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Liz Truss Chaos-Steuerpolitik: Der Putsch wird schon geplant

Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,

dass es nicht lange gut geht, hatten viele schon geahnt. Doch die Geschwindigkeit, mit der es abwärtsgeht, ist dann doch eine Überraschung. Einen neuen Kurs hatte die frischgebackene Premierministerin Liz Truss den Briten versprochen. Dass sie einen kamikazeartigen Sturzflug damit meinte, hätte sie fairerweise dazusagen sollen. An diesem Sturzflug nehmen teil: die wirtschaftlichen Aussichten, die Kreditwürdigkeit Großbritanniens, zwischenzeitlich auch der Wert des britischen Pfunds. Und das Vertrauen der Briten in ihre Regierung.

Der Fairness halber wollen wir nicht unterschlagen, dass es mit einigem auch steil aufwärtsgeht. Mit den Zinsen für Hypotheken und den Belastungen der vielen britischen Eigenheimbesitzer zum Beispiel. Die Staatsverschuldung und die Lebenshaltungskosten machen den Höhenflug ebenfalls mit. Das Entsetzen über die Dramatik der Entwicklung ist groß. "Die haben sie nicht mehr alle", ist inzwischen kein Spruch, den man über das Kabinett bloß abends im Pub hört. Sondern auch zur Kernarbeitszeit, in der Finanzhochburg der Londoner City. Der Internationale Währungsfonds hat sich gewählter ausgedrückt, aber gemeint war dasselbe.

Ja, es ist der Teufel los in Großbritannien. Das sorgt auch diesseits des Ärmelkanals für Unruhe. Denn es ist leider nicht so, dass eine Wirtschafts- und Finanzkrise, die gerade bei den Briten beginnt, auf Dauer bei den Briten bleibt. Gasknappheit, Inflation und eine drohende Rezession beuteln den europäischen Kontinent schon genug, den Crashkurs der zweitgrößten Volkswirtschaft Europas hätte es da nicht auch noch gebraucht.

"Wir senken die Steuern!", haben Frau Truss und ihr Finanzminister Kwasi Kwarteng in die Welt hinausgeschmettert und etwas leiser ergänzt: "vor allem für die Reichen". Das mag zwar skandalös ungerecht sein, hätte für den Krisenmodus jedoch trotzdem nicht gereicht. Aber wenn man nicht sagt, woher das Geld für die Steuergeschenke eigentlich kommen soll, dann reicht es schon.

Natürlich könnte der Staat an anderer Stelle sparen. Aber die konservative Regierungspartei windet sich, und das kann man sogar verstehen. Denn Sparen ist erstens unbeliebt bei den Wählern, die zweitens wegen der explodierenden Preise dringend auf Hilfe angewiesen sind, während drittens das Gesundheitswesen, soziale Dienste und dergleichen kaputtgespart auf Investitionen warten. Obendrein fordern viertens die vernachlässigten Regionen abseits des glitzernden London die versprochene Aufwertung – ein Projekt, mit dem die regierenden Konservativen in der Provinz entscheidende Stimmen geholt haben. Gespart wird deshalb also erst einmal nicht – und ob vielleicht doch, wollen Truss und Kwarteng lieber nicht so genau sagen.

Die Senkung des Spitzensteuersatzes, von der Premierministerin am Sonntag noch unnachgiebig verteidigt, war montags bereits abgeräumt. Tieferer Einsicht ist das Einlenken nicht geschuldet, sondern nur dem Bemühen, in Birmingham die Gemüter und in London die Märkte zu beruhigen. Frau Truss hofft, dass so wenigstens der Rest ihres Wirtschaftsprogramms den Sturm übersteht. Und auch sie selbst.

Ob das gelingt, ist fraglich. Denn die Regierung ihrer Majestät hat das lästige Problem, wie der Staatshaushalt eigentlich finanziert werden soll, einfach lässig auf später verschoben – und dabei signalisiert, dass sie bereit ist, so viele Schulden zu machen, als gäbe es kein Morgen.

Moment, werden Sie jetzt vielleicht denken, macht die Bundesregierung nicht genau dasselbe? Von der "Zeitenwende" bis zum "Doppelwumms": Kanzler, Wirtschafts- und Finanzminister jonglieren mit gewaltigen Beträgen. Dass Schuldenbremsenverteidigungsminister Christian Lindner in dieser Lage mit seinen Sparwünschen noch eine Chance hat, glaubt (außer vielleicht ihm selbst) keiner mehr. Dennoch reagiert die Finanzwelt gelassen. Trotz des Dauerfeuers der aktuellen Krisen ist der Wirtschaftsriese Deutschland noch immer so gut aufgestellt, dass sich selbst auf lange Sicht niemand Sorgen über die pünktliche Rückzahlung der deutschen Schulden macht. Das sieht bei den Briten, die sich mit dem Brexit von der EU als wichtigstem Handelspartner isoliert und einen riesigen Klotz ans Bein gebunden haben, leider anders aus.

Unter diesen schwierigen Bedingungen wünscht man sich ein Regierungsteam, dass sich vor allem durch eines auszeichnet: Umsicht und Kompetenz. Die Premierministerin hingegen glaubt, man müsse endlich mal etwas radikal Neues ausprobieren: Runter mit den Steuern, aus dem Weg mit dem Staat, koste es, was es wolle. Dann werde die Wirtschaftsmaschine schon anspringen und mit hohem Wachstum schließlich auch das riesige Loch in der Staatskasse füllen.

Das Prinzip Hoffnung als fiskalische Leitlinie hat Menschen mit mehr Sachverstand, ob in Betrieben oder in Banken, Schauer über den Rücken gejagt – nicht aus Ehrfurcht, sondern vor Entsetzen. In dieser Klientel hat Liz Truss die Vertrauensfrage bereits verloren. Und landauf, landab sind ihre Zustimmungswerte im Keller. Nach nur einem Monat im Amt ist sie bereits schwer angeschlagen. Heute hält sie erstmals als Vorsitzende eine Rede auf dem Parteitag der Konservativen. Man sollte sich das ansehen. Vielleicht gibt es das nämlich nie wieder: Der Putsch gegen die Premierministerin wird schon geplant.

Was steht an?

Stundenlang haben der Kanzler und die Ministerpräsidenten gestern Abend über die Frage debattiert, wer all die Versprechungen der Ampelkoalition bezahlen soll. Allzu viel kam nicht dabei heraus, aber immerhin dies.

Heute geht es für Olaf Scholz gleich weiter: Mit mehreren Ministern reist er zu deutsch-spanischen Regierungskonsultationen nach La Coruña. Es geht um die Zusammenarbeit in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik, in Wirtschaft und Energie, Forschung und Bildung. Das ganz große Besteck also.

In München tagt der Untersuchungsausschuss des bayerischen Landtags zum Maskenskandal. Als Zeugen sind Ex-Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer von der CSU und Karin Baumüller-Söder, die Ehefrau des Ministerpräsidenten, geladen.

In Baden-Württemberg protestieren Ärzte mit Praxisschließungen gegen das Sparprogramm im Gesundheitswesen. Sie sehen durch die Abschaffung der "Neupatientenregelung" die ambulante Versorgung in Gefahr, da Patienten sich künftig auf noch längere Wartezeiten und Aufnahmestopps einstellen müssten.