Germany
This article was added by the user . TheWorldNews is not responsible for the content of the platform.

Jörg Baberowski: "Wir sollten froh sein, dass Putin an der Macht ist"

Wladimir Putin regiert Russland seit fast 20 Jahren. Im Gespräch erklärt Historiker Jörg Baberowski, warum Putin berechenbarer ist als Donald Trump. Und welche Fehler der Westen mit Russland macht.

t-online.de: Prof. Baberowski, auch ohne Manipulation wird Wladimir Putin am 18. März wohl erneut zum russischen Präsidenten gewählt werden. Warum?

Jörg Baberowski: Für zahlreiche Russen verkörpert Putin Stabilität, Ordnung und bescheidenen Wohlstand. Deshalb würden ihn viele selbst dann wieder wählen, wenn die Wahl absolut frei wäre. Die Menschen in Russland sind mit seinem Regime nicht unbedingt in allen Bereichen einverstanden, aber insgesamt zufrieden.

Solange Ordnung herrscht, tolerieren die Russen also ein autoritäres Regime?

Wir sollten eigentlich froh darüber sein, dass Putin an der Macht ist. Politiker im Westen glauben, Russen wählten Liberale oder Grüne, wenn man sie ließe. Diese Vorstellung ist völlig abwegig. In freien Wahlen würden Neo-Faschisten und Kommunisten die meisten Stimmen erhalten. Wer hört, was Alexei Nawalny über Menschen aus dem Kaukasus und Zentralasien sagt, wird sich vielleicht fragen, ob Putin nicht doch die bessere Lösung ist.

Russlands Geschichte besteht aus lauter starken, teils berüchtigten Führern wie Peter dem Großen, Lenin oder Stalin, die mit eiserner Hand herrschten. Wie ist Putin zu bewerten?

Reformer wie Nikita Chruschtschow oder Michail Gorbatschow waren Ausnahmen, und sie stehen in keinem guten Ruf. Starke Herrscher, die Stabilität, Ordnung und den Machtstaat repräsentierten, sind hingegen die Regel. Putin gehört in diese Kategorie. Es ist tragisch, aber die Russen haben in ihrer Geschichte mit den Experimenten der Freiheit stets schlechte Erfahrungen gemacht, und deshalb geben viele autoritären Ordnungen den Vorzug gegenüber liberalen Freiheitsversprechen.

Jörg Baberowski, geb. 1961, lehrt Osteuropäische Geschichte an der Berliner Humboldt-Universität. Seine Forschungsfelder sind der Stalinismus und die Geschichte der Gewalt. 2012 erhielt Baberowski den Preis der Leipziger Buchmesse für sein Standardwerk "Verbrannte Erde. Stalins Herrschaft der Gewalt". Seine letzte Studie "Räume der Gewalt" erschien drei Jahre später. Baberowskis Äußerungen zur Ukraine-Krise wurden seinerzeit kontrovers diskutiert.

Wie in den letzten Jahren der Sowjetunion unter Gorbatschow?

Gorbatschow ist desaströs gescheitert. Zwar gab es zur ökonomischen Reform der Sowjetunion keine Alternative, weil die Supermacht dem Wettrüsten nicht mehr gewachsen war. Aber Gorbatschows Reformen betrafen zuerst den politischen Raum und zerstörten so jenen Rahmen, der für die Durchsetzung erfolgreicher ökonomischer Reformen nötig gewesen wäre. Das war Gorbatschows größter Fehler.

Können Sie das näher ausführen?

Die Sowjetunion besaß keine Parteienlandschaft, zivilgesellschaftliche Organisationen waren unbekannt. Die einzige Öffentlichkeit war die Kommunistische Partei. Als Gorbatschow sie delegitimierte, löste er die einzige Institution auf, die das sowjetische Imperium zusammengehalten hatte und ihre einzige politische Öffentlichkeit gewesen war. Ohne die Partei konnte er das Land aber nicht reformieren. Gorbatschow sägte den Ast ab, auf dem er saß.

Die Folge waren die Auflösung der Sowjetunion und eine schwere Wirtschaftskrise im Russland der Neunzigerjahre.

Putin ist die Antwort auf das Versagen von Gorbatschow und Boris Jelzin. Die meisten Russen erinnern sich sehr gut an die Neunzigerjahre. Es war eine Zeit der Demütigung, der Armut, des Chaos und der Kriminalität. Russlands Präsident Jelzin hatte sich in den Neunzigerjahren von seinen Beratern, Wirtschaftswissenschaftlern und dem Internationalen Währungsfonds einreden lassen, die Preise freizugeben und eine freie Marktwirtschaft einzuführen, die es in dieser Form im Westen niemals gegeben hatte. Denn der Markt braucht Lenkung, wenn er nicht Anarchie sein soll. Darauf waren die Russen überhaupt nicht vorbereitet. Ich habe selbst gesehen, wie die sozialen Beziehungen zerrüttet wurden, Russland in Chaos und Anarchie versank. Die chinesischen Reformer haben dieses Geschehen übrigens genau analysiert: Sie beschränkten sich auf eine Reform der Wirtschaft und ließen das Machtgefüge intakt. China hat mit dieser Strategie mehr Erfolg gehabt als Russland.

Kommen wir auf Russland zurück. Folgen auf gescheiterte Reformer stets Politiker, die das Land mit autoritären Mitteln verändern?

Putin hat Russland gar nicht so sehr verändert. Er hat nur die bekannten autoritären Machtstrukturen wiederhergestellt und damit auch dem Wunsch von Millionen entsprochen. Effizienz und Akzeptanz demokratischer Strukturen beruhen auf der Voraussetzung bescheidenen Wohlstands und intakter Machtstrukturen. In Russland aber vollzogen sich die demokratischen Experimente unter prekären Verhältnissen. Dadurch wurden sie diskreditiert. Und sie funktionierten auch nicht. Unter Putin haben sich die Verhältnisse in vielerlei Hinsicht auch zum Besseren verändert.