Stand jetzt ist Hansi Flick Trainer der deutschen Fußball-Nationalmannschaft. Am Tag nach dem Debakel gegen Japan ändert der DFB nichts an der Personalie. Der 58-Jährige leitet das öffentliche Training. Dort macht er gute Miene zum bösen Spiel - und hat eine Krisensitzung bereits im Nacken.
Hansi Flick kitzelte ein Kleinkind im Mini-Trikot am Bauch - für einen Augenblick vergaß der schwer angezählte Bundestrainer all seine Sorgen und lachte. Seine müden Augen jedoch zeugten von einer unruhigen Nacht voller Grübeleien, die offensichtlich trotz der Bankrotterklärung gegen Japan seinen Kampfgeist nicht lähmte. "Ich fighte weiter", rief er den Fans beim öffentlichen Training in Wolfsburg zu und freute sich über die vielen aufmunternden Rufe.
Flick ist zumindest vorerst weiter im Amt. Eine Jobgarantie durch den Deutschen Fußball-Bund (DFB) gab es am Tag nach dem sportlichen Offenbarungseid beim blamablen 1:4 (1:2) zunächst jedoch nicht. Im Gegenteil: Die Verbandsbosse sollten noch am Sonntag zu einer Krisensitzung zusammenkommen.
Schon nach dem Schlusspfiff hatten Präsident Bernd Neuendorf und sein "Vize" Hans-Joachim Watzke besorgt die Köpfe zusammengesteckt. Im Profifußball sei "vieles schwer vorherzusagen", sagte Flick am Rande des Trainings vor 2376 Zuschauern. Vorerst gehe es aber "normal weiter", versicherte Flick.
DFB hat noch keinen Trainer entlassen
Für den Verband wäre der Rauswurf vor dem Spiel gegen den Vize-Weltmeister Frankreich am Dienstag (21 Uhr/ARD und im ntv.de-Liveticker) in Dortmund ein Novum. Keiner der zehn Vorgänger Flicks wurde entlassen. Neuendorf schwieg vorerst, den entlarvenden Auftritt gegen Japan verfolgte er neben Watzke meist konsterniert und mit versteinerter Miene.
Rudi Völler richtete am nächsten Morgen zu Beginn der Einheit ein paar Worte an die Fans - den Namen Flick nahm der DFB-Sportdirektor nicht in den Mund. Es sei selbstverständlich, dass "wir uns stellen", ließ der Weltmeister von 1990 übers Mikrofon verlauten. Aber: "Wir hatten uns das alle anders vorgestellt." Unmittelbar nach dem Schlusspfiff eines denkwürdigen Spiels war Völler noch "schockiert" gewesen.
Flick hatte in einer bemerkenswerten Selbsteinschätzung keinen Anlass für einen Rücktritt neun Monate vor der Heim-EM gesehen. "Ich finde, wir machen das gut, und ich bin der richtige Trainer", hatte der ehemalige Münchner Erfolgscoach betont. Doch der erhoffte Turnaround und so dringend benötigte Stimmungsumschwung blieb aus.
Offensiv einfallslos, defensiv hilflos
Flick hatte durch die taktischen und personellen Veränderungen seine letzte Patrone abzufeuern versucht, sie blieb im Lauf stecken. Offensiv einfallslos, defensiv hilflos - nur dank Torhüter Marc-André ter Stegen fiel die höchste Heimniederlage seit 2001 (1:5 gegen England unter Teamchef Völler) nicht noch dramatischer aus. Flicks Umstellungen, der neue Kapitän İlkay Gündoğan, die Degradierung von Joshua Kimmich auf die rechte Abwehrseite - damit hatte der Bundestrainer ein Lebenszeichen senden wollen. Seht her, ich kämpfe, ich bin modern. Wir haben jetzt eine Spielphilosophie! Es ging absolut krachend schief. So auch die Idee, den total überforderten Nico Schlotterbeck hinten links in einen aussichtslosen Kampf gegen viel schnellere und wendigere Japaner zu schicken.
Die Fans in der Volkswagen-Arena pfiffen lautstark, der Rauswurf des Bundestrainers wurde gefordert. Doch einen EM-tauglichen Nachfolger bis zum Frankreich-Spiel zu finden, ist fast unmöglich. Und danach? Julian Nagelsmann, Oliver Glasner und Stefan Kuntz werden genannt. Rekordnationalspieler Lothar Matthäus forderte Matthias Sammer und lehnte selbst den Job ab. Flick erscheint als Teil der Lösung nur noch schwer vorstellbar.
Schlecht wie Flick war zuletzt Beckenbauer
Drei Niederlagen der Nationalmannschaft in Folge gab es zuletzt vor 38 Jahren unter Franz Beckenbauer. Von den vergangenen 17 Spielen wurden nur vier gewonnen. Seit dem WM-Desaster gab es nur einen Sieg in sechs Begegnungen. Flicks Startrekord mit acht Siegen gegen zweitklassige Gegner ist längst vergessen, das Gesamtbild ist alarmierend.
Die Spieler stellen sich noch hinter ihren Chef. "Wir sind gerade nicht gut genug. Die Mannschaft muss sich hinterfragen", gab Gündoğan zu Protokoll. Auch der neue Kapitän hauchte seinen Mitspielern kein Leben ein. Thomas Müller sagte der Fußball-Nation, was überfällig war. Deutschland gehöre eben nur noch in der Selbstwahrnehmung "zu den besten 10 oder 15 der Welt", vielleicht in der Theorie, "aber nicht in der Realität". Komplett absurd wirkt inzwischen die Nach-WM-Beteuerung, der Weltmeister Argentinien sei eigentlich auch nicht besser.
"Wir sprechen immer von Qualität, aber sehen sie viel zu selten. Das muss uns zu denken geben und wir müssen unsere Qualität ein Stück weit infrage stellen", sagte Kimmich. Ter Stegens Versicherung, er glaube "fest" an Flick, könnte zu spät kommen. Das weiß auch der Bundestrainer, trotz des schönen Moments der Ablenkung.