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Die Zukunft liegt in Südamerika: Scholz kommt mit ausgestreckter Hand

Bundeskanzler Scholz reist mit einer Wirtschaftsdelegation nach Südamerika. Es ist ein Besuch, von dem die Zukunft Deutschlands mit abhängen könnte. Es geht auch darum, das EU-Mercosur-Abkommen zu retten. Die Zeichen dafür stehen günstig.

Die entspannteren Jahre beim Thema Energiepolitik und Rohstoffversorgung sind im Kanzleramt vorbei. Spätestens seit dem breit angelegten Angriff Russlands auf die Ukraine gilt Aussitzen nicht mehr. Das akute Thema Leopard und schwere Waffen ist erstmal abgearbeitet. Nun kümmert sich Bundeskanzler Olaf Scholz um mittel- und langfristige Themen. Die Bundesregierung sucht, fast schon überfällig, internationale Partnerländer, mit denen die Zusammenarbeit für die Sicherheit Deutschlands intensiviert werden kann.

Nicht zufällig ist Scholz ab heute auf Südamerikareise. Ein Teil der Zeitenwende ist die Diversifizierung der deutschen Wirtschaftsbeziehungen, des Rohstoffbezugs, des Energiebezugs. Argentinien, Chile und Brasilien stehen wirtschaftlich weit oben auf der Liste der deutschen Partner. Argentinien und Brasilien sind zudem die beiden großen Volkswirtschaften, die gemeinsam mit Paraguay und Uruguay das Wirtschaftsbündnis Mercosur bilden.

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Bundeskanzler Olaf Scholz beim Einstieg ins Flugzeug nach Südamerika

(Foto: dpa)

Mit einer hochrangigen Wirtschaftsdelegation im Schlepptau besucht der Bundeskanzler deshalb die drei Staaten, die in der Zukunft eine wichtige Rolle bei der Neuausrichtung Berlins und Brüssels spielen sollen. Konkret soll etwa das EU-Mercosur-Freihandelsabkommen gerettet, zudem China die Stirn geboten werden. Die drei südamerikanischen Länder werden derzeit von politisch ähnlich orientierten Präsidenten regiert.

Es wird um Lebensmittelsicherheit gehen, viel um strategische Ressourcen wie Lithium für Elektrofahrzeuge, die Förderung von grünem Wasserstoff und den Schutz des Amazonas-Regenwaldes. Scholz will mehrere Absichtserklärungen mit den drei Staatschefs unterzeichnen. In Chile ist man zudem mit einem aktualisierten Assoziierungsabkommen für mehr Handelsfreiheiten schon einen Schritt weiter. Auch Argentinien würde gerne mehr nach Deutschland exportieren.

Lebensmittel und Lithium

Scholz ist kein Unbekannter in der Region und in Buenos Aires. Er war privat schon hier und vor mehr als zehn Jahren auch als Erster Bürgermeister Hamburgs, um Handelsbeziehungen mit dem Agrarexportland Argentinien zu stärken. Sein damaliger Amtskollege Mauricio Macri zog kurz darauf in den Präsidentenpalast, wurde aber wegen des Auslösens einer desaströsen Wirtschaftskrise und Schuldenaufnahme 2019 abgewählt. Der derzeitige Präsident Alberto Fernández ist Peronist und hat einen stärkeren sozialen Fokus, ist aber gemäßigter als seine Vizepräsidentin Cristina Kirchner.

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Brasiliens Präsident Lula da Silva (links) beim Staatsbesuch in Argentinien und dessen Präsident Alberto Fernández. Brasilien und Argentinien sind die wichtigsten Länder des Mercosur.

(Foto: AP)

Fernández startete praktisch mit Beginn der Corona-Pandemie und all ihren wirtschaftlichen Folgen ins Amt. Seine Umfragewerte sind schlecht, die Inflation lag 2022 bei rund 100 Prozent, kaum jemand glaubt daran, dass er bei der Präsidentschaftswahl Ende des Jahres erneut antreten darf und wird. Trotzdem würde ihm und den Peronisten ein wenig Glanz außenpolitischer Erfolge guttun, falls der eine bessere Zukunft für Unter- und Mittelschicht verspricht.

Argentinien ist ein großer Agrarexporteur und schielt mit einem Auge auf die Möglichkeiten, welche die veränderte geopolitische Situation bieten. Man könne ein verlässlicher Versorger von Nahrungsmitteln und Energie sein, heißt es aus argentinischen Regierungskreisen über die Erwartungen an Scholz' Besuch. Es werde bei den Treffen mit den Wirtschaftsvertretern beider Länder um kurz-, mittel- und langfristige Strategien für intensivere Geschäftsbeziehungen gehen.

Dabei will Argentinien nicht nur Rohstofflieferant sein, sondern sie auch weiterverarbeitet nach Europa verkaufen. Deutschland ist der wichtigste Handelspartner des Landes in der EU. Argentinien bildet gemeinsam mit Chile und Bolivien das sogenannte Lithiumdreieck, wo weltweit die größten bekannten Reserven des Rohstoffs lagern. Der ist derzeit für den Umbau zur Elektromobilität unerlässlich. China ist etwa in Chile wirtschaftlich sehr aktiv und ein klarer Konkurrent der EU in der Region.

Jahr der Entscheidung

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Mit Feuer werden riesige Flächen gerodet - danach werden die Rinderherden dorthin getrieben.

(Foto: picture alliance/dpa)

Was das Kooperationsabkommen der EU mit Chile ist, soll nach Wunsch der Bundesregierung das Freihandelsabkommen mit dem Mercosur werden. Zum Wirtschaftsraum gehören Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay. Brasiliens Agrarsektor sperrte sich bislang gegen eine geforderte Zusatzvereinbarung zu mehr Schutz des Amazonas-Regenwaldes und hatte in Ex-Präsident Jair Bolsonaro einen Verbündeten. Der größte Teil des Waldes wird für die Fleischproduktion gerodet. Doch nun ist mit Lula da Silva ein alter Bekannter von Scholz im Amt. Die EU verhängte zuletzt Importverbote gegen Produkte aus Abholzungsgebieten. Lula hat angekündigt, die Rodungen entschlossen zu bekämpfen.

Das EU-Mercosur-Abkommen hakt an europäischen Zusatzforderungen, die über den ursprünglichen Vertragstext hinausgehen. Frankreich, Österreich und Irland etwa befürchten, dass südamerikanische Agrarimporte die eigenen Bauern in den Ruin treiben könnten. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hatte besseren Schutz des Regenwaldes als Bedingung genannt, um das Abkommen zu ratifizieren.

Die Bundesregierung will mit Scholz' Besuch einen neuen Anlauf nehmen und mit Zusatzvereinbarungen das Abkommen retten. Das politische Fenster war wohl nie günstiger. Der Mercosur hofft, von den geo- und energiepolitischen Umwälzungen profitieren zu können und damit aus der Krise zu kommen, Deutschland und die EU suchen zugleich verlässliche Partner für die Zukunft. Aber die Zeit drängt. "Wenn es in dieses Jahr nicht klappt, wird es wohl nie klappen", sagt Südamerikaexperte Detlef Nolte vom Leibniz-Institut für Globale und Regionale Studien.

Darum wird es vor allem bei Scholz' Treffen mit Lula gehen. Sollte Brasilien sich mit der EU einigen, wird Argentinien sehr wahrscheinlich mitziehen. Möglich wäre, erst den Handelsteil vorläufig in Kraft zu setzen und den kompletten Text später von allen EU-Ländern ratifizieren zu lassen.

So soll auch die chinesische Konkurrenz im Zaum gehalten werden. Man müsse eben besser, aktiver als China und präsent sein in der Region, heißt es aus deutschen Regierungskreisen. Beim Thema Lithium könne sich Deutschland nicht mehr den Luxus erlauben, andere die komplizierte und schmutzige Arbeit machen zu lassen und keine eigenen Bezugsquellen zu haben. Denn, auf der anderen Seite des Atlantiks, könnte dies für die Sicherheit Deutschlands elementar werden.