Trainer-Ikone Svetislav Pesic kennt man in Deutschland allzu gut. Nicht nur von seiner Zeit bei Alba Berlin und dem FC Bayern, sondern auch als Architekt des sensationellen EM-Golds von 1993. Für den DBB geht es jetzt gegen "Sveti" und seine Serben um den WM-Titel.
Svetislav Pesic läuft an der Seitenlinie des Parketts sachter auf und ab als früher. Eine schwere Knieverletzung zu aktiven Zeiten ist nicht spurlos am Kult-Coach vorübergegangen. Dass er aber immer noch genauso brennt für seinen Job und auch im Alter von 74 Jahren nicht genug hat, versteht sich für den serbischen Nationaltrainer von selbst. Das Feuer, die Liebe zu seinem Sport und die unbändige Loyalität seinen Teams gegenüber, all das erlischt nie für den Basketball-Fanatiker, dessen Handschrift auch hierzulande überall erkennbar ist - lange, nachdem er mit dem Deutschen Basketball-Bund (DBB), Alba Berlin und den Bayern Basketballern Erfolge feiern konnte und damit den Grundstein legte für die Entwicklung dieses Sports und die deutschen Heldentaten von heute. In seiner Biografie "My Game, My Way" sprach Pesic gar von "richtungsweisenden Momenten meines Lebens", wenn er an Hagen, Berlin und München zurückdenkt.
21 Jahre nach seinem größten Coup als Nationalmannschaftstrainer Jugoslawiens, mit der er 2002 in Indianapolis Erster wurde, und 30 Jahre nach seinem anderen sensationellen Triumph als Europameistertrainer Deutschlands 1993, steht Pesic erneut in einem internationalen Finale. Und greift dort nach der zweiten WM-Goldmedaille mit seinem Heimatland. Er wäre damit nicht nur der mit Abstand älteste Champion unter den Head Coaches (Mike Krzyzewski, 67 Jahre, USA), sondern auch einer von nur vier jemals, die sich zweimal die WM-Krone aufsetzen konnten. Sein Einfluss und Nachwirken, über Generationen hinweg, von der legendären "Bormio-Truppe" um Toni Kukoc, Vlade Divac und Dino Radja, bis heute, mehr als 40 Jahre nach seinem Coaching-Debüt mit Bosna Sarajevo, ist offensichtlich.
"Für mich ist Pesic eine der inspirierendsten Geschichten dieses Turniers", deklarierte Hall of Famer Pau Gasol vor dem Finale (14.40 Uhr, ZDF, kostenfrei auf Magentasport und im ntv.de-Liveticker). "Was für ein unglaublicher Coach. Ich habe schon mit ihm zusammengearbeitet und kenne ihn persönlich. Er hat sich seine Lorbeeren mehr als verdient. Ein Coach alter Schule, der mit seiner Leidenschaft Teams zum bestmöglichen Resultat führt. Sie spielen so gut, auch ohne Jokic und andere wichtige Akteure. Aber sie zeigen, dass Zusammenhalt und Team-Basketball Talent immer schlagen werden."
Bestes Team dieser WM
Serbien hat im Laufe dieser WM eindrucksvoll bewiesen, dass auf höchstem internationalen Niveau die Summe der Einzelteile mehr wert ist als individuelles Können. Physische Härte, Disziplin und chirurgischer Kollektiv-Basketball haben weitaus begabteren Mannschaften den Zahn gezogen - so auch im Viertelfinale gegen die mit NBA-Stars gespickten Kanadier, die beim 86:95 nicht den Hauch einer Chance hatten.
"Sie spielen hart, betont körperlich, diszipliniert und sind exzellent gecoacht. Sie sind schnell gestartet und wir kamen so gut wie nie auf mehr als zehn Punkte heran", sagte RJ Barrett nach der Demontage gegen Serbien am Freitag. Schaut man diesem serbischen Team beim Spielen zu, wird sofort klar, dass das hier ein waschechtes Pesic-Team ist: Defense first, Härte, Fokus und Disziplin; Inside-out Ballbewegung; und eine exzellente Wurfauswahl.
Obwohl Superstar und NBA-Champion Nikola Jokic von den Denver Nuggets absagte, und mit Vasilje Micic, Aleksej Pokusevki, Boban Marjanovic, Nemanja Nedovic, Nikola Kalinic, Vladimir Lucic und Milos Teodosic quasi die halbe A- und B-Mannschaft fehlt, fegten die Serben durchs bisherige Turnier. Sechs Siegen steht nur eine einzige Niederlage gegenüber, in der Zwischenrunde gegen Italien. Die sorgte nicht nur für ein Zusammenrücken, sondern ließ Serbien auf dem Weg durch die Endrunde auch den USA aus dem Weg gehen. "Es ist egal, wer alles nicht dabei ist", sagt Marko Guduric. "Alles, was zählt, ist diese Truppe, und wer hier vor Ort ist, wer auch immer das Serbien-Trikot trägt. Wir geben niemals auf, kämpfen bis zum Schluss. Das liegt uns im Blut."
"FIBA-Bogi" ist der Superstar
Bogdan Bogdanovic ist in Jokics Abwesenheit der Fixstern im serbischen Planetensystem. Gegen Kanada dominierte der 31-jährige NBA-Veteran von den Atlanta Hawks mit 23 Punkten, drei Assists und drei Steals, war einmal mehr der beste Akteur auf dem Parkett. Das ist längst Standard geworden, wann immer "FIBA-Bogi" die Nationalmannschaft anführt.
Bogdanovic zog mit seinem insgesamt 427. WM-Punkt nicht nur an Dirk Nowitzki (425) vorbei, sondern erzielte gegen Kanada auch zum bereits elften Mal 20 Punkte oder mehr. Nur Luis Scola (16 Partien) und Nowitzki (12) haben das häufiger geschafft als der serbische Scharfschütze, der einen weiteren FIBA-Rekord hält: 24 Partien in Folge mit mindestens einem Treffer von jenseits der Dreierlinie.
Insgesamt traf er bereits 70 Dreier - Bestwert in den vergangenen 30 Jahren - und spielt europäische Kontrahenten mit durchschnittlich 25,4 Punkten, 5,0 Rebounds und 4,2 Assists in seinen letzten fünf Partien an die Wand. In diesem Turnier kommt der wurf- und dribbelstarke Kombo-Guard auf bisher auf 19,4 Punkte, 4,6 Assists und 2,3 Steals pro Spiel, gilt als Favorit auf den Titel des MVP, des wertvollsten Spielers bei diesem FIBA World Cup.
Tief, Talentiert, Aggressiv
Serbien ist aber weitaus mehr als nur Bogdanovic. Pesics Truppe besticht durch seine beneidenswerte Mischung aus Inside- und Outside-Game. Die Balance im Kader auf allen Positionen, gepaart mit beängstigender taktischer Disziplin, erlaubt den Serben, Angriff für Angriff jeden noch so kleinen strategischen Vorteil auszunutzen. Sie lieben, es aufs Tempo zu drücken, direkt nachdem sie mit ihrer bissigen Verteidigung den Ball erobert haben, um dann vorne nach effizienten, schnellen Würfen zu jagen.
Jungstar Nikola Jovic von den Miami Heat, ein 2,08 Meter großes Big Man Talent, kommt auf 10,3 Punkte im Schnitt und trifft bisher bärenstarke 45,5 Prozent seiner Dreierversuche und 60,5 Prozent aus dem Feld. Nikola Milutinov, der in der Euroleague mit Olympiakos Piräus spielt, ist zweitbester Scorer und bester Rebounder mit 13,6 Punkten und 9,0 Rebounds pro Einsatz. Mit vier Double-Doubles in sieben Partien hat er einen neuen serbischen WM-Rekord aufgestellt.
Den Rest der Pesic-Truppe bilden Rollenspieler wie Defensiv-Kettenhund Aleksa Avramovic (Partizan Belgrad), Dreierspezialist Vanja Marinkovic (Baskonia) oder Spielmacher Stefan Jovic (Zaragoza). Marko Guduric und Filip Petrusev bringen zusätzliche Erfahrung aus der NBA mit ins Team. Dass sie Borisa Simanic verloren, dem nach einem Ellbogenschlag gegen den Süd-Sudan eine Niere entfernt werden musste, hat dieses Team nur noch enger zusammengeschweißt. "Einer für alle, alle für einen" hatte Pesic vor dem Turnier als Credo ausgerufen; Serbien setzt diesen Leitsatz bisher fast zur Perfektion um.
Schwere Aufgabe für den DBB
"Offensichtlich spielen die einen wahnsinnig guten Basketball. Sie haben viele Spieler aus Europa und der NBA, jeder da hat unfassbare Fähigkeiten. Die wissen alle, wie man auf allerhöchstem Niveau spielen muss. Das wird super schwierig für uns", sagte DBB Starting-Center Johannes Voigtmann gegenüber ntv.de, vor dem Finale. Gegen die harte Verteidigung der Truppe vom Balkan sowie in der eigenen Defensive wird sich die immer noch ungeschlagene deutsche Mannschaft um einiges schwerer tun als gegen die USA sowie alle anderen Kontrahenten bisher.
Auch der heutige Nationalcoach Gordon Herbert weiß allzu gut, mit welcher Sorte Gegner er es an der Seitenlinie und im Kampf um die Goldmedaille zu tun bekommen wird. "Sie spielen Pesic-Defense. Sie sind aggressiv, setzen dich unter Druck, beackern dich hart. Und dann greifen sie aus der Abwehr direkt an. Wir müssen genauso physisch sein wie sie. Sie spielen Basketball, wie er gespielt werden muss. Pesic hat seinen Stil, so coacht er schon seit über 30 Jahren. Er ist ein Freund, ein großartiger Coach, einer der besten europäischen Coaches aller Zeiten. Er hat sich jede Unze Respekt redlich verdient. Ein gigantischer Einfluss für den deutschen Basketball. Dieser Sport wäre hierzulande nicht da, wo er steht, ohne Svetislav Pesic."
Das Schlusswort in der finalen Pressekonferenz vor dem großen Finale hat dann Pesic selbst: "Das wird höchst interessant. Ich fühle mich immer noch als Teil des deutschen Basketballs, ohne jeden Zweifel. Ich lebe immer noch in Deutschland, habe dort nur positive Erfahrungen gemacht. Darum werde ich mich immer für den deutschen Basketball freuen. Die Leute sagen, dass ich viel für den deutschen Basketball geleistet habe. Nicht zuletzt deshalb freut es mich sehr, dass wir jetzt gegen Deutschland um Gold spielen."