Germany
This article was added by the user . TheWorldNews is not responsible for the content of the platform.

Erster Entwurf: Wie die EU unabhängiger bei kritischen Rohstoffen werden will

Brüssel will die Abhängigkeit von China bei wichtigen Rohstoffen verringern. Dafür sollen lokale Wertschöpfungsketten rasant gestärkt werden. Wie das klappen soll, hat die Brüsseler Behörde in einem ersten Entwurf vorgestellt

Dieser Artikel liegt Capital.de im Zuge einer Kooperation mit dem China.Table Professional Briefing vor – zuerst veröffentlicht hatte ihn China.Table am 17.März 2023.

Bis 2030 sollen innerhalb der EU viel größere Mengen wichtiger Rohstoffe für die Industrie verfügbar sein – damit will sich Brüssel vor allem aus der Abhängigkeit von China kämpfen. Der am Mittwoch vorgestellte Entwurf des Critical Raw Materials Act (CRMA) sieht vor, dass bis 2030 rund 10 Prozent des Bedarfs der EU aus eigenem Bergbau gedeckt sein sollen, 40 Prozent aus lokaler Weiterverarbeitung und 15 Prozent aus Recycling in der EU. Zudem soll die EU 2030 für jeden strategischen Rohstoff nicht mehr als 70 Prozent ihres jährlichen Bedarfs aus einem einzigen Drittstaat wie beispielsweise der Volksrepublik beziehen.

Europe.Table hatte bereits vergangene Woche über Inhalte einer geleakten Version des Entwurfs berichtet. „Nach 18 Monaten Arbeit heißt es: Vorbei mit der Naivität, jetzt ist Handeln angesagt“, erklärte Binnenmarkt-Kommissar Thierry Breton bei der Vorstellung des Papiers und bezog sich damit auf die bislang eher passive Rolle der EU in Sachen Rohstoffpolitik.

Kommissionschefin Ursula von der Leyen hatte tags zuvor erneut auf die Abhängigkeit der EU bei wichtigen Mineralien verwiesen: „Wir beziehen 98 Prozent unserer Seltenen Erden aus China, 93 Prozent unseres Magnesiums aus China, 97 Prozent unseres Lithiums aus China“, zählte von der Leyen auf. Die Pandemie und der Krieg gegen die Ukraine hätten der EU eine „bittere Lektion“ über die Abhängigkeiten erteilt.

Unterscheidung zwischen „strategisch“ und „kritisch“

Die bisherige Liste von 30 kritischen Rohstoffen erweitert die EU-Kommission auf 34, wobei ein besonderer Fokus auf eine kleinere Gruppe gelegt wird. 16 Rohstoffe werden in dem veröffentlichten Entwurf als strategisch bezeichnet. Die Kriterien dafür sind ihre strategische Bedeutung, das Verhältnisses von künftiger Nachfrage zur aktuellen weltweiten Produktion sowie die Schwierigkeit, die Produktion zu steigern. Für diese 16er-Gruppe sollen die konkreten Benchmarks für Produktionskapazitäten innerhalb der EU und für die Importdiversifizierung gelten.

Rundbarren aus Kupfer im Lager der Aurubis AG

Anlegerinnen und Anleger setzen mit Kupfer auf die Energieversorgung und die Mobilität der Zukunft. Energiepreise und geopolitische Unsicherheiten machen den Unternehmen aktuell zu schaffen. Auf lange Sicht bleibt die Branche attraktiv. 

Es handelt sich um: Bismut, Bor, Kobalt, Kupfer, Gallium, Germanium, Lithium, Mangan, Graphit und Nickel in Batteriequalität, Magnesium-Metall, Platingruppenmetalle, Seltene Erden (Nd, Pr, Tb, Dy, Gd, Sm und Ce), Silizium-Metall, Titan-Metall und Wolfram.

Als „kritisch“ stuft die Kommission diese Rohstoffe und 18 weitere (darunter Bauxit, Hafnium, Helium und weitere Seltene Erden) ein. Diese überschreiten bestimmte Schwellenwerte für ihre wirtschaftliche Bedeutung und ihr Versorgungsrisiko. Für sie gelten die Ziele, das Versorgungsrisiko zu überwachen und zu mindern sowie ihren freien Verkehr im EU-Binnenmarkt zu gewährleisten und dabei ein hohes Umweltschutzniveau sicherzustellen.

Bergbauprojekte im „öffentlichen Interesse“

Die grundsätzlichen Linien des Entwurfs waren erwartbar: Europa kann sich die „not in my backyard“-Mentalität nicht länger leisten und muss die eigenen Rohstoffvorkommen stärker erschließen. Dafür sieht der Entwurf allerhand Maßnahmen vor: Vorkommen erschließen, Daten teilen, Genehmigungsverfahren beschleunigen.

Ein Paradigmenwechsel ganz im Sinne der Bergbauindustrie: „Das Rohstoffpotenzial der EU ist beträchtlich, aber wir brauchen effizientere Genehmigungen, um den Schatz der EU zu heben – ein Thema, das im CRM-Gesetz aufgegriffen wird“, lobt Rolf Kuby, Hauptgeschäftsführer des Verbands Euromines.

Am Gelben Fluss in der Stadt Baotou in der Inneren Mongolei liegt eines der chinesischen Produktionszentren für Seltene Erden.

Wenn Deutschland für Seltene Erden eine einziges Lieferland hat, ist das auf Dauer untragbar. Die EU-Kommission will die Versorgung Europas mit kritischen Rohstoffen breiter aufstellen. Aber was sind Alternativen?

Als „strategisch“ gekennzeichnete Rohstoffprojekte sollen im „öffentlichen Interesse“ stehen, da sie zur Versorgungssicherheit beitragen. Das bedeutet: Sie könnten auch in Natura-2000-Schutzgebieten (zur Erhaltung gefährdeter Lebensräume und Arten) genehmigt werden und eine Verschlechterung der Qualität von Oberflächengewässern rechtfertigen.

Umweltschützer warnen vor Gefahr für Schutzgebiete

Tobias Kind-Rieper, Rohstoffexperte beim WWF, warnt vor einer Aufweichung wichtiger Umweltgesetzgebung: „Wenn Bergbauprojekte als öffentliches Interesse über das Umweltrecht gestellt werden, könnte das dramatische Auswirkungen auf Schutzgebiete und auf Biodiversität-Hotspots in Europa haben, etwa in Portugal und Schweden“.

Viele Rohstoffvorkommen in Europa befinden sich in Natura-2000-Schutzgebieten oder in deren Nähe. Deshalb macht er auch klar: Ohne Bergbauprojekte in solchen Schutzgebieten kann das Ziel, zehn Prozent des Rohstoffbedarfs aus heimischem Bergbau zu generieren, wahrscheinlich nicht erreicht werden.

Der CRMA sieht noch weitere Schritte vor:

Die Kommission setzt auf bereits beschlossene Strategische Partnerschaften (Kanada, Ukraine, Kasachstan, Namibia) sowie auf Freihandelsabkommen mit Kapiteln über kritische Rohstoffe (Neuseeland, Chile, Australien).Ein globaler Critical Raw Materials Club soll gleichgesinnte Partner vereinen.

Zwei indische Arbeiter sortieren Metallschrott

Eine Kreislaufwirtschaft soll die Versorgung der EU mit kritischen Rohstoffen sichern. Auf der Raw Materials Week in Brüssel war diese Woche von allen Seiten zu vernehmen: Recycling ist die Lösung – doch die Industrie ist noch nicht so weit

Ein starker Fokus liegt auf der Minderung der Versorgungsrisiken. Diese sollen anhand von Stresstests der einzelnen Lieferketten, strategischen Reserven in den Mitgliedstaaten und einer Plattform für die gemeinsame Beschaffung einzelner Rohstoffe erreicht werden.

Zudem schlägt sie ein Critical Raw Materials Board mit Vertretern aus den Mitgliedstaaten vor. Das Gremium soll der Kommission unter anderem in der Auswahl der strategischen Projekte beratend zur Seite steht.

Genehmigungsverfahren für Bergbau-, Raffinerie- und Recyclingprojekte will die Kommission drastisch beschleunigen: Projekte, die von der Kommission und dem Critical Raw Materials Board als strategisch eingestuft wurden, sollen den Status höchster nationaler Bedeutung erhalten und von Behörden schnellstmöglich bearbeitet werden.

Schwache Vorgaben für Aufbau der Kreislaufwirtschaft

Kritik gab es vor allem für die Vorgaben zur Stärkung der Kreislaufwirtschaft: Zwar bestehe das Ziel, bis 2030 mindestens 15 Prozent des EU-Bedarfs an strategischen Rohstoffen mit hiesigen Recyclingkapazitäten zu decken. Die Vorgaben für die Mitgliedstaaten lauten jedoch lediglich, Sammlung und Recycling zu stärken und beinhalten keine konkreten Zielwerte.

Erhalten Sie 30 Tage kostenlos Zugang zu weiteren exklusiven Informationen des Table Professional Briefing - das Entscheidende für die Entscheidenden in Wirtschaft, Wissenschaft, Politik, Verwaltung und NGOs.

Beim Aufbau einer Kreislaufwirtschaft lasse die EU die Mitgliedstaaten zu sehr an der langen Leine und gefährde damit auch die Integrität des Binnenmarkts, sagte Wolfgang Weber, Vorsitzender der Geschäftsführung des Verbands der Elektro- und Digitalindustrie (ZVEI). „Wir brauchen einen EU-weiten, einheitlichen Markt für Sekundärrohstoffe. Sonst wird das Ziel, europaweit 15 Prozent an kritischen Rohstoffen bis 2030 aus Recycling zu gewinnen, konterkariert und es droht ein großer Flickenteppich“, erklärte er.

Trader schauen auf Bildschirme mit aktuellen Börsenkursen

2022 war eines der schlechtesten Anlagejahre seit fast 100 Jahren. Welche Assets sich 2023 zurückkämpfen, ob man Aktien, Anleihen, Gold und Rohstoffe kaufen oder verkaufen sollte und warum TecDax und SDax bessere sind als der Dax

Zu dem Entwurf werden sich nun noch das Europaparlament und EU-Rat positionieren müssen. Einen Zeitrahmen dafür gibt es bisher noch nicht.

#Themen
  • Rohstoff
  • China
  • EU
  • Lieferketten