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Frauen fordern FIFA-Ausschluss: Irans Fußballer zwischen Solidarität und WM-Aus

Die Fußballer der iranischen Nationalmannschaft solidarisieren sich mit den Demonstranten in ihrer Heimat, die für Frauenrechte kämpfen. Damit beweisen sie Mut, ein früherer Kollege wird festgenommen. Eine Frauenrechtsbewegung im Land fordert die FIFA derweil auf, den Iran von der WM auszuschließen.

Findet die Fußball-Weltmeisterschaft in Katar ohne die Mannschaft des Iran statt? So ist es zumindest der Wille der iranischen Frauenrechtsbewegung "Open Stadiums". Sie hat die FIFA aufgefordert, das Team vom Turnier auszuschließen. "Warum sollte die FIFA dem iranischen Staat und seinen Vertretern eine weltweite Bühne geben?", schreibt "Open Stadiums" in einem Brief an FIFA-Präsident Gianni Infantino persönlich. Sie setzt sich gegen Diskriminierung von Frauen ein und fordert seit Jahren etwa den ungehinderten Zugang von Frauen zu Fußballstadien im Iran.

"Dieser Staat lehnt es nicht nur ab, Grundrechte und Menschenwürde zu respektieren. Er foltert und tötet sein eigenes Volk", heißt es in dem Schreiben. "Wo sind die Grundsätze der FIFA-Statuten in dieser Hinsicht? Wir fordern die FIFA auf, den Iran unverzüglich von der WM 2022 in Katar auszuschließen."

Hintergrund sind die aktuellen Vorfälle um den Tod von Mahsa Amini. Sie war wegen eines angeblich "unislamischen Outfits" von der Sittenpolizei festgenommen worden. Die 22-Jährige soll ihre Kopfbedeckung, den Hijab, nicht den Vorgaben entsprechend getragen haben. Was nach ihrer Festnahme genau geschah, ist unklar. Amini war ins Koma gefallen und am 16. September im Krankenhaus gestorben. Seitdem gibt es landesweite Proteste gegen die Regierung, sie werfen der Polizei die Tötung der Frau vor, die Behörden bestreiten dies.

Den Ausschluss der iranischen Nationalmannschaft begründet "Open Stadiums" mit den Artikeln 3 und 4 der FIFA-Statuten. In diesen steht, dass alle international anerkannten Menschenrechte zu respektieren sind und der Schutz dieser zu fördern ist. Zudem steht Diskriminierung unter Strafe. Die FIFA beantwortete eine Anfrage von ntv.de bislang nicht, wie sie zu der Forderung steht.

Ex-Nationalspieler festgenommen

Mindestens 76 Menschen sollen seit Beginn der Proteste von der Polizei getötet worden sein, so die Menschenrechtsorganisation Iran Human Rights. "Sowohl der Aufstand im Iran nach der Ermordung von Mahsa Amini als auch das brutale Durchgreifen des Regimes gegen das protestierende iranische Volk sind uns leider sehr vertraut und bringen weiblichen Fußballfans im Iran viele schreckliche Erinnerungen zurück", heißt es in dem Brief von "Open Stadiums" weiter.

Jahrelang ist es ihnen dort verboten, ein Stadion zu besuchen. Sie prangern Infantino daher an: "Sie haben wiederholt öffentlich zugesagt, dass die FIFA diese schwere Menschenrechtsverletzung aufklären wird, aber wir sind leider zu dem Schluss gekommen, dass dies alles leere Worte und Versprechungen waren. Nichts hat sich geändert." 2019 hatte Infantino den Iran aufgefordert, Frauen ins Stadion zu lassen. Seitdem ist dies möglich, doch im März 2022 wurden Frauen dann wieder mit Pfefferspray daran gehindert, einem Spiel des Iran gegen den Libanon beizuwohnen.

In Ex-Fußball-Profi Ali Karimi, der einst für den FC Bayern und den FC Schalke 04 spielte, haben die Protestierenden einen bekannten Mitstreiter. Auf Twitter verbreitet er Botschaften der Unterstützung, auch solche, in denen er das Regime anprangert. Dafür geriet er selbst ins Blickfeld, ARD-Journalistin Natalie Amiri berichtete, dass das Haus des Ex-Profis beschlagnahmt wurde. Er postete dazu bei Twitter ein Foto einer blockierten Haustür mit den Worten: "Ein Haus ohne Land ist wertlos." Karimi selbst befindet sich nicht mehr in seinem Heimatland, in das er nach Ende seiner Karriere zurückgezogen war. Er ist inzwischen in Dubai, heißt es übereinstimmenden Berichten zufolge. Die iranische Nachrichtenagentur Fars News teilte nach Bekanntwerden der Beschlagnahmung mit, dass diese beendet sei und Karimi sein Haus sowie weitere Besitztümer vor seinem Wegzug nach Dubai verkauft haben soll. An dieser Mitteilung gibt es aber große Zweifel.

Am Donnerstagabend postete Karimi bei Twitter ein Foto und den Namen Hossein Mahinis sowie ein gebrochenes Herz und ein weinendes Emoji. Der 36-jährige frühere Nationalspieler ist "auf Anordnung der Justizbehörden" festgenommen worden, "weil er auf seinen Seiten in den sozialen Medien zu Unruhen aufgerufen und diese unterstützt hatte", teilte die staatliche Nachrichtenagentur IRNA mit.

"Schämt euch alle"

Auch die aktuellen Nationalspieler selbst positionieren sich eindeutig. Zuletzt waren die Mannschaft für ein Trainingslager sowie Testspiele in Österreich. Bei der Partie gegen den Senegal (1:1) war die gesamte Startelf in schwarzen Jacken aufs Spielfeld gekommen, die Trikots mit dem Wappen waren so während der Nationalhymne verdeckt. Zuschauer waren zu dem Spiel nicht zugelassen.

Einige von ihnen solidarisieren sich zudem mit Worten mit den Menschen, die im Iran gegen die Herrscher aufbegehren. So etwa Mannschaftskapitän Ali-Resa Dchahanbachsch: "Wir sind immer auf der Seite des Volkes, das in diesen Tagen nichts anderes fordert als seine grundsätzlichen Rechte", schrieb er nach einem Trainingslager in Österreich, bei dem die Spieler seiner Aussage zufolge keinen Internetzugang haben durften. Auch Stürmer Mehdi Taremi meldete sich bei Instagram zu Wort: "Ich schäme mich (als Iraner), wenn ich die Bilder der letzten Tage sehe." Gewalt sei inakzeptabel und könne die Probleme nicht lösen. Andere Spieler äußerten sich nicht explizit, färbten aber ihre Profile schwarz ein.

Der Leverkusener Stürmer Sardar Azmoun war einer der ersten, der sich verbündet hatte. Mit deutlichen Worten hatte er die Machthaber attackiert: "Schämt euch alle, wie leichtfertig Menschen ermordet werden. Lang leben die iranischen Frauen." Ein Schweigen könne er nicht weiter ertragen. Sollte er dafür aus der Nationalmannschaft geschmissen werden, wäre dies "ein kleines Opfer im Vergleich zu jeder einzelnen Haarsträhne einer iranischen Frau". Sein Post wurde später wieder gelöscht. Doch die Worte des 27-Jährigen waren bereits in der Welt, er ein gefeierter Held.

Von den 27 Spielern, die Nationaltrainer Carlos Queiroz für den Österreich-Trip berufen hatte, spielen 16 in Vereinen außerhalb des Irans. Sieben weitere haben bereits im Ausland gespielt. Sie haben also selbst Erfahrungen mit anderen Lebensweisen und anderen Staatsführungen gemacht. Ihre Proteste und ihre große Plattform sind für das iranische Regime potenziell eine Bedrohung. Die Spieler begeben sich damit selbst in Gefahr, von den Testspielen in Österreich war aber niemand ausgeschlossen worden.

Würde die FIFA Proteste dulden?

Ob dieses großen Aufsehens ist fraglich, ob ein Ausschluss des Irans der sinnvollste Weg ist, die Machthaber zu bestrafen. Geplant ist, dass der Iran in Vorrundengruppe B auf die USA, England und Wales trifft. Die Aufmerksamkeit für die Nationalspieler ist definitiv größer, wenn sie beim Turnier dabei sein können. Sie haben dann ein Milliardenpublikum, das verteilt ist über die ganze Welt.

Allerdings ist der WM-Gastgeber Katar nach dem Ende der "Meinungsverschiedenheiten" im Januar 2021 wieder ein Verbündeter des Iran, ebenfalls ein muslimisches Land und wegen anhaltender Menschenrechtsverletzungen in der Kritik. Es ist daher fraglich, wie sie sich die WM-Organisatoren bei eventuellen Protesten verhalten würden. Und damit auch, wie stark der Druck auf die FIFA ist. Zumal deren Chef, Infantino, seinen Wohnsitz nach Doha verlegt hat.

Zuletzt hatte die FIFA allerdings mehrfach politische Botschaften geduldet, obwohl diese eigentlich verboten sind. Doch beim Knien von Spielern nach dem Tod George Floyds als Unterstützung für die Demonstranten gegen Polizeigewalt in den USA und auch bei der Botschaft des DFB-Teams und Norwegens für Menschenrechte hatte die FIFA Sanktionen abgelehnt.

Für den Iran ist diese WM ohnehin schon eine politische Aufregung. Das letzte Gruppenspiel findet für die Mannschaft am 29. November statt - es ist das Spiel gegen die USA. Das Spiel zweier Länder, die politisch verfeindet sind. Nur zwei Duelle hat es bislang gegeben, 1998 in der WM-Gruppenphase und zwei Jahre darauf ein Testspiel. Für den Iran wird dieses Gruppenspiel aller Wahrscheinlichkeit nach der letzte Auftritt bei der WM sein, ein Weiterkommen ist so gut wie ausgeschlossen. Bislang war die Frage, wie der Iran dabei auftritt. Nun ist die Frage, ob der Iran überhaupt auftritt.