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Klima-"Tatort" ohne Zeigefinger: Kohle allein macht auch nicht glücklich

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"Uns ging es um die tieferen Verletzungen, die dieser Raubbau an Mensch und Natur anrichtet."

(Foto: WDR/Bavaria Fiction GmbH/Martin )

Erst sollte Bützenich abgebaggert werden, dann auf einmal doch nicht mehr: Gegangen sind die meisten Bewohner des Dorfs im niederrheinischen Braunkohlerevier trotzdem fast alle. Und wer geblieben ist, der mordet. "Abbruchkante" erzählt vom schädlichen Einfluss der Kohle - und das ganz ohne Klimawandel.

"Finger weg von Bützenich" steht auf dem handgeschriebenen Plakat, das an der Wand eines verfallenden Hauses lehnt und von zwei großen gelben Kreuzen eingerahmt wird. Entlang der Straße, auf der die Kölner Kommissare Schenk (Dietmar Bär) und Ballauf (Klaus J. Behrendt) gerade in den Ort fahren und auf der ansonsten keine Menschenseele zu sehen ist, schießt das Unkraut aus dem Boden. Im Hintergrund sperren Bauzäune das Grundstück um eine Backsteinkirche ab, deren Fenster mit OSB-Platten vernagelt sind, kurzum: Bützenich ist eine echte Geisterstadt.

Dass der Name des Dorfs ein bisschen an Lützerath erinnert und einem die Szenerie gespenstisch bekannt vorkommt, ist natürlich kein Zufall: Die teilweise dem Tode geweihten Ortschaften rund um die niederrheinischen Braunkohletagebaue Garzweiler und Hambach standen Modell für das "Tatort"-Bützenich, in dem Schenk und Ballauf den Mord an einem Arzt aufklären müssen. "Alle Aufnahmen haben wir in den teils verlassenen Dörfern um den Braunkohletageabbau gedreht, wir sind häufig morgens direkt an Lützerath vorbeigefahren. Die Ausmaße der Abbruchgebiete sind gewaltig", erklärt Regisseur Thorsten C. Fischer.

Genau wie bei den Vorbildern kommt in Bützenich einiges zusammen: Die teilweise über 400 Meter tiefe Abbruchkante des Tagebaus ist nur wenige Hundert Meter Luftlinie vom Dorf entfernt, Lärm und Staub gehören genau wie eine teilweise über Jahrzehnte ungewisse Zukunft zum Leben dazu - ähnlich wie im sächsischen Mühlrose, das wir vor einigen Jahren für eine Reportage besuchten und dessen Zukunft auch Stand heute noch ungeklärt ist.

"Kollektive Alzheimer-Erkrankung"

Wegen der zwischenzeitlich beschlossenen und dann doch wieder abgesagten Abbaggerung ihres Dorfes haben die meisten Film-Bewohner Bützenich schon lange verlassen und sind ein paar Kilometer weiter in die Ersatzsiedlung Neu-Bützenich gezogen. Nur ein paar wenige sind geblieben und versuchen, sich irgendwie durchzuwursteln.

Glücklich seien die Menschen aber weder hier noch dort, erklärt Drehbuchautorin Eva Zahn: "Wir erleben exemplarisch im fiktiven Bützenich, ob alt oder neu, eine zerrissene Gesellschaft, eine Gemeinschaft, die keine Orientierung mehr hat und - ihrer Wurzeln und Erinnerungsstätten beraubt - so verwirrt in eine ungewisse Zukunft torkelt, als habe sie eine kollektive Alzheimer-Erkrankung befallen."

"Und das alles im Schatten einer geradezu irrsinnigen Landschafts- und Naturzerstörung", fügt ihr Co-Autor und Ehemann Volker A. Zahn hinzu. "Diese seltsame Mischung aus Alt und Neu, aus Resignation und Rebellion, dieses beinahe postapokalyptische Ambiente, diese mysteriöse Stimmung wie aus einem David Lynch-Film hat uns als Schauplatz für ein Drama schon lange gereizt."

Mehr als genug Stoff für einen Klima-Film mit jeder Menge erhobener Zeigefinger, aber "wir wollten von dieser Abbau-Thematik erzählen, ohne einen Themen-'Tatort' zu machen, in dem sich die Protagonist:innen energie- und umweltpolitische Argumente um die Ohren hauen […]. Uns ging es um die tieferen Verletzungen, die dieser Raubbau an Mensch und Natur anrichtet." Eine gute Entscheidung, denn natürlich bringt einen "Abbruchkante" trotzdem zum Nachdenken über das Klima - ohne Zeigefinger funktioniert das gleich viel besser.