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Gegen BVB ins Glück getuchelt: Der FC Bayern ringt um Stolz und Glaubwürdigkeit

Der FC Bayern setzt ein Statement. Mit einer phasenweise beeindruckenden Leistung wird der BVB zerlegt und die Tabellenführung zurück nach München geholt. Trainer Thomas Tuchel sieht noch Luft nach oben. Die Bosse bekommen derweil neuen Gegenwind.

Fast exakt eine Stunde nachdem Oliver Kahn dem TV-Experten Lothar Matthäus für dessen Abrechnung mit den Münchnern kräftig die Leviten gelesen hatte, rückte der FC Bayern am Samstagabend die Machtverhältnisse im deutschen Fußball auf erdrückende Weise wieder gerade. Kaum hatte die Mannschaft des neuen Trainers Thomas Tuchel das 2:0 gegen ein hernach völlig eingeschüchtertes Borussia Dortmund erzielt, sprang Kahn auf und klatschte begeistert. Wie auch Sportvorstand Hasan Salihamidžić. Wie auch Präsident Herbert Hainer. Dieses Trio hatte sich in den vergangenen anderthalb Wochen massive Kritik wegen des entlassenen Julian Nagelsmann anhören müssen. Sie hätten den Stil des FC Bayern mit Füßen getreten, schimpfte unter anderem Matthäus.

Was passiert war (eine "Katastrophe", so Kahn), konnten sie nicht rückgängig machen. Aber was vor ihnen lag, das konnten sie beeinflussen. Und taten das mit Stil. Am Ende einer Spaß-Woche an der Säbener Straße, die die "Bild"-Zeitung bestens dokumentiert hatte, bretterte der FC Bayern in der heimischen Arena als erbarmungslose Lawine und den BVB hinweg, siegte 4:2 (3:0) und holte sich am 26. Spieltag die vom aufmüpfigen Rivalen zuvor stibitzte Tabellenführung zurück. Voller Stolz spazierte Hainer später durch die Katakomben der Arena. Wie einst sein Vorgänger Uli Hoeneß. Nur weniger polternd. Aber der Präsident konnte kaum verhehlen, dass er sich als Gewinner fühlte. Nicht nur wegen des Erfolgs auf dem Rasen. "Der Sieg war überzeugend, aber wir hätten auch sechs, sieben oder acht Tore schießen können", sagte Hainer und schwärmte für den neuen Mann an der Linie, der "sehr durchdacht" ist, ein "fachlich hoch qualifizierter Trainer" sei und dem FC Bayern "guttut".

"Deutscher Meister wird nur der FCB"

Solche Dinge hatten sie sich in München auch über Julian Nagelsmann erzählt. Bis zuletzt sogar. Doch dann schlug die Härte des Geschäfts gnadenlos zu. Weil die Macher des Rekordmeisters die Ziele in Gefahr sahen, wurde ratzfatz gehandelt. Nagelsmann musste gehen. Tuchel durfte kommen. Über die Umstände wurde viel diskutiert. Der FC Bayern kam dabei nicht gut weg. Und eigentlich, so hatten sie gehofft, sollte die sportliche Lawine, die die Mannschaft gegen die Borussia ausgelöst hatte, all diese Misstöne mitreißen und den Blick auf das freilegen, was der Verein so gerne ist: die Nummer eins im deutschen Fußball. Aber es kam anders. Auf den Tribünen sangen sie derweil nach 23 Minuten bereits: "Deutscher Meister wird nur der FCB". Es war eine wild gebrüllte Erlösung. Niemand im Stadion glaubte daran, dass sich die Dinge auf dem Rasen ändern würden.

Auf den Tribünen hatten sie indes nur am Rande mitbekommen, was sich vor dem Anpfiff ereignet hatte. Bei Sky giftete Kahn gegen Matthäus. Es ging um das "Mia san mia". Matthäus sieht das in München verloren. Nicht erst seit dem Aus von Nagelsmann. Kahn sieht dagegen eine Kampagne des Ex-Kollegen und wehrte sich abermals dagegen, dass sein Klub schäbig gehandelt habe: "Die Unterstellungen, wir würden den Stil des FC Bayern nicht wahren, also da wäre ich mal ganz, ganz vorsichtig." Während die Fußballer danach darum bemüht waren, den Stolz des Vereins wieder herzustellen, krachte es neben dem Feld weiter. Matthäus warf Kahn in der Halbzeit bei "t-online" sogar noch Lügen vor. Und Nagelsmanns Management ließ später zu den grotesken Umständen der Entlassung via Sky verbreiten, es habe vor den Medienberichten am vorvergangenen Donnerstag "keinen Kontakt und keinen Kontaktversuch der Bayern" gegeben. Das Management von Nagelsmann habe "selbst nach diversen Gerüchten in den Medien bei Hasan Salihamidžić angerufen."

Das Geschäft Fußball hatte im Fall Nagelsmann wieder einmal seine brutale Seite offenbart. Je näher das Spiel gerückt war, desto weniger war über den Ex-Coach gesprochen worden. In den ersten Tagen bewegte sogar der neue Job seiner Freundin die Menschen. Doch nun war Tuchel. Ganz vergessen wollten die Spieler ihren "Ex" aber nicht. Vor allem Joshua Kimmich nicht, der sein wichtigster Vertrauter war. "Es ist jetzt nicht so, dass alles gelöscht ist, was davor beim Trainer war. Generell ist das immer eine emotionale Geschichte, weil in erster Linie zeigt das, dass wir Spieler nicht unsere Leistung auf den Platz bekommen haben", sagte Kimmich, der nach der Auswechslung von Müller die Kapitänsbinde trug. "Ich bin jetzt in meiner achten Saison, das ist jetzt mein siebter Trainer. Das spricht dann auch nicht immer für uns Spieler."

Kobels Patzer befreit den FC Bayern

An einem Abend, an dem doch alles hatte gut werden sollen, rangen die Münchner plötzlich wieder um die eigene Glaubwürdigkeit. Dieser Status bröselt, der der besten Mannschaft im Land dagegen nicht. Die Risse in diesem Fundament, das den Klassiker nach langen Jahren mal wieder zu einem echten Topspiel hatte werden lassen, wurden beeindruckend verdichtet. Mit ein bisschen Glück, aber vor allem mit ihrer zermalmenden Klasse. Nervös waren die Münchner gestartet. Alphonso Davies unterliefen gleich drei einfache Fehler, Joshua Kimmich spielte ein fahrigen Pass, Leon Goretzka ebenso. Die Dortmunder agierten selbstbewusst, Marco Reus brach früh durch, wurde von Matthijs de Ligt aber gerade noch gestoppt (7.). Doch sechs Minuten später war es um den BVB, um das Spiel und um die Liga geschehen. Dayot Upamecano spielte aus der eigenen Hälfte einen Ball, der Leroy Sané erreichen sollte, den der heraus geeilte Keeper Gregor Kobel klären wollte und dabei vorbeitrat - 0:1.

Bizarrer hätte der Untergang des BVB in den folgenden Minuten nicht eingeleitet werden können. Bis zur 23. Minute erhöhte Kapitän Thomas Müller mit seinem 25. Bundesliga-Doppelpack auf 3:0. Natürlich Müller, der immer dann am stärksten ist, wenn sich die Szene darauf vorbereitet, dass es auch eine Welt ohne Müller gibt. Bundestrainer Hansi Flick hatte die Tür dafür geöffnet, dürfte sie aber nach dem phasenweise erschreckenden Spiel gegen Belgien zuletzt aber schnell wieder zuschlagen. Ohne Müller geht es eben (noch) nicht. "Er ist einer der Spieler, die den FC Bayern verkörpern wie fast kein Zweiter", sagte Tuchel. Ihn auf ein "Trüffelschwein im Strafraum" zu reduzieren, würde Müller aber nicht gerecht. "Er hat einfach Bock zu kicken, hat einfach Bock auf Sport. Er ist sich für nichts zu schade und ein superschlauer Spieler. Gegen den Ball ist er ein Vorbild."

Leroy Sané verzaubert die Arena

Die Welt wird noch ein wenig mit dem Fußballer Müller leben. Ohne ihn geht's halt nicht. Und auch nicht ohne Larifari-Fußballer Leroy Sané. Auch der war zuletzt nicht für das DFB-Team nominiert worden. Der ehemalige Wattenscheider glänzte in den vergangenen Wochen mehr mit Unpünktlichkeit, denn mit Dribblings. Auch darüber war Nagelsmann in der Summe der Ereignisse gestolpert. Er hatte das Potenzial des Kaders nicht mehr abrufen können. Niemand war mehr Sinnbild dessen als Sané. Vielleicht noch der "Gucci"-Gnabry, Serge mit Vornamen. Wenn es nun darum ging, was Tuchel in den wenigen Tagen mit den wenigen Spielern an der Säbener Straße (viele waren bei den Nationalmannschaften) gemacht hatte, dann ging es vor allem um Sané.

Als hätte es nie eine Krise gegeben, nahm er den BVB auseinander. Per Seitenwechsel isolierten ihn seine Kollegen immer wieder und schafften ihm Platz für seine Tempoläufe gegen den überforderten Julian Ryerson. Vor dem 1:0 war er der gesuchte Zielspieler, das 3:0 bereitete er mit einem Schuss nach starkem Solo vor, den Kobel nur vor die Füße von Müller klären konnte. Und das 4:0 machte er mit einem Weltklasse-Pass durch die Abwehr des BVB möglich, den der ebenfalls nie zu kontrollierende Kingsley Coman veredelte (51.). Tuchel war glücklich und versprach, Sané weiter dabei zu "unterstützen", sein Potenzial "komplett auszuschöpfen".

"... noch richtig viel Luft nach oben"

A ber an diesem Abend, der um kurz nach halb acht so rosarot war, sah der neue Trainer auch viele Sachen, die ihm nicht gefallen hatten. In den ersten Minuten gestikulierte er wild, holte sich immer wieder an einen Spieler an die Linie, um ihm zu erklären, was er anders machen solle. "Für mich war das Spiel ein bisschen zu offen und zu wild. Wir wollen mehr Dominanz in der gegnerischen Hälfte haben", klagte Tuchel. Es gelte jetzt, betonte Tuchel bei Sky, "wie bei einer Band oder einem Orchester unseren gemeinsamen Rhythmus zu finden. Da helfen am besten Siege." Ohnehin glaube er an "das Potenzial und die Wucht" der Bayern. "Die gute Sache ist, dass wir gesehen haben, dass jeder machen wollte, was wir ausgemacht hatten. In der zweiten Halbzeit war es zu schlampig, was es mit zu vielen einfachen Ballverlusten eigentlich das ganze Spiel über war. Es gab ganz viele positive Sachen, aber gleichzeitig auch noch richtig viel Luft nach oben." Und so kassierte der FC Bayern eben auch noch zwei Gegentore. Emre Can traf per Elfmeter (72.), Donyell Malen (90.) schlenzte den Ball ins Tor.

Für die Liga ist Tuchels Urteil über den Zustand der eigenen Mannschaft vernichtend. Dass die Münchner selbst in schwersten Zeiten viel zu gut sind für die Konkurrenz, ist zwar keine neue Erkenntnis, aber eine immer wieder erschütternde. Der BVB hatte in den vergangenen Wochen das Mögliche möglich gemacht. Er hatte die Bayern in einen Kampf gezwungen, der diesen Namen verdient hatte. Aber mehr als das, geht nicht. Das Unmögliche bleibt eben unmöglich. Ein Sieg in München (und auch die Meisterschaft?). Neunmal in Serie verloren die Dortmunder nun bereits, oft verheerend. Dieses Mal im Ergebnis nicht (weil die Bayern zu fahrig spielten) und auch nicht im Bemühen, sich zu wehren. Die Machtverhältnisse im deutschen Fußball sind seit diesem Samstagabend wieder hergestellt, die Glaubwürdigkeit des FC Bayern dagegen noch lange nicht.