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Erdbeben in der Türkei und Syrien: Sicher spenden - wie geht das?

Hilfe dringend benötigt: Freiwillige verteilen Hilfsgüter an Menschen in Antakya

Hilfe dringend benötigt: Freiwillige verteilen Hilfsgüter an Menschen in Antakya

Foto: Khalil Hamra / picture alliance / dpa / AP

Die Erdbebenkatastrophe in der Türkei und in Syrien sorgt auch in Deutschland für Bestürzung. Gleichzeitig ist die Spendenbereitschaft groß. Das Deutsche Rote Kreuz (DRK) etwa teilte dem SPIEGEL mit, innerhalb der ersten anderthalb Tage bereits eine Million Euro allein an Onlinespenden erhalten zu haben. Beim Hilfswerk der deutschen Caritas waren es binnen 48 Stunden ebenfalls Spenden in Höhe von einer Million Euro, beim Kinderhilfswerk Unicef rund 860.000 Euro.

Doch wie kann ich sicherstellen, dass das Geld auch ankommt, was gilt es bei Katastrophenhilfe zu beachten? Burkhard Wilke vom Deutschen Zentralinstitut für soziale Fragen gibt Antworten.

Zur Person

Burkhard Wilke ist Geschäftsführer des Deutschen Zentralinstituts für soziale Fragen. Das DZI berät und begleitet Spenderinnen und Spender seit 130 Jahren. Zusätzlich prüft das Institut karitative Organisationen auf die Verwendung ihrer Spenden. Das Spendensiegel des DZI  belegt, dass eine Organisation mit den ihr anvertrauten Geldern sorgfältig und verantwortungsvoll umgeht. Jeder dritte Erstantrag auf eine Prüfung durch das DZI ist im Durchschnitt nicht erfolgreich. 230 Organisationen tragen derzeit das Siegel.

SPIEGEL: Sicher spenden, wie geht das, Herr Wilke?

Wilke: Indem ich selbst die Initiative ergreife und auch in der Hand behalte. Immer dann, wenn ich überraschend angesprochen oder unvorbereitet mit einem Spendenaufruf konfrontiert werde, dann bin ich eher in einer unvorteilhaften Position. Außerdem sollte ich das Gießkannenprinzip meiden und meine Spende eher auf eine oder vielleicht zwei Organisationen konzentrieren. Zum einen fällt dann die Seriositätsprüfung leichter, zum anderen löst jede Spende auch Verwaltung und weitere Werbung aus: Zwei große Spenden anstelle von zehn kleinen reduzieren also die Kosten.

SPIEGEL: Zahlreiche Organisationen rufen gerade zu Spenden auf, im Betreff steht dann so etwas wie »Erdbeben Türkei und Syrien«. Wie kann ich sicher sein, dass mein Geld auch wirklich bei den Erdbebenopfern ankommt?

Wilke: Wenn eine nachgewiesen seriöse Organisation eine zweckgebundene Spende unter genau diesem Stichwort anbietet, dann wird sie dieses Versprechen auch einhalten. Doch auch bei solchen zweckgebundenen Spenden ist es legitim, dass ein gewisser Anteil nicht unmittelbar bei den Bedürftigen ankommt, sondern eingesetzt wird, um diese Hilfe überhaupt zu organisieren und auch die nötige Infrastruktur dazu bereitzustellen. Man sollte aber darauf achten, wie der Verwendungszweck genau formuliert ist. Da gibt es verschiedene Schlagwörter.

SPIEGEL: Was meinen Sie damit?

Wilke: Es gibt einzelne Organisationen, die als Stichwort nur angeben: »Erdbebenhilfe Syrien«. Dann ist klar, dass diese Organisation offenbar nicht in der Türkei tätig ist. Es gibt andere Organisationen, die sich ganz bewusst nicht festlegen, die sagen: Ich bin zwar jetzt in der Türkei oder in Syrien aktiv, aber ich gebe das Stichwort »Nothilfe« an. Damit wissen die Spenderinnen und Spender dann: Das Geld kann theoretisch auch für eine andere Katastrophe in einer anderen Region verwendet werden, wenn die betreffende Organisation meint, es dort wirksamer einsetzen zu können. Bei seriösen Organisationen kann man diesen Stichwörtern vertrauen, sollte sie aber auch genau wahrnehmen und seine Spende entsprechend ausrichten.

SPIEGEL: Wenn ich also will, dass möglichst viel von meiner Spende auch ankommt, sollte ich dann lieber eine kleinere Organisation wählen, da diese weniger Verwaltungsaufwand hat?

Wilke: Das kann man so nicht sagen. Wir schauen in unseren Bewertungen auch da sehr genau hin. Welche Arten von Kosten sind Verwaltungskosten? Was sind Programmkosten, was Werbekosten? Spenderinnen und Spender sollten diese Anteile aber auch nicht zu genau miteinander vergleichen.

SPIEGEL: Warum nicht?

Wilke: Weil es eben sehr vielfältige Gründe gibt, weshalb eine kleine Organisation unter Umständen sogar größeren Aufwand hat als eine bestimmte größere Organisation, wenn diese zum Beispiel in kirchliche Strukturen eingebunden ist und Infrastruktur mitnutzen kann. Auch Organisationen, die sich etwa in hohem Maße durch öffentliche Zuwendungen finanzieren, haben meist einen geringeren Verwaltungskostenanteil als rein spendenfinanzierte Hilfswerke. Andererseits haben Organisationen, die in schwierigen Themenfeldern unterwegs sind – langfristige Entwicklungshilfe, Behinderten- oder Bildungsarbeit – tendenziell höhere Werbeausgaben als etwa Katastrophenhilfe-Organisationen, für die, wie wir gerade wieder sehen, häufig die Medien für die nötige Aufmerksamkeit sorgen. Ob der Kostenanteil niedrig oder hoch ist, ist also keine Frage der Größe, sondern eine Frage der jeweiligen Struktur.

SPIEGEL: Welche Rolle spielt die politische Situation vor Ort?

Wilke: Die Bedingungen, Hilfe zu leisten, sind in Syrien wegen der Bürgerkriegszustände sehr viel anspruchsvoller und komplizierter als in der Türkei. Deswegen ist Hilfe zwar nicht unmöglich. Aber die Anforderungen an eine fachliche Kompetenz, an eine gute Vernetzung vor Ort, an Erfahrung dort in der Region, an professionelle und zugleich verlässliche Partnerorganisationen vor Ort sind hier besonders hoch. Daher ist es umso wichtiger, dass die Spenderinnen und Spender ihr Geld kompetenten Organisationen geben, die entweder schon genau in dieser Region tätig sind, dort bereits Strukturen haben oder aber sehr erfahren und bewährt darin sind, in so schwierigen Gegenden in relativ kurzer Zeit die nötigen Strukturen aufzubauen. Auch das lassen wir uns bei der jährlichen Siegelprüfung genau darlegen: Wie die Organisationen gerade auch in solchen schwierigen Umfeldern ihre Projekte planen, wie sie die Wirkung überprüfen – und wie sie reagieren, wenn sie feststellen, dass etwas nicht gut funktioniert hat.

SPIEGEL: Und wenn ich nun einfach zu einem Anbieter gehe, dem ich etwa Zelte und Schlafsäcke auf den Laster werfen kann? Dann kommt es doch direkt bei den Menschen vor Ort an.

Wilke: Sachspenden ergeben überhaupt nur dann Sinn, gerade auch in einem solchen Fall wie jetzt, wenn seriöse Organisationen ganz konkret dazu aufrufen. Das haben wir vor allem in den ersten Monaten der Ukraine-Hilfe erlebt, als etwa Aufnahmeeinrichtungen vor Ort ganz gezielt und auch befristet um bestimmte Sachen, um Kleidung oder Kinderspielzeug, gebeten haben. Je größer jedoch die Entfernung, umso unwirtschaftlicher werden Sachspenden, und umso schwieriger ist es oft zu erkennen, was an welchem Ort in welcher Qualität benötigt wird. Daher wäre es genau der falsche Weg, wegen Zweifeln bei der Verwendung von Geldspenden jetzt zur Sachspende zu greifen. Da ist die Chance umso größer, dass man auf Betrüger oder inkompetente Sammler hereinfällt.