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Fragen und Antworten: Warum den USA schon wieder ein Shutdown droht

In den USA läuft ein Countdown. Kann sich der Kongress nicht innerhalb der nächsten zwei Tage auf einen Haushalt einigen, droht ein Regierungsstillstand – mit ernsten Folgen. Ein Überblick.

In Washington tickt die Uhr. Nur noch zwei Tage hat der US-Kongress Zeit, um in beiden Kammern einen neuen Haushalt für 2024 zu verabschieden. Sollten Republikaner und Demokraten auf dem Capitol Hill sich nicht bis Samstag Mitternacht einig werden, droht ein sogenannter Shutdown. Die Folgen wären gewaltig: Ein Großteil der Bundesbehörden müsste den Betrieb einstellen, hunderttausende Staatsbedienstete würden in den unbezahlten Zwangsurlaub geschickt und zahlreiche Museen und Nationalparks müssten schließen.

Während der Senat in letzter Minute eine parteiübergreifende Übergangslösung präsentiert hat, sind die Fronten im republikanisch geführten Repräsentantenhaus weiter verhärtet. Um auf den Worst Case vorbereitet zu sein, hat das Weiße Haus die Behörden inzwischen angewiesen, Notfallpläne zu erarbeiten.

Die wichtigsten Fragen und Antworten rund um den drohenden Shutdown im Überblick:

Warum droht den USA ein Regierungsstillstand?

Unter dem Anti-Defizit-Gesetz dürfen amerikanische Bundesbehörden ohne einen vom Kongress verabschiedeten Haushaltsplan kein Geld ausgeben oder leihen. Schaffen es Senat und Repräsentantenhaus nicht bis Ende September, zwölf thematisch gesonderte Ausgabengesetze zu verabschieden, wird der Stillstand der Regierung eingeleitet. Werden vor Fristende nur einige, aber nicht alle Pläne bewilligt, spricht man von einem teilweisen Shutdown.

Jedes Jahr liefern sich Demokraten und Republikaner aufs Neue erbitterte Auseinandersetzungen über Fragen der Finanzierung. Für gewöhnlich behilft sich der Kongress daher mit einem kurz vor knapp verabschiedeten Übergangshaushalt, nur um dann ein paar Monate später erneut über die Finanzierung der Regierungsgeschäfte zu ringen. Doch selbst die Einigung auf eine Notlösung steht in dem gespaltenen Kongress in den Sternen. Während sich der demokratisch geführte Senat am Dienstag auf einen parteiübergreifenden Kompromiss verständigen konnte, ist die Lage in der republikanisch dominierten Abgeordnetenkammer verfahrener denn je. Jede Abstimmung, die der konservative Kammer-Sprecher Kevin McCarthy in den vergangenen Tagen ins Felde führte, wurde vom Rechtsaußen-Flügel konsequent abgeschmettert.

McCarthy steht vor der Qual der Wahl: Entweder er feilscht weiter mit den rechten Hardlinern, die auf massive Ausgabenkürzungen drängen – oder er geht einen Kompromiss mit den Demokraten ein, der sein eigenes politisches Aus bedeuten könnte (lesen Sie hier mehr dazu).

Wo liegen die Streitpunkte bei den Republikanern?

Nach mehreren gescheiterten Abstimmungen liegen die Nerven in der republikanischen Fraktion blank. Während die Mitglieder des rechten „Freedom Caucus“ argumentieren, mit ihrem Stimmentzug für „traditionelle republikanische Werte“ einzutreten, wirft der Großteil ihnen parteischädigende Blockadetaktiken vor. Einige moderate Konservative fordern Sprecher McCarthy deswegen dazu auf, direkt mit den Demokraten im Senat in Verhandlungen zu treten und so die Hardliner zu umgehen.

Doch für McCarthy persönlich könnten die Folgen fatal sein. Keine neun Monate ist es her, dass er sich wegen des rechten Flügels durch 15 Wahlgänge quälen musste, bis sie ihm den Sprecherposten überließen. Die Zugeständnisse – unter anderem, dass ein einzelner Abgeordneter reicht, um ein Misstrauensvotum gegen ihn auszulösen – fallen ihm nun auf die Füße. Eine Drohung, die mit Blick auf einen Demokraten-Deal ganz offen geäußert wurde. Während McCarthy die Zeit wegrennt, begrüßt der rechte Flügel den drohenden Regierungsstillstand inzwischen offen als Verhandlungstaktik, um seinen Willen durchzusetzen.

Was passiert bei einem Shutdown?

Scheitert der Kongress an der Einigung auf einen Haushaltsplan, sendet das Weiße Haus am 1. Oktober eine Anordnung an alle Regierungsbehörden: Der Shutdown wird eingeleitet. Seit 1976 gab es insgesamt 21 Shutdowns, die zu unterschiedlich starken Beeinträchtigungen der Regierungsgeschäfte führten. Der letzte und längste war im Jahr 2018, bei dem rund die Hälfte der Staatsangestellten 34 Tage lang nicht arbeiten konnte. 

Die gute Nachricht: Nicht mehr alles würde sofort zum Stillstand kommen. Das Weiße Haus verfügt inzwischen über einen relativ großen Ermessensspielraum, um Mitarbeiter weiter zu beschäftigen oder nach Hause zu schicken. So würden die wichtigsten Gewerke, wie das Militär und die Strafverfolgungsbehörden, ihre Arbeit fortsetzen. Auch im Innenministerium würden viele Angestellte weiterhin zur Arbeit erscheinen, während die meisten Beschäftigten im Handelsministerium eher aufgefordert werden würden, zu Hause zu bleiben.

US-Präsident Joe Biden winkt von einer Bühne

Ein Streik in der US-Automobilindustrie wird für Joe Biden zum Dilemma. Einerseits rühmt er sich als „Gewerkschafts-Präsident“, andererseits kann er es sich im Wahlkampf nicht leisten, dass die Wirtschaft Schaden nimmt

Die schlechte Nachricht: Der Lohn fällt für alle flach. Unabhängig davon, ob sie arbeiten oder beurlaubt sind, wird keiner der rund 4,5 Millionen Staatsbediensteten während eines Shutdowns bezahlt. Zwar erhalten sie eine Gehaltsnachzahlung, sobald der Haushalt steht, doch für viele bedeutet es, gezwungenermaßen an die Reserven zu gehen.

Welche Bereiche wären konkret betroffen?

In den ersten Tagen würden die meisten Amerikaner kaum einen Unterschied bemerken. Viele wichtige Behördendienste laufen auch während des Stillstands weiter. Kreditzahlungen auf Staatsschulden würden geleistet und die Schecks der Sozialversicherung zugestellt werden. Ebenso wie die Post. 

Doch je länger ein Shutdown dauert, desto sichtbarer werden die Folgen im Alltag der Bürger. Sozialleistungen wie Lebensmittelmarken und verlängerte Kitabetreuung für einkommensschwache Familien oder Veteranen könnten vorübergehend ausgesetzt werden. Studierende dürften sich nicht mehr auf das pünktliche Eintreffen ihrer Studienkredite verlassen, während Kleinunternehmen ihrerseits vergebens auf die Genehmigung von Krediten warten müssten.

Im Reiseverkehr, vor allem an Flughäfen, würde es durch den Personalmangel zu erheblichen Verzögerungen kommen. Reisende müssten sich auf längere Wartezeiten und gecancelte Flüge einstellen. Einige kleinere Flughäfen wurden beim letzten Mal komplett geschlossen. Sollte der Shutdown länger als ein paar Tage andauern, müssten zudem zahlreiche öffentliche Einrichtungen wie Nationalparks und Museen schließen oder ihren Betrieb einschränken. Auch staatliche Hilfsprogramme wären nicht mehr in der Lage, dringend benötigte Unterstützung zu leisten – wie beispielsweise für die Opfer der tödlichen Waldbrände auf der Hawaii-Insel Maui.

Was bedeutet ein Shutdown für die Wirtschaft?

Auch hier gilt: Je länger, desto schlimmer.

Die Staatsausgaben machen etwa ein Viertel des US-Bruttoinlandsprodukts aus, sodass eine plötzliche Verlangsamung dieser Ausgaben spürbare wirtschaftliche Folgen nach sich ziehen könnte. Analysten von Goldman Sachs gehen davon aus, dass ein Shutdown das BIP-Wachstum pro Woche um 0,2 Prozentpunkte schmälern würde. Zum Vergleich: Nach einem fünfwöchigen teilweisen Shutdown im Jahr 2019 schätzte das Haushaltsbüro des Kongresses, dass den USA rund 11 Milliarden Dollar verloren gegangen waren, wovon drei Milliarden nicht wiederhergestellt werden konnten. 

Eine Straße mit dem Schild Tesla Road

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Ein Stillstand in diesem Jahr könnte jedoch zu höheren Verlust führen, da er mehr Bundesbehörden treffen würde. Hinzu kommt, dass die Wirtschaft in diesem Herbst bereits mit einer Reihe von Unsicherheiten konfrontiert ist: hohe Zinssätze, ein historischer Streik in der Automobilindustrie (lesen Sie hier mehr dazu) sowie die unter der Biden-Regierung wieder aufgenommenen Tilgungen für Studienkredite.

Welche Folgen hätte ein Stillstand für Präsident Biden?

Für US-Präsident Joe Biden, der aktuell um eine zweite Amtszeit im Weißen Haus kämpft, wäre ein Shutdown politisch fatal. Zum einen würde eine Haushaltssperre viele seiner hart errungenen Vorhaben – wie der „Inflation Reduction Act“ – vorerst auf Eis legen. Zum anderen dürften sich seine bereits schwächelnden Beliebtheitswerte noch weiter verschlechtern. Mehr als die Hälfte der Amerikaner gibt laut einer aktuellen Umfrage an, dass sie von einem Stillstand persönlich betroffen wäre. 68 Prozent sagen, dass der drohende Shutdown ihr Vertrauen in die Regierung verringert.

Auch Bidens größter Konkurrent im Wahlkampf – Ex-Präsident Donald Trump – stachelt seine Partei gegen den Präsidenten auf. „Die Republikaner haben bei der Schuldenobergrenze eine große Niederlage erlitten, haben nichts bekommen und sind nun besorgt, dass man ihnen die Schuld an der Haushaltssperre geben wird. Falsch!!! Wer auch immer Präsident ist, wird dafür verantwortlich gemacht werden“, polterte Trump bei „Truth Social“ und forderte: „Wenn ihr nicht alles bekommt, schaltet [die Regierung] ab.“

Den Preis dafür müsse „jeder in Amerika zahlen“, konterte Biden. Die ganze Wahrheit lautet wohl: auch er selbst.

Gibt es noch Hoffnung auf eine Übergangslösung?

Ja, aber sie schwindet von Stunde zu Stunde. 

Mit 77 zu 19 Stimmen hatten die Senatoren am Dienstag für den Entwurf eines kurzfristigen Übergangshaushalts gestimmt. Dieser würde die Finanzierung der Bundesbehörden zumindest bis zum 17. November garantieren. Doch der Vorschlag, über den noch abschließend im Senat abgestimmt werden muss, enthält auch sechs Milliarden Dollar (rund 5,7 Milliarden Euro) an zusätzlicher Hilfe für die Ukraine – ein No-Go für den rechten Republikaner-Flügel im Repräsentantenhaus.

In einem ersten Anzeichen, auf wessen Seite sich Sprecher McCarthy schlägt, erklärte er am späten Dienstagabend, überhaupt keine Mittel für Kiew bereitstellen zu wollen. „Sie stellen die Ukraine über die Amerikaner“, sagte er und forderte stattdessen Geld zur Bekämpfung der illegalen Einwanderung in die USA. Es sei „die falsche Priorität“, sich auf die Ukraine anstatt auf die südliche US-Grenze zu konzentrieren, so McCarthy.

Fest steht, so verhärtet wie die Fronten bei den Republikanern derzeit sind, würde eine Einigung an ein kleines Wunder grenzen. Ein Blick in die Vergangenheit zeigt jedoch, dass, wenn Kompromisse auf dem Capitol Hill zustande kamen, dann fast immer in letzter Minute.

Dieser Artikel ist zuerst bei stern.de erschienen.

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