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Innenministerin im Interview - Warum sind Sie gegen Grenz-Kontrollen?

Sie hat gerade ihre zweite Corona-Infektion mit Fieber, Erschöpfung und Bettruhe überstanden („Der Verlauf war schwierig“) und steht politisch gleich dreifach unter Druck: Innenministerin Nancy Faeser (SPD). Sie muss eine neue Flüchtlingskrise bewältigen mit über 204 000 Asylanträgen bereits in diesem Jahr.

Als Spitzenkandidatin in Hessen bleiben ihr nur noch vier Wochen bis zur Wahl, um einen Elf-Punkte-Rückstand auf die CDU wettzumachen. Und dann hat Faeser auch noch Ärger wegen der Abberufung des Cybersicherheitschefs im letzten Herbst.

Doch Nancy Faeser lässt sich den Druck nicht anmerken, erscheint pünktlich und gut gelaunt zum Interview.

BILD am SONNTAG: Trotz der hohen Migrationszahlen sind Sie gegen stationäre Kontrollen an Deutschlands Außengrenzen. Warum?

Nancy Faeser: „Weil wir Lösungen brauchen, die wirklich funktionieren. Stationäre Grenzkontrollen erfordern unglaublich viel Personal an wenigen Orten. Es ist besser, überall in den Grenzgebieten präsent zu sein – mit Teams der Bundespolizei und der anderen Grenzpolizeien. Hinzu kommt: Unter stationären Grenzkontrollen leiden die Menschen im Alltag am meisten. Denken Sie an Pflegerinnen oder Handwerker, die tagtäglich über die Grenze pendeln und dann oft im Stau stecken bleiben würden.“

Die Innenminister in den Bundesländern sehen das aber anders als Sie und fordern stationäre Kontrollen.

Nancy Faeser: „Viele Landesinnenminister sehen das wie ich. Die Forderungen aus der CDU sind ein Ausdruck von Hilflosigkeit und reine Symbolpolitik, auch angesichts der hohen Umfragewerte der AfD.“

Sie meinen, die Union lässt sich da von der AfD treiben?

Nancy Faeser: „An manchen Stellen ja. Mein Rat ist, zu handeln und Lösungen zu finden, statt die Parolen der AfD nachzuplappern.“

Wann legt die Regierung endlich dem Schleusergeschäft das Handwerk?

Nancy Faeser: „Ich will dieses grausame Geschäft mit der Not von Menschen stoppen. Deshalb habe ich diese Woche weitere Maßnahmen angeschoben. Wir richten eine Operative-Analyse-Zentrale bei der Bundespolizei ein. Diese wertet alle Fälle von Schleusungen aus, um Verbindungen zwischen den Fällen und den Tätern schnell zu erkennen. Und wir werden mit unseren Nachbarstaaten eine neue Taskforce gründen. Mein tschechischer Kollege hat mir am Freitag schon zugesagt. Damit werden wir den Fahndungsdruck deutlich erhöhen.“

Wie viele Schleuser haben Sie in diesem Jahr erwischt?

Nancy Faeser: „Etwa 1400 Schleuser. Diese Täter setzen auf schreckliche Weise Menschenleben aufs Spiel. Die Bundespolizei befreit oft Männer, Frauen und Kinder aus entsetzlichen Situationen, lebensgefährlich eingepfercht, ohne Wasser, ohne Nahrung und mit kaum Sauerstoff.“

Wir wollen Schleuser schnell und konsequent ausweisen

Viele Schleuser kommen straffrei davon. Wie kann das sein?

Nancy Faeser: „Wir wollen Schleuser schnell und konsequent ausweisen, das müssen wir klar im Gesetz regeln. Außerdem brauchen wir eine weitere Änderung: Bisher sind Schleusungen von Minderjährigen nicht strafbar, weil diese nicht unerlaubt einreisen. Das versteht niemand. Hier geht es um die schutzbedürftigsten Menschen. Schleusungen von Kindern und Jugendlichen müssen hart strafrechtlich verfolgt werden können. Einen Vorschlag habe ich schon vorgelegt.“

Wann lösen Sie endlich Ihr Versprechen nach mehr Abschiebungen ein?

Nancy Faeser: „Die Zahlen sind in diesem Jahr um rund 27 Prozent gestiegen, im ersten Halbjahr wurden 7861 Menschen abgeschoben.“

BILD am SONNTAG im Gespräch mit Nancy Faeser

BILD am SONNTAG im Gespräch mit Nancy Faeser

Foto: NIELS STARNICK / BILD

Das ist noch immer nur ein Bruchteil der Ausreisepflichtigen. Sollte die Politik nicht ehrlich eingestehen: Wer es nach Deutschland geschafft hat, wird auch hierbleiben?

Nancy Faeser: „Wir schützen Menschen vor Krieg und Terror. Und wir schaffen Wege, um dringend benötigte Arbeits- und Fachkräfte zu gewinnen. Wer aber kein Bleiberecht hat, der muss unser Land wieder verlassen. Das gilt besonders für Kriminelle und Gefährder – die müssen konsequent abgeschoben werden.“

Warum lehnen Sie es ab, Marokko, Tunesien, Algerien und Indien als sichere Herkunftsländer einzustufen, in die man leichter abschieben kann?

Nancy Faeser: „Das Kabinett hat erst vor einer Woche meinen Vorschlag beschlossen, Georgien und Moldau als sichere Herkunftsstaaten einzustufen. Georgien liegt auf Platz 6 bei Asylanträgen, die aber fast immer unbegründet sind. Mit diesen und anderen Staaten werden wir auch Migrationsabkommen schließen, die Rückführungen regeln.“

Die Union redet unser Land schlecht

Die SPD verliert in Umfragen immer mehr an Zustimmung. Liegt das auch an Ihrer zögerlichen Migrationspolitik?

Nancy Faeser: „Ich habe in der Migrationspolitik schon so viel verändert wie keiner meiner Vorgänger: Asylverfahren beschleunigt, Abschiebungen erleichtert, europäische Vereinbarungen geschlossen. Im Übrigen glaube ich, dass die politische Stimmung viele Ursachen hat. Es gibt zu viel Streit wie beim Heizungsgesetz. Wir erleben schnell aufeinanderfolgende Krisen, die Auswirkungen durch Corona und den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine. All dies führt zu tiefer Verunsicherung. Wir stehen im Sturm. Aber die Wahrheit ist, dass diese Koalition die großen Krisen bis jetzt sehr gut bewältigt hat.“

Warum hat Bundeskanzler Olaf Scholz der Union dann einen Pakt für Deutschland angeboten, wenn alles so gut läuft?

Nancy Faeser: „Die Union redet unser Land schlecht. Jetzt kann sie zeigen, dass sie wie wir an echten Lösungen interessiert ist. Beim Thema Migration beispielsweise bin ich gern bereit, CDU und CSU in den Deutschland-Pakt einzubinden. Da geht es um Fachkräfte, die wir dringend brauchen. Und da geht es um Reduzierung irregulärer Migration.“

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Dieser Artikel stammt aus BILD. Das ePaper der gesamten Ausgabe gibt es hier.