Interview mit Olaf Scholz "Großer Erfolg, dass es doch zu einer Entscheidung gekommen ist"
Bundeskanzler Scholz sieht im G20-Beschluss "eine ganz neue Form der Kooperation" zwischen dem Westen und den Ländern des Globalen Südens. Auf den Einwand, der Text bleibe hinter der G20-Erklärung von 2022 zurück, sagt Scholz: "Wenn es nach Russland gegangen wäre, wäre das alles nicht gesagt worden, was hier steht."
Nach dem G20-Gipfel in Indien hat Bundeskanzler Olaf Scholz die gemeinsam beschlossene Erklärung der Gruppe als "wichtig" bezeichnet. Der Beschluss zeige, "dass die G20 Gewicht haben", sagte er im ntv-Interview.
Scholz machte deutlich, dass er es positiv wertet, dass es überhaupt zu einer gemeinsamen Gipfelerklärung gekommen ist - zur G20 gehören auch Russland und China. Es sei "ein großer Erfolg, dass wir das so weit gebracht haben, dass es doch zu einer Entscheidung gekommen ist", so Scholz. Die Erklärung spiegele "eine ganz neue Form der Kooperation zwischen den Ländern im Norden" - hier nannte Scholz Europa und Nordamerika - "und den Ländern des Globalen Südens, in Afrika, in Asien, im Süden Amerikas".
Dass es zusammen mit diesen Staaten gelungen sei, sich "auf Punkte zu verständigen und auch Dinge festzulegen, das war wichtig", sagte Scholz mit Blick auf die Sätze zur territorialen Integrität und Souveränität von Staaten.
"Wäre es nach Russland gegangen, wäre das nicht gesagt worden"
Anders als im vergangenen Jahr nach dem G20-Treffen auf Bali, das Russlands Außenminister Sergej Lawrow vorzeitig verließ, wird der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine im Gipfelbeschluss nicht konkret angesprochen und verurteilt. Die Rede ist nur ganz allgemein von Resolutionen der Vereinten Nationen zur Verurteilung des Angriffskriegs. Außerdem enthält der Text ein Bekenntnis zur "territorialen Integrität" aller Staaten. Das passt auch zur russischen Propaganda: Der zufolge ist der Krieg gegen die Ukraine kein Krieg, sondern nur eine "militärische Spezialoperation", bei der die territoriale Integrität Russlands verteidigt wird.
Darauf angesprochen, machte Scholz klar, dass die Mehrheit der G20 sich gegen Russland und China durchgesetzt hatten. "Es ist so, dass wir hier immer einstimmig entscheiden. Und ohne 18 Länder, die das unbedingt gewollt haben, wäre das gar nicht gegangen. Wenn es nach Russland gegangen wäre, wäre das alles nicht gesagt worden, was hier steht."
Augenklappe kommt bald weg
Mit Blick auf seine Augenklappe sagte Scholz, die Wunde darunter verheile immer schneller. "Ich glaube, dass ich die Klappe irgendwann nächste Woche absetzen kann." Der Kanzler hatte sich eine Verletzung im Gesicht zugezogen, als er beim Joggen gestürzt war. Die anderen Staats- und Regierungschefs hätten sehr freundlich reagiert. "Alle haben sich danach erkundigt, wie es passiert ist, und mir beste Genesung gewünscht. Alle hatten davon auch schon gehört, denn das ist ja dann doch weltweit irgendwie wahrgenommen worden, dass ich jetzt eine kurze Zeit mit Augenklappe durch die Gegend laufe."
Die Annahme, dass der Westen in der Unterstützung der Ukraine international isoliert sei, wies Scholz zurück. "Das können wir schon daran sehen, dass auch in der Generalversammlung der Vereinten Nationen es immer wieder eine Verurteilung des Krieges gegeben hat." Dennoch gebe es in anderen Ländern "Perspektiven und Fragen, die völlig anders sind", so Scholz. Viele Staaten seien besorgt wegen der gestiegenen Energiepreise und der Gefährdung der Nahrungsmittelsicherheit. "Aber trotzdem ist mein sicherer Eindruck: Umso länger der Krieg dauert, umso mehr wird allen klar, das ist ein Angriffskrieg mit einer imperialen Ambition."
Scholz wirbt für "Unterhaken"
Mit Blick auf Kritik aus der Union an seinem Vorschlag für einen Deutschland-Pakt sagte Scholz, "bei so wichtigen nationalen Fragen geht's nicht ums Lästern, sondern ums Zusammenarbeiten". Er habe nicht nur Bundesländer und Gemeinden eingeladen, sondern "ganz bewusst die große Oppositionspartei", Vorschläge zu machen, "die für mehr Tempo in Deutschland sorgen".
Über Jahrzehnte seien "Regeln und Vorschriften gewachsen, die gar nicht mehr so umgesetzt werden können und die dazu führen, dass alles so lange dauert, was schnell gehen müsste", sagte Scholz. "Wenn wir uns da unterhaken, wäre es für unser Land das Beste." Er sagte, er sei optimistisch, dass die Opposition auch mitmache.