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Er war zu radikal für die Armee – nun schenkt ihm Netanjahu eine eigene Miliz

Als im Laufe des Montags klar wurde, dass die Regierung ihre höchst kontroverse Justizreform stoppen würde, war der Jubel in Israel groß. Die Gewerkschaften, die einen Generalstreik organisiert hatten, die Hunderttausenden Demonstrierenden auf den Straßen von Tel Aviv und Jerusalem, Juristenverbände, Bürgerrechtsorganisationen und die Opposition feierten einen „Sieg der Demokratie“. Dabei ging ein vermeintlicher Nebenaspekt unter, der dem Land einen brandgefährlichen Sommer bescheren könnte.

Nicht Regierungschef Benjamin Netanjahu war es, der als Erster die Pause des Reformprozesses verkündete, um die Straße zu befrieden, sondern der rechtsextreme Politiker Itamar Ben-Gvir, Vorsitzender der Partei Jüdische Stärke. Der Minister für nationale Sicherheit hatte gedroht, die Koalition platzen zu lassen, wenn Netanjahu einlenke. Statt sich am Morgen in einer Rede an die Nation zu wenden, wie Netanjahu es eigentlich angekündigt hatte, verhandelte der Premier über den Fortbestand seiner Regierung.

Wie schon zuvor erzwang der kleine Koalitionspartner Ben-Gvir Zugeständnisse von Netanjahu und konnte sich wieder einmal durchsetzen. Am Montagnachmittag frohlockte der 46-Jährige, er habe eine Einigung mit Netanjahu erzielt: Der Premier werde die Justizreform pausieren, er nicht aus der Koalition austreten, aber dafür eine neue Polizei bekommen, die unter seinem direkten Kommando steht.

Eine eigene Nationalgarde, das ist der Traum des Mannes, den die israelische Armee ausmusterte, weil er zu radikal für den Wehrdienst war. Ben-Gvir wurde mindestens achtmal verurteilt, darunter wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung und Aufstachelung zum Rassismus.

„Sein Strafregister ist so lang, dass wir die Tinte des Druckers austauschen mussten, als er vor den Richter trat“, zitiert der „New Yorker“ einen ehemaligen Beamten des israelischen Geheimdienstes Schin Bet. Ben-Gvir will Araber deportieren, die Palästinensergebiete annektieren, und die Todesstrafe wiedereinführen – wohlgemerkt nur für Araber.

Anhänger eines Massenmörders

Er ist ein selbst erklärter Anhänger von Baruch Goldstein, einem Siedler, der 1994 neunundzwanzig muslimische Gläubige in einer heiligen Stätte in Hebron im Westjordanland erschoss. Bis vor wenigen Jahren hing ein Foto von Goldstein in Ben-Gvirs Wohnzimmer. Bei dessen Auftritten skandieren Anhänger „Tod den Arabern!“. Der ehemalige Premierminister Ehud Olmert bezeichnete ihn einmal als eine größere Gefahr für Israel als einen atomar bewaffneten Iran.

Ben-Gvir ist immer dort zur Stelle, wo es brennt, und gießt Öl in die Flammen. Als während des Wahlkampfs Siedler und Palästinenser in Ost-Jerusalem aneinandergerieten und Steine flogen, schrie er Polizisten an, sie sollten gefälligst das Feuer auf die Araber eröffnen. Netanjahu machte ihn zum Minister für öffentliche Sicherheit, der für die Polizei zuständig ist.

In dieser Position musste Ben-Gvir feststellen, dass er Polizisten keine direkten Befehle erteilen darf; etwa härter gegen die Demonstranten vorzugehen, die gegen die Justizreform protestieren. Aus Frust entließ er den zuständigen Polizeichef, musste ihn später aber wieder einstellen, denn die Befugnis zur fristlosen Entlassung hatte der Minister für öffentliche Sicherheit nicht.

Nun also bekommt Ben-Gvir seine eigene Miliz. Den Modellversuch für eine Bürgerwehr hat er bereits vor einigen Wochen gestartet. Der zeigt, wo die Reise hingehen soll. Die Bürgerwehr oder Nationalgarde soll sich nach Ben-Gvirs Vorstellungen in gemischt jüdisch-arabischen Städten wie Lod patrouillieren.

Dort war es während des elftägigen Krieges mit der Hamas im Gazastreifen 2021 zu Ausschreitungen zwischen jüdischen und arabischen Bürgern gekommen, mit Brandanschlägen, schweren Schlägereien und Lynchmobs auf beiden Seiten. Die Nationalgarde soll die Polizei unterstützen, so die Vorstellung.

Ein Vorschlag lautet, Beamte der Grenzpolizei in die Nationalgarde abzuschieben und zusätzlich 10.000 Freiwillige zu rekrutieren, die Ben-Gvir unterstellt sind. Ähnliche Pläne hatte bereits Ben-Gvirs Vorgänger verfolgt, jedoch bloß wenige Hundert Freiwillige rekrutieren können. In der israelischen Polizei stößt der Plan scheinbar auf wenig Gegenliebe.

Warnungen von Polizei und Menschenrechtlern

Die hebräische Tageszeitung „Haaretz“ zitiert hochrangige Vertreter: „Das wird entweder in Ineffizienz oder in einem Zwischenfall mit Eigenbeschuss und verletzten Zivilisten enden. Man kann nicht erwachsene Menschen ohne Ausbildung nehmen und sie in Notzeiten vor Zivilisten stellen. Das könnte in einer Katastrophe enden.“

Israels älteste Menschenrechtsorganisation, die Association for Civil Rights in Israel, bezeichnete die geplante Nationalgarde als „eine private, bewaffnete Miliz, die direkt unter Ben-Gvirs Kontrolle stünde“. Es sei eine Polizei, die in erster Linie gegen die arabische Bevölkerung vorgehen wird, so die Organisation. Außerdem könne Ben-Gvir seine Truppe gegen die ihm verhassten Proteste einsetzen.

Die Justizreform ist nicht beendet, sondern verschoben. Netanjahu hat bereits gesagt, dass er sie weitertreiben werde, nach dem jüdischen Pessachfest im April. Die Opposition will einen Kompromiss verhandeln. Es ist fraglich, wie der aussehen soll, wenn die eine Seite das Oberste Gericht entmachten will, während die andere Seite – die Mehrheit der Bürger – das Gericht als zentrale Bastion der Demokratie sieht.

Darum erwartet man in Israel, dass es im Sommer zu neuen Protesten kommen wird. Dann könnte Ben-Gvir bereits seine Einsatztruppe aufgestellt haben. Einen Vorgeschmack darauf, was passiert, wenn er und seine Koalitionspartner ihre Anhänger dazu aufrufen, gegen die Demonstranten vorzugehen, bot der Montagabend. Nach drei Monaten weitgehend friedlicher Proteste gegen die Regierung schalteten sich nun rechte Gruppierungen wie die gefürchteten Hooligans „La Familia“ ein und verabredeten sich zur Gegendemonstration.

Die mündete in Szenen wie diesen: In Jerusalem umringten Demonstranten einen arabischen Taxifahrer, bewarfen sein Auto mit Gegenständen und schlugen an seine Fenster. Der Fahrer versuchte, über eine nahegelegene Tankstelle zu fliehen, wurde dann aber „von den Randalierern brutal angegriffen, die ihn verfolgten und sein Auto schwer beschädigten“, so die Polizei in einer Erklärung.

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Auf Twitter kursiert ein Video des Vorfalls. Ein anderes Video aus Jerusalem zeigt Demonstranten, die einem arabischen Autofahrer den Weg versperren. Sie skandieren: „Möge dein Dorf brennen“.