
Robin Gosens konnte den blamablen DFB-Auftritt nach seiner Einwechslung noch persönlich miterleben
Foto:IMAGO/Matthias Koch
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Hereinspaziert: Nico Schlotterbeck lief als Linksverteidiger auf, und weil Hansi Flick ja nun seine EM-Elf finden will, ist davon auszugehen, dass er diese Variante tatsächlich für die beste hält. Spoiler: Sie ist es nicht. Vor dem ersten Gegentor vernaschte Japans Rechtsverteidiger Yukinari Sugawara den Dortmunder und flankte nach innen auf Junya Ito (11. Minute). Auch beim zweiten Gegentreffer kam Schlotterbeck gegen Sugawara nicht in den Zweikampf, in der Mitte traf Ayase Ueda (22.). Der einst so agile Verteidiger wirkte hüftsteif – und anschließend maximal verunsichert. Ein Sinnbild für die ganze deutsche Mannschaft.
Ergebnis: Deutschland verliert sein drittes Testspiel in Folge. Dabei war das 1:4 (1:2) gegen Japan keine Niederlage, sondern eine Blamage auf der ganzen Linie. »Man muss zugeben, dass man spielerisch mit solchen Mannschaften nicht auf Augenhöhe ist«, sagte Neu-Kapitän İlkay Gündoğan nach dem Spiel mit entwaffnender Ehrlichkeit. Hier können Sie das Spiel im Minutenprotokoll nachlesen. Hier finden Sie die ausführliche Meldung.
Viel vorgenommen: Die DFB-Elf startete mit viel Schwung in die Partie und attackierte die Japaner früh. Nur: Die Anfangseuphorie hielt nur wenige Minuten, nach der frühen japanischen Führung kehrte das Phlegma zurück.
Manchester Deutschland: Hansi Flick hatte Joshua Kimmich, dem er vor wenigen Monaten noch eine Mentalität wie Michael Jordan attestiert hatte, vor dem Spiel ordentlich rasiert. Neuer Kapitän ist Gündoğan. Kimmich spielt nicht mehr auf seiner Lieblingsposition im Zentrum, sondern wieder rechts hinten. Im deutschen Spielaufbau rückte Kimmich ins Zentrum, sozusagen als dritter Sechser, was das Offensivspiel ankurbeln sollte, hinten aber eine Lücke ließ. Manchester City spielt seit Jahren ähnlich, aber ob es eine gute Idee ist, einer verunsicherten Nationalmannschaft die Spielidee der besten Klubmannschaft der Welt überzustülpen?
So kann’s gehen: Nach vorne entfaltete die Idee zumindest manchmal Wirkung. In der 19. Minute spielte der nach innen gerückte Kimmich auf Gündoğan, der zu Wirtz weiterleitete. Der formstarke Leverkusener steckte auf den ebenfalls im Saft stehenden Leroy Sané durch, der das 1:1 erzielte (19.). Es war eine der wenigen gelungenen Offensivaktionen, kurz nach dem Ausgleich fiel aber über die linke Schlotterbeck-Seite das 1:2.
Nico Schlotterbeck gegen Junya Ito
Foto: IMAGO/Susanne Hübner; Susanne Huebner / IMAGO/Susanne HübnerFliegt: Dass das deutsche Trainerteam der Mannschaft bei der WM in Katar zur Motivation einen Film fliegender Graugänse gezeigt hatte, diese Anekdote aus der jüngst veröffentlichten Amazon-Doku , sollte schon jetzt ihren Platz im Deutschen Fußballmuseum sicher haben. Was Flick seiner Mannschaft vor dem Japan-Spiel gezeigt hat, ist nicht überliefert, gebracht hat es aber augenscheinlich wenig. Man kann für die Graugänse aus dem Video nur hoffen, dass sie nicht so abgestürzt sind wie die deutsche Mannschaft.
Pfiffe: Zur Halbzeit gab es in der voll besetzten Wolfsburger Arena Pfiffe von den Rängen. Auch wenn es nicht öffentlich so kommuniziert wird, das Schicksal von Flick als Bundestrainer ist nach der desaströsen Testspielserie im Juni eng mit den Testspielen gegen Japan und am Dienstag gegen Frankreich verbunden. Werbung in eigener Sache konnten weder der Trainer noch die Mannschaft machen.
Glück gehabt: Besser wurde es zu Beginn der zweiten Hälfte nicht. Japan spielte mit Offensivdrang, Deutschland mit Fehlern. Ein Schuss von Hidemasa Morita krachte ans Außennetz, Marc-André ter Stegen parierte gegen Daichi Kamada. Der Barcelona-Keeper verhinderte eine höhere Pleite – zumindest vorerst.
Debüt: In der 63. Minute nahm Flick Emre Can und Nico Schlotterbeck runter, die beiden Dortmunder waren in einer schwachen Mannschaft noch auffällig schwach. Es kamen Robin Gosens und im Mittelfeld Pascal Groß. Der 32-Jährige von Brighton feierte sein DFB-Debüt bei einer Partie, die er wohl schnell gerne vergessen würde.
Minute 67: Beim denkwürdigen WM-Spiel gegen Japan im November 2022, als Deutschland gegen Japan das Vorrundenaus einleitete, wurde die 67. Minute zur Schicksalsminute. Flick wechselte damals den starken Gündoğan aus und Leon Goretzka ein, das Spiel kippte, Deutschland verlor nach Führung noch 1:2. Goretzka stand dieses Mal gar nicht im Aufgebot, sollte das nach Cans Leistung aber künftig wieder tun. Und Gündoğan? Zeigte eine unauffällige Leistung, mehr nicht. In Minute 67 passierte dieses Mal nichts.
Bedient: Emre Can und Antonio Rüdiger
Foto: Julian Stratenschulte / dpaKeine Unterstützung: Kai Havertz holte jüngst zum Rundumschlag gegen die Öffentlichkeit und die Fans aus. In Abwesenheit des verletzten Niclas Füllkrug besetzte Havertz das Sturmzentrum und spielte so unauffällig, dass er wohl kaum Kritik fürchten muss. Den meisten Zuschauern dürfte bis zu seiner Auswechslung nicht aufgefallen sein, dass der so hoch veranlagte Arsenal-Spieler überhaupt dabei war.
Was ist das? Bochums Takuma Asano wurde vor der WM zur Internetsensation. Nach einer Einschätzung zu Hansi Flick gefragt, antwortete der Bochumer mit einer Frage. »Hansi Flick, was ist das?« Bei der WM traf er dann für Japan gegen Deutschland, er wird nun wissen, was ein Hansi Flick ist. Nun im Testspiel kam er spät in die Partie, erzielte in der 90. Minute noch das 1:3 aus deutscher Sicht und könnte nun fragen: »Hansi Flick, wie lange noch?«
Blamage: Nach dem Treffer von Asano, als ohnehin schon alles egal schien, legte Japan in der Nachspielzeit das 4:1 durch Ao Tanaka danach. Der spielt sonst in der Zweiten Liga bei Düsseldorf und durfte einköpfen, nachdem Japan sich ohne Mühe durch kombinierte. Es folgte ein gellendes Pfeifkonzert und laute »Hansi raus!«-Rufe.
Die Fans haben ihr Urteil über Hansi Flick gefällt
Foto: Swen Pförtner / dpaEhrlich: »Ich glaube nicht, dass man der Mannschaft einen Vorwurf machen kann«, sagte Flick nach dem Spiel bei RTL. Was bedeutet, dass man jemandem anderen einen Vorwurf machen kann? Etwa dem Bundestrainer?
So geht’s weiter: Am Dienstag in Dortmund geht es gegen Vize-Weltmeister Frankreich um Kylian Mbappé (21 Uhr, TV: RTL, Liveticker: SPIEGEL.de). Man mag sich nicht vorstellen, was die französische Offensive mit dieser verunsicherten Mannschaft anstellt.