Germany
This article was added by the user . TheWorldNews is not responsible for the content of the platform.

Henry Kissinger wird 100: Vom Gelehrten zur Hassfigur

Ein deutscher Emigrant, der zum Nationalen Sicherheitsberater aufsteigt, ein Gelehrter, der zur Hassfigur wird: Heinz Alfred Kissinger, genannt Henry, hat seine Feinde überlebt. Heute wird er 100.

Vor 100 Jahren, am 27. Mai 1923, wurde in Fürth ein Junge namens Heinz Alfred Kissinger geboren. Vater Louis unterrichtete Erdkunde und Geschichte am Gymnasium. Die Mutter, Tochter aus wohlhabender Familie, erzog die Kinder Heinz und Walter. Später erinnert sich Henry, wie er sich in Amerika nennt, an eine große Bibliothek, in der er schmökerte, wenn er nicht Fußball spielte – was er mit Hingabe tat, als Torwart oder im Mittelfeld.

Im Jahr 1923 stand Deutschland im Bann von Revolution und Gegenrevolution, vom Zusammenbruch der alten Ordnung und der instabilen neuen. Kissinger war knapp 10, als die Nazis an die Macht gerufen wurden, und 15, als seine Familie emigrierte. Seine Vorliebe für Metternich und das systematische Ordnungsdenken erklären sich biografisch aus diesem frühen Leid.

Dr. K. war brillant

Ein starker, zivilisierter, demokratischer Staat erschien ihm unabdingbar, um die Gesellschaft an Exzessen zu hindern, wie er sie erfahren hatte. Das Exil für die Familie war Amerika. Für den hochbegabten, blitzschnell studierenden Jungen war es wie eine Traumlandschaft, in der ihm mehr gelang, als er sich vorgenommen hatte. Als Jude in Harvard eine Professur zu bekommen, war in den 1950er-Jahren eigentlich nicht vorgesehen. Aber Dr. K., wie sie ihn nannten, war brillant und zog junge begabte Menschen wie ein Magnet an.

Um die Teilnahme an seinen internationalen Sommerseminaren rissen sich die zukünftigen Professoren und Chefredakteure aus ganz Europa. Dr. K. war ein Star. Er wollte nicht nur die Vergangenheit, sondern auch die Gegenwart verstehen. In der Gegenwart standen sich zwei nuklear hochgerüstete Supermächte feindlich gegenüber und so befasste er sich mit der Philosophie der Abschreckung zur Vermeidung wechselseitiger Vernichtung.

Ihn drängte es, Geschichte zu machen

Auch in Helmut Schmidt, seinem späteren Freund, fand er einen begierigen Leser. Henry Kissinger dachte nicht nur über die Geschichte nach. Ihn drängte es, auch Geschichte zu machen. Wie sich zeigte, liebte er die Macht. Macht war für ihn ein Aphrodisiakum – als Bonmot gemeint, kam es der Wahrheit sehr nahe. Auch ein demokratischer Staat war zu Exzessen fähig und dafür lieferte Dr. Kissinger als Nationaler Sicherheitsberater des Präsidenten Richard Nixon ein abschreckendes Beispiel.

Nixon kam 1968 an die Macht. Kissinger, der ihn gerade noch verachtet hatte, wurde sein wichtigster Mitarbeiter mit ungewöhnlichen Befugnissen. 1968 hätte es vielleicht die Möglichkeit gegeben, den Vietnamkrieg zu beenden. Aber das Duo dachte sich eine erstaunliche Logik aus: Um einen ehrenhaften Frieden zu ermöglichen, sollte der Krieg eskaliert werden – mit B-52-Bombern, die nordvietnamesische Dörfer auslöschten; mit Napalm, einer Brandwaffe mit dem Hauptbestandteil Benzin, das Menschen wie Fackeln brennen ließ; mit der Ausweitung des Krieges auf das neutrale Kambodscha, ein Bruch mit dem Völkerrecht.

58.000 US-Soldaten starben in diesem Krieg. Drei Millionen Vietnamesen, darunter zwei Millionen Zivilisten, verloren ihr Leben. Und wofür? Im geschichtlichen Ringen der freien Welt mit dem Kommunismus, so sahen es Nixon und Kissinger. Ihn ihrer Paranoia trauten die beiden China und Russland, die hinter Nordvietnam standen, die Welteroberung zu.

Es mutet an wie ein Treppenwitz der Geschichte

Was für ein gigantischer Irrtum: Vom ersten asymmetrischen Krieg verstand weder der kluge Professor noch der verklemmte Präsident auch nur das Geringste. Deshalb mutet es wie ein Treppenwitz der Geschichte an, dass Dr. K., der den Krieg barbarisch verschärft hatte, für dessen Beendigung den Friedensnobelpreis 1973 erhielt. Im selben Jahr wurde er Außenminister unter Nixon und blieb vier Jahre in dem Amt.