sensibilität schaffen einige Innendesigner und Arbeitgeber Ruhezonen, abseits des Trubels in den Großraumbüros. Bei der Co-Working-Gruppe We Work  will Designchefin Ebbie Wisecarver zwei Arten von Ruhezonen einrichten. Pop-in-Bereiche werden für vorübergehende Mitglieder zur Verfügung stehen, die nur für einen Tag oder eine Stunde kommen. Für die Firmenmitglieder wird es private Annehmlichkeiten geben: spezielle Räume mit Innenbüros, Besprechungsräumen, Lounges und Küchen. „Co-Working wird traditionell vielleicht nicht mit Privatsphäre gleichgesetzt, aber da immer mehr Unternehmen ihre Immobilien überdenken – vor allem in Branchen wie Recht, Gesundheitswesen, Finanzwesen oder Datendienste, die in der Regel formellere, private Räumlichkeiten benötigen – sehen wir einen wachsenden Bedarf", sagt Wisecarver.

Allerdings handelt es sich dabei nicht um die Renaissance der Kabine, die in den 1960er-Jahren von Robert Propst von der Designfirma Herman Miller entworfen wurde. Gedacht als flexibler, individueller Arbeitsplatz, der den Mitarbeitern Privatsphäre bietet und sich von den Reihen schwerer Schreibtische abhebt, wurde sie bald zum Symbol entfremdeter Angestellter, schreibt Nikil Saval in seinem Buch „Cubed: Die geheime Geschichte des Arbeitsplatzes“.

Der Schriftsteller Douglas Coupland beschrieb die Cubicles in Generation X (1991) als „Kalbsmaststall“: kleine, beengte Büroarbeitsplätze, die aus stoffbespannten, zerlegbaren Trennwänden bestehen und von Nachwuchskräften bewohnt werden. Benannt nach den kleinen Vorschlachtkabinen in der Rinderindustrie. Propst selbst war von der Art und Weise, wie die Kabine interpretiert wurde, desillusioniert: „Nicht alle Organisationen sind intelligent und fortschrittlich“, soll er im Jahr 2000 gesagt haben. „Viele werden von krassen Leuten geführt. Sie bauen kleine, winzige Kabinen und stopfen Menschen hinein. Öde, rattenlochartige Orte.“

So machen es Microsoft, Cisco und Co.

Das bedeutet, dass es immer mehr Telefonräume, Huddle Spaces oder Privatbüros gibt, die entweder gemeinsam genutzt zumindest aber keiner einzelnen Person zugewiesen werden. Der Technologiekonzern Microsoft hat vor kurzem einen neuen Prototyp für den Flowspace Pod entwickelt, einen kokonartigen, mit Stoff ausgekleideten Pod, der für konzentriertes Arbeiten konzipiert ist.

Sarah Pagung

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Aus Calls wird der Lärm gefiltert

Beim Technologiekonzern Cisco, der die Büros der Post-Pandemie-Ära als „Zentren für die Zusammenarbeit von Talenten“ bezeichnet, sehen die Planer vor, dass die Mitarbeiter im Laufe des Tages verschiedene Bereiche für ihre Arbeit nutzen, darunter Huddles (Räume für drei Personen) oder ruhige Räume (für ein bis zwei Personen). Bob Cicero, der bei Cisco für intelligente Gebäude zuständig ist, sagt: „Als wir den Raum [während der Pandemie] umgebaut haben, waren wir sehr auf die Akustik bedacht.“ Dazu gehörten Wände, die vom Boden bis zur Decke reichen, und abgedichtete Türrahmen, die ein Austreten des Schalls verhindern. „Wir messen die Umgebungsgeräusche überall“. Dazu gehört auch das Herausfiltern „des weinenden Babys, des bellenden Hundes, des Laubbläsers zu Hause: Wir filtern diese Geräusche für die Teilnehmer aus der Ferne heraus, damit wir ein produktives Meeting abhalten können“.

Janet Pogue McLaurin, Global Director of Workplace Research Practices beim Designunternehmen Gensler, sieht eine steigende Nachfrage nach Arbeitsplatzbibliotheken, „ruhige, technikfreie Zonen, wie der Ruhewagen im Zug“. In dieser Zone darf nicht gesprochen werden oder es darf keine Technik vorhanden sein. In einer Bibliothek ist die Beleuchtung gedämpft. Die Mitarbeiter sollen von einem Meeting zu konzentrierter Arbeit wechseln können.

Doch wie so vieles am Arbeitsplatz brauchen auch diese Räume die Zustimmung der Führungsebene. Anne-Laure Fayard, Professorin für soziale Innovation an der Nova School of Business and Economics, berichtet von einem Unternehmen, das seinen Bibliotheksraum zwar sehr gut ausstattete, sich aber nicht erklären konnte, warum die Mitarbeiter ihn nicht nutzten. „Wir haben mit den Leuten gesprochen und nachgefragt: Sie sagten: Wir sind ein innovatives Unternehmen, wir müssen mitten im Geschehen sein, wo die Energie ist. Es sieht nicht gut aus, wenn wir zu oft dort sind'.“ Es stellte sich heraus, dass auch die Führungskräfte den Raum nie nutzten.

Fayard ist der Meinung, dass es bei der Gestaltung an Fantasie mangelt. Nach einem Meeting vor kurzem war sie deprimiert, als sie von Plänen hörte, Telefonzellen zum Schutz der Privatsphäre aufzustellen. „Stellen Sie sich vor, das Büro der Zukunft besteht aus Sofas und Telefonzellen. Wow, das ist nicht das, was wir uns als kreativ vorgestellt haben.“

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