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Forscher kritisieren Studienlage: Wird das Long-Covid-Risiko überschätzt?

Das Phänomen Long Covid bleibt umstritten. Ein Forscherteam rechnet nun mit der aus ihrer Sicht methodisch katastrophalen Studienlage ab. Diese würde eine Zerrbild der Gefährdung hervorbringen. Wie hoch ist das Risiko, an Long Covid zu erkranken, wirklich?

Wie hoch ist eigentlich das Risiko, an Long Covid zu erkranken? Genau weiß das niemand. Aber laut einem Meinungsbeitrag von Forschenden aus den USA, England und Dänemark wird es überschätzt. Die Autoren führen das auf eklatante Mängel bei vielen wissenschaftlichen Arbeiten zu Long Covid zurück. Unsauber geführte Studien würden wiederum von anderen Studien aufgegriffen, welche die Forschungslage zusammenfassen: Dadurch sei in der Öffentlichkeit ein Zerrbild über die wahre Dimension des Problems entstanden.

Wer hilft bei Long- und Post Covid?

Informationen finden Sie unter anderem auf der Seite des Robert-Koch-Instituts und des Bundesgesundheitsministeriums. Dort sind auch Rehakliniken und Selbsthilfegruppen verlinkt. Hilfreich ist auch die Patientenleitlinie zu Long- und Post Covid, die Christian Gogoll gemeinsam mit anderen Experten und Expertinnen verfasst hat.

Einen Erklärfilm zu Long Covid der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin können Sie sich hier anschauen.

Die Autoren um den US-Onkologen Vinay Prasad, deren Beitrag im Fachmagazin "BMJ Evidence-based Medicine" erschien, bemängeln an vielen Studien zur Long-Covid-Häufigkeit etwa fehlende oder ungeeignete Kontrollgruppen. Es sei also nicht verglichen worden, wie häufig die Symptome, die Long Covid zugeordnet wurden, auch in Gruppen von nicht mit Sars-CoV-2 Infizierten auftauchen. Bei Studien mit Kontrollgruppen hingegen seien bei Kindern und Erwachsenen unter 50 Jahren geringe bis keine Unterschiede in der Häufigkeit der gemeldeten Symptome nachgewiesen worden, schreiben sie.

Studien durch Stichproben verfälscht?

Ein weiterer Kritikpunkt: Vor allem zu Beginn der Pandemie seien in Long-Covid-Studien weniger Patienten mit leichten oder ohne Symptome einbezogen worden. Der simple Grund, so die Autoren: Es gab damals einfach nicht so viele Corona-Tests, welche asymptomatisch Erkrankte aufgespürt hätten. Und so tauchten in Studien vor allem Menschen mit stärkeren Symptomen auf - die Ergebnisse seien also nicht repräsentativ für die gesamte Bevölkerung.

Haben die Autoren recht? Ist die Gefahr, an Long Covid zu erkranken, geringer als bisher gedacht? Laut dem Robert-Koch-Institut kann die Häufigkeit von Long Covid "weiterhin nicht verlässlich geschätzt werden". Auch dort wird auf den Mangel an repräsentativen und kontrollierten Studien verwiesen. Eine eigene Untersuchung habe ergeben, dass nur bei 15 Prozent der Long-Covid-Studien eine Kontrollgruppe untersucht worden sei - was die Kritik des BMJ-Artikels zum Teil bestätigt.

Christoph Kleinschnitz, Direktor der Klinik für Neurologie am Universitätsklinikum Essen, sieht "bei allen bisher erschienenen Long-Covid-Studien" methodische Schwächen, wie er gegenüber der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" sagte. "Es geistern immer wieder diese Zahlen von 10 bis 20 Prozent Häufigkeit herum. Nur wer wie wir in der Klinik arbeitet, hat gesehen, dass das gar nicht passt zu der tatsächlichen Inzidenz von Long Covid. Mit Omikron sind wir jetzt eher bei einer Häufigkeit von 0,4 bis 0,5 Prozent der Corona-Infizierten."

"Zahlen wohl allgemein zu hoch"

Unterschied: Long Covid und Post Covid

Die Leitlinienempfehlung des britischen National Institute for Health and Care Excellence (NICE) definiert Long Covid als gesundheitliche Beschwerden, die jenseits der akuten Krankheitsphase nach einer Sars-CoV-2-Infektion von 4 Wochen fortbestehen oder neu auftreten.

Als Post Covid werden Beschwerden bezeichnet, die noch mehr als 12 Wochen nach Beginn der Sars-CoV-2-Infektion vorhanden sind.

"Die derzeit präsentierten Zahlen sind wohl allgemein zu hoch, und nicht nur auf die Infektion mit Sars-CoV-2 zurückzuführen", ist auch Dietrich Rothenbacher überzeugt. Er leitet das Institut für Epidemiologie und medizinische Biometrie an der Universität Ulm. Eine eigene Studie habe eine Post-Covid-Häufigkeit von 6,5 Prozent sechs bis zwölf Monate nach einer Infektion ermittelt. Auch teilt Rothenbacher die Kritik, dass bei vielen Long-Covid-Studien Probleme zu beobachten seien.

Der Einschätzung, dass die Häufigkeit von Long Covid überschätzt wird, kann Andreas Stallmach, Leiter des Long-Covid-Zentrums am Universitätsklinikum Jena, zumindest "partiell zustimmen". Je nach Ansatz der Studien würde sich die Zahl der Krankheitsfälle unterscheiden. "Wir gehen von fünf bis sechs Prozent aus", so Stallmach über die Long-Covid-Häufigkeit nach Corona-Infekt. Allerdings sei die Krankheitswahrscheinlichkeit je nach Variante unterschiedlich: "So ist das Risiko von Post Covid während der Delta-Welle deutlich höher ausgefallen als während der Omikron-Welle", so Stallmach. Dies müsse bei Studien ebenfalls berücksichtigt werden.

"Die unzureichenden Kontrollgruppen in vielen Untersuchungen haben sicherlich dazu beigetragen, dass das Krankheitsrisiko heute überschätzt wird", kommentierte Peter Berlit, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN), mit Blick auf den kritischen BMJ-Artikel. Die häufig bei Long Covid beschriebenen Symptome seien meist überhaupt nicht Covid-19-spezifisch. "Das chronische Müdigkeitssyndrom etwa tritt auch bei anderen viralen Infektionen auf", so Berlit. Es sei nach wie vor nur unzureichend erforscht und werde zunehmend synonym für Long Covid gebraucht, was so nicht korrekt sei.

"Keine klare Diagnose möglich"

Ein Problem bei der Long-Covid-Thematik bestehe darin, so Clara Lehmann, Leiterin der Post-Covid-Ambulanz an der Uniklinik Köln, dass "es derzeit keine eindeutigen Biomarker oder radiologischen Befunde gibt, die eine klare Diagnose von Long Covid ermöglichen". Gleichzeitig betonte sie, dass Long oder Post Covid kein Hirngespinst sei. "Wir müssen dieses Krankheitsbild ernst nehmen, aber dazu gehört eine ehrliche wissenschaftliche Bestimmung des tatsächlichen Krankheitsrisikos."

Aber was ist die Lösung? Die drei Autoren aus den USA, England und Dänemark schlagen unter anderem vor, klarer zu definieren, worum es sich bei Long Covid eigentlich handelt. Auch dürfe ihrer Ansicht nach Long Covid nur nach Ausschluss anderer Ursachen diagnostiziert werden. Repräsentative Fälle und Kontrollen müssten in Studien einbezogen werden, um Ergebnisse auf die gesamte Bevölkerung übertragen zu können. Zudem solle der vorherige physische wie mentale Gesundheitszustand der Studienteilnehmenden berücksichtigt werden, so die Autoren.