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Israelischer Journalist in Katar: "Ich erlebte sehr brutale verbale Angriffe"

Nach dem Spiel zwischen Polen und Saudi-Arabien (2:0) kommt es vor dem Education City Stadium zu einer verbalen Auseinandersetzung zwischen zwei Fans der unterlegenen Mannschaft und einem TV-Team. Die Saudis sind aufgebracht. Einer der Journalisten ist Moav Vardi. Er berichtet zusammen mit seinem Kollegen Yoav Borowitz von der Fußball-Weltmeisterschaft in Katar. Die beiden Journalisten sind Israelis und arbeiten für die Israeli Public Broadcasting Corporation "KAN".

Vardi, der internationaler Chefkorrespondent des TV-Senders, will sich zunächst in einem Café auf der Insel The Pearl im nördlichen Doha treffen. Aber aus Gründen der Sicherheit, und damit auch offen gesprochen werden kann, wird das Interview kurzerhand in die Wohnung der Reporter verlegt. Er spricht mit ntv.de über seine Erfahrungen der antisemitischen Gewalt in Katar - und erklärt, warum er sich trotzdem sicher fühlt.

ntv.de: Herr Vardi, wir wurden Zeuge, wie Sie nach dem WM-Spiel Saudi-Arabien gegen Polen von - wie es schien - wütenden saudischen Fans angesprochen wurden. Können Sie uns erzählen, was da passiert ist?

Moav Vardi: Sowas ist uns nicht nur während der Spiele passiert, auch auf der Straße. Wenn arabische Fans merken, dass ich Israeli bin, sagen zehn Prozent von ihnen: "Kein Problem, lass uns reden, es ist mir egal, dass du aus Israel bist." 80 Prozent von ihnen gehen dann weg, auch wenn es zu Beginn des Gesprächs so aussieht, als sei man beste Freunde. Es ist, als ob man ein Geächteter sei. Als ob sie irgendwie verängstigt wären.

Der erlebte Moment war dann eine Begegnung mit den restlichen zehn Prozent.

Genau, diese arabischen Fans haben eine sehr negative Reaktion auf uns gezeigt. Sie haben uns sogar angegriffen, aber nur verbal. Die verbalen Angriffe, die wir erlebt haben, waren dafür sehr brutal und voller verbaler Gewalt. Sie haben aber nie Hand an uns gelegt.

Yoav Borowitz mischt sich ein, berichtet von den Schlagzeilen in der israelischen Presse und wie auf einen kleinen Schubser eine große Eskalation folgen könnte. "Wenn jemand Moav jetzt schubsen würde, und ich rede nur über einen Schubser, keinen Schlag, wäre das nicht nur in Israel eine große Nachricht. Es wäre weltweit ein Thema. Dann explodiert alles", sagt er.

Ich versuche, mich den Situationen zu entziehen. Deswegen bin ich nicht nach Katar gekommen. Wir wollen derartige Konfrontationen nicht für die Kamera inszenieren. Das ist nicht die Geschichte. Ich arbeite hier. Ich möchte darüber berichten, wie die iranischen Fans über die Proteste in ihrer Heimat denken und darüber, was sie davon halten, dass ihre Nationalmannschaft die Hymne singt oder eben nicht. Diese verbalen Angriffe stören mich bei meiner Arbeit.

Können Sie konkrete Beispiele der verbalen Angriffe nennen?

Sie sagten Sachen wie: "Geht weg! Ihr seid hier nicht willkommen!" Oder: "Israel gibt es nicht, es gibt nur Palästina." Nachdem ich das erlebt habe, ist mir klar, dass das nicht nur mit politischen Ansichten zu tun hat, sondern mit sehr tiefen Emotionen und Ressentiments gegenüber Israel. Die Wut der arabischen Fans war sehr authentisch, es handelte sich nicht um eine Art politische Demonstration. Sie waren einfach sehr sauer aufgrund der Tatsache, dass ich hier bin.

Wie erklären Sie sich die Wut?

Hier in Katar gibt es eine sehr große palästinensische Gemeinschaft, genau wie in vielen anderen arabischen Staaten. Menschen, die seit Jahrzehnten hier leben, nachdem ihre Großeltern 1948 oder 1967 aus Israel und Palästina vertrieben wurden. Ihr Gefühl für die palästinensische Identität ist sehr stark, deshalb sieht man hier auch so viele palästinensische Flaggen, und deshalb ist es eine sehr persönliche Angelegenheit für sie, wenn sie mit uns in Kontakt kommen. Einige von ihnen sind politisch sehr engagiert und haben einen Instagram-Account, der sich generell gegen Israel, aber jetzt zur Weltmeisterschaft gegen die israelische Präsenz hier in Katar richtet.

Kollege Yoav Borowitz, der am Wohnzimmertisch ein WM-Spiel schaut, schaut auf und sagt: "Sie haben unsere Bilder dort hochgeladen. Die Leute erkannten mich dadurch auf der Straße und fanden mich auch online. Und in der darauffolgenden Woche war mein Instagram-Konto voll mit negativen Kommentaren wie "Verschwindet!" oder "Ihr seid hier nicht willkommen!"."

Sie posteten auch das Logo unseres Fernsehsenders auf Instagram und schrieben: "Wenn du das Logo siehst, solltest du wissen, dass dies ein israelischer Fernsehsender ist. Haltet euch von ihnen fern und sprecht nicht mit ihnen." Als Journalist steht man für etwas Größeres. Man wird als Megafon wahrgenommen.

Wie hat sich das auf Ihre Berichterstattung ausgewirkt?

Eines Abends machte Yoav eine Reportage mit dem Mikrofon hier draußen auf der Insel The Pearl. Ich kam vorbei und dann kamen etwa sieben Typen und fragten uns, ob wir aus Israel seien. Ich antwortete: "Woher wisst ihr das?" Sie zeigten auf das Logo und sagten, dass es überall in den sozialen Medien zu sehen sei. Dann fing es automatisch an: "Ihr seid hier nicht willkommen, warum seid ihr hier, geht weg, ihr gehört nicht hierher, geht dahin zurück, wo ihr hergekommen seid". Daraus wurde eine hitzige Diskussion, es kamen immer mehr Leute.

Hatten Sie Angst um Ihre Unversehrtheit und Sicherheit?

Es gab sehr heftige verbale Angriffe, aber es gab wieder keine körperliche Gewalt. Und ich war mir ziemlich sicher, dass ich nicht körperlich angegriffen werden würde, also fühlte ich mich nicht sonderlich bedroht. Aber es waren zwölf oder mehr von ihnen gegen uns beide.

Yoav schaltet sich erneut ein: "Sie haben uns eingekreist. Es war sehr angespannt. Für mich war das die unangenehmste Erfahrung, die ich hier gemacht habe."

Auch für mich war das die Situation, die am bedrohlichsten war. Ich habe auch einen deutschen Pass und habe dann gesagt, dass ich Deutscher bin. Die einzige Situation, in der ich gelogen habe, obwohl es nicht einmal eine echte Lüge war.

Und das hat ausgereicht?

Ja. Die Gruppe ist weitergezogen.

Haben Sie diese Art von Interaktionen erwartet und sich dementsprechend vorbereitet?

Ich war nicht überrascht, da in vielen arabischen Gesellschaften gelehrt wird, dass Israel die Wurzel für alles Schlechte in der Region ist. Ich war jedoch überrascht vom Umfang und Ausmaß des Phänomens und vom Ausmaß der Wut. Denn ich dachte, die Weltmeisterschaft sei eine kosmopolitische Veranstaltung, bei der es um Multikulturalität und Fußball geht. Dann wurde mir klar, dass es für die arabischen Fans eine arabische Weltmeisterschaft ist. Es ist ihre Chance, auf der Weltbühne zu stehen. Selbst die Saudis haben mir gesagt, dass das hier für sie wie ein Heimspiel ist. Die Wut und der Unmut rühren daher, dass wir ihnen die Show streitig machen. Deshalb stößt man hier als Israeli auf mehr Wut, als wenn man Araber anderswo trifft.

Manchmal ist nicht klar, ob diese Wut auf die Besatzung zurückzuführen ist, auf die Tatsache, dass Israel die Palästinenser im Westjordanland unter Kontrolle hält, oder ob sie mit der Vorstellung von der Existenz Israels als souveräner jüdischer Staat selbst zusammenhängt. Hier hat man das Gefühl, dass es nicht um das Westjordanland geht. Diejenigen, die uns verbal angegriffen haben, glauben, dass der Staat Israel ihnen ihr arabisches Land weggenommen hat. Das ist die Wurzel dessen, was sie als Ungerechtigkeit empfinden.

Yoav wieder: "Man kann die Kraft des Hasses spüren, der unglaublich tief und stark ist. Das ist sowohl herzzerreißend als auch besorgniserregend. Wir als Israelis müssen uns damit auseinandersetzen und ernsthaft versuchen, die Situation mit den Palästinensern zu lösen, sonst gibt es keine Hoffnung mehr, den Hass irgendwann zu beenden."

Die verbalen Angriffe auf Sie waren schon Thema in israelischen Medien. Wie reagiert die Öffentlichkeit in Israel auf Ihre Erfahrungen hier in Katar?

In Israel gibt es eine hitzige Debatte über unsere Erfahrungen hier. Eine der großen Zeitung des Landes titelte neulich: "Die Weltmeisterschaft des Hasses". Das rechte Lager sagt: "Siehst du, wir müssen nicht über ein Ende der Besatzung im Westjordanland nachdenken. Sie akzeptieren Israel sowieso nicht, egal mit welchen Grenzen." Und das linke Lager sagt: "Warum seid ihr so überrascht von dem Hass und den Ressentiments, wenn ihr sie besetzt und ihnen mehr als 55 Jahre lang die grundlegenden Bürgerrechte vorenthalten habt und wenn die einzigen Bilder, die arabische Medien zeigen, israelische Kampfjets sind, die Kinder in Gaza bombardieren?"

Wer hat bei dieser komplizierten Gemengelage recht?

Ich denke, beide Lager haben unrecht. Vor allem ist es sehr falsch, dass die Rechten uns benutzen, um zu sagen, dass Israel sich nicht mit einem Ende der Besatzung des Westjordanlandes befassen müsse. Die Aufrechterhaltung der Besatzung ist ein äußerst giftiger Treibstoff für diese Emotionen und diesen Hass, denen wir begegnet sind. Wenn Israel, rein hypothetisch, morgen früh zu den Grenzen von 1967 zurückkehren würde, würde das nicht den ganzen Hass beseitigen, aber es würde definitiv das Niveau und die Dichte der Ressentiments verändern. Es ist aber auch falsch von den Linken zu glauben, es ginge nur um die Besatzung.

Gab es Probleme mit der katarischen Regierung, zum Beispiel bei der Akkreditierung oder der Einreise?

Überhaupt nicht. Die katarische Regierung ist nicht das Problem, sie muss sich an die FIFA-Regeln halten. Und es gibt ja sogar einen Direktflug von Tel Aviv nach Doha.

Fühlen Sie sich in Katar willkommen?

Man kann von einem Gastgeberland nicht erwarten, dass sie jedes Wort, was die Millionen von Fans hier sprechen, kontrollieren. Mir wurde hier von den Behörden nie die kalte Schulter gezeigt. Katar ist ein arabisches Land in einer arabischen Region. Es ist ein Event, das die Araber als ihre Show ansehen. Sie stellen die Mehrheit der Fans hier. Sich über Katar beschweren? Ich glaube nicht.

Würden Sie einem Israeli raten, offen die Flagge zu tragen oder mit einer Kippa auf der Straße zu laufen?

Ich würde ihm davon abraten. Nicht, weil ich denke, dass wir unseren Nationalstolz aufgeben müssen. Oder dass wir uns wie die Juden in Europa im späten 19. Jahrhundert und frühen 20. Jahrhundert 20. Jahrhundert vor einem Pogrom fürchten müssen, sondern nur weil ich glaube, dass es hier nicht gut ankommt. Es sind so viele Araber hier, die das, aus welchen Gründen auch immer, als Provokation empfinden. Wieso sollte man es dann machen? Wir sind hier nicht auf einer politischen Veranstaltung, wir sind hier, um die Spiele zu sehen. Exponiere deine Identität nicht an einem Ort, an dem es ein Problem werden könnte.

Gesunder Menschenverstand?

Ja. Mein Beruf hat mich in viele Länder gebracht, auch in viele arabische Länder. Es gab kein Ort, an dem ich mich sicherer vor körperlichen Angriffen gefühlt habe. Auch keinen in Europa übrigens.

Natürlich auch aufgrund der Gesetze.

Ja. Vielleicht ist das nicht aus dem richtigen Grund, weil es ein totalitärer Staat ist. Das ermöglicht es, die Wut der Bevölkerung zu kontrollieren. Die Ressentiments der Öffentlichkeit sind viel, viel höher als die der Regierung.

Die FIFA rühmt sich gerne mit der Idee, die Menschen aller Welt zusammenbringen. Trotz ihrer Erfahrung: Glauben Sie, dass die WM in Katar aus dieser Sicht eine gute Idee ist?

Es ist immer besser, Kontakt zu haben. Auch wenn dieser Kontakt zu schlechten Erfahrungen führt. Es ist Dialektik. Vielleicht hinterfragst du dich zuhause auch, veränderst etwas in deinem Denken. Hätte die FIFA die WM an den Iran gegeben, würde ich das nicht sagen. Israelis würden sich dort nie sicher fühlen. Das ist in Katar nicht der Fall. Sie sind gastfreundlich.

Mit Moav Vardi sprachen David Bedürftig und Stephan Uersfeld