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Markus Väth: Die Gnadenlosigkeit der Gutmenschen

Immer stärker prägen persönliche Angriffe die Diskussionskultur hierzulande. Moralische Glaubenssätze erschweren die Suche nach sinnvollen Lösungen – auch in der Wrtschaft. Markus Väth plädiert für die Rückkehr zu einer rationalen Debattenkultur

Kennen Sie den Film „Der Pate“ aus dem Jahr 1972? In diesem Klassiker deutet Marlon Brando alias Mafiaboss Don Corleone an, er werde einen möglichen Geschäftspartner von einer Zusammenarbeit überzeugen. Wie er das anstellen wolle, fragt sein Gegenüber. Der Geschäftspartner sei bekanntlich ein hartleibiger Zeitgenosse. „Ich werde ihm ein Angebot machen, das er nicht ablehnen kann“, antwortet der Don mit unbeweglichem Gesichtsausdruck. Und tatsächlich findet der Geschäftspartner in seinem Bett den abgeschnittenen Kopf seines Lieblingsferdes - und versteht die Botschaft: Ziehst du nicht mit, ergeht es dir wie deinem Pferd.

Zugegeben: Abgeschnittene Pferdeköpfe wären heute ein etwas, sagen wir, extravagantes Drohmittel. Aber im Grunde sind wir heute genauso gnadenlos wie der gute Don Corleone, vor allem, wenn wir glauben, für eine gute Sache zu kämpfen. Egal ob Klimawandel, Rassismus oder Cancel Culture: Wer glaubt, auf einem Kreuzzug für die moralisch gute Sache zu sein, zeigt wenig Hemmungen, den Gegner psychisch oder sozial zu vernichten. Es ist ja für die gute Sache, ganz nach dem Motto Mao Tse Tungs: Töte einen, erziehe Tausende. 

Dabei dachte man, mit dem Niedergang der Kirchen gehörten die symbolische Kreuzigung Andersdenkender und die moralische Gutmenschen-Arroganz der Vergangenheit an. Doch weit gefehlt. Die politische und mediale Auseinandersetzung wird gnadenloser. Die Diskussion ad argumentum geht zurück, der persönliche Angriff ad hominem nimmt deutlich an Umfang und Schärfe zu.

Moralische Arroganz: Gift für die Fehlerkultur

Man könnte die moderne Variante der Kreuzzüge (damals: „Gott will es!“, heute „Das Klima braucht es!“) für die extreme Ausprägung einer gesellschaftlichen Auseinandersetzung halten. Doch leider hat sich der Abschied von der Diskurskultur der Aufklärung längst als Standardmechanismus in Politik, Medien, sogar der Wissenschaft und auch der Wirtschaft festgesetzt. 

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So berichtete mir jüngst eine höhere Führungskraft eines Technologiekonzerns, sie sei nicht dafür kritisiert worden, dass ihr Lösungsvorschlag falsch sei. Aber er hatte in seinem Papier nicht gegendert, und darum „könne man sich leider nicht mit seinem Vorschlag auseinandersetzen“. Eine solche Reaktion grenzt an ökonomischem Wahnsinn. Jeder, der eine konstruktive Lösung aufgrund eines nicht gegenderten Textes ablehnt, braucht im Grunde eine Psychotherapie.

Der Kult des Moralischen wird wieder salonfähig

Dabei geht es mir hier nicht speziell um den Streitfall Gendersprache. Jede Organisation verliert ihre Fähigkeit zur Fehlerkorrektur und zur Konfliktbearbeitung, wenn der Einzelne nur noch seinem angeblichen moralischen Kompass folgt und das rationale Argument seines Gegenübers nicht mehr zur Kenntnis nimmt. Wir sind auf dem besten Weg, die Fehlerkultur in Organisationen nicht nur nicht zu verbessern, sondern im Gegenteil zu verschlimmern. Neben die persönlichen Schwächen bei Selbstreflexion und Kommunikation treten nun vermeintlich wichtige moralische Grundsätze, die eine Lösungsfindung blockieren: Du hast eine Meinung zu Rassismus? Mach erstmal dein Privilegientraining, weißer Mann!

Der Mensch hat ein Bedürfnis nach Transzendenz, nach Zugehörigkeit. Da in unseren Breiten die Kirche weitgehend als ethischer Leuchtturm erledigt ist, suchen sich die Menschen moralisch aufgeladene Ideologien, die ihnen Halt geben. In unserer Zeit wären das eben: Klimawandel, Gender, Rassismus, Wokeness, Corona. Jedes dieser Themen hat einen diskussionswürdigen Kern – aber bitte unaufgeregt, rational und mit Lösungsorientierung. Überall, wo ein kollektiver, moralisch aufgeladener Kult eine solche rationale Argumentation trübt, ist extreme Vorsicht geboten. Das gilt auch für und in Organisationen.

Du verstehst das nicht? Dann bist du nicht reif dafür

Längst haben moralische Modelle auch die Organisationen erreicht: Modelle zum „organisationalen Bewusstsein“, zur „organisationalen Energie“ oder zum „mentalen Reifegrad“ (wie das Spiral Dynamics-Modell) suggerieren: Auf manchen Stufen sind du und deine Organisation noch nicht reif, noch nicht „bereit“. Auch hier gibt es in der Modellierung geistiger Reifestufen durchaus Parallelen zu religiösen Kulten, beispielsweise Scientology. Die unreflektierte These „Je mehr Agilität, desto besser“ fällt ebenfalls unter dieses Kult-Denken.

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Auch hier gibt es einen wahren Kern. Selbstverständlich macht es für eine Organisation Sinn, sich selbst besser zu verstehen und somit ihre Lernfähigkeit zu verbessern. Die Anwender solcher Modelle ignorieren leider in der Regel eine Grundaussage ebenjener Ansätze: Keine „Stufe“, keine „Phase“ oder ähnliches ist besser oder schlechter als die andere. Für eine Organisation macht es systemtheoretisch immer Sinn, genau in dieser Stufe oder Phase zu sein (wenn man der Logik solcher Modelle folgen will). Das ist ja genau der Punkt: Eine Auseinandersetzung mit dem Zustand der eigenen Organisation ohne moralische Überhöhung, ohne Kult, ohne Abwertung des Anderen muss das Ziel sein. Aber eine solche Fähigkeit wird unterminiert durch die überwältigende ideologische Diskurskultur der Gesellschaft, die auf persönliches Diskreditieren setzt statt auf den zwanglosen Zwang des besten Arguments. Wenn wir allerdings schon in unserer gesellschaftlichen Diskussion so versagen, können wir in unseren Organisationen von der Fehlerkultur wahrlich keine Wunder erwarten.

Es wird Zeit, Gnade walten zu lassen

Die Gnadenlosigkeit der Gutmenschen muss ein Ende haben. Zumindest hier hatte Ex-Minister Jens Spahn recht: Wir werden uns vieles verzeihen müssen. Das gelingt aber nur, wenn wir auf unsere moralische Rüstung verzichten und nicht länger glauben, die einzig richtige Wahrheit zu besitzen. Eine rationale Debattenkultur würde die Brüche der Gesellschaft heilen und echte Lösungen in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft fördern. Nur auf das süße Gefühl der moralischen Überlegenheit müssten wir verzichten – leider fällt uns das am schwersten.

Markus Väth gilt als einer der führenden Köpfe der New-Work-Bewegung in Deutschland. Er ist Gründer und Geschäftsführer der auf New Work spezialisierten humanfy GmbH und Verfasser der New Work Charta, die sich für eine klare, humanistische und soziale Version von New Work einsetzt. Er hat mehrere Bücher zu New Work und Management verfasst und ist Lehrbeauftragter für New Work und Organisationsentwicklung an der Technischen Hochschule Nürnberg. Mit seinem Ansatz des Organisationscoachings begleiten er und sein Team Unternehmen in ihrer Transformation hin zu echtem New Work und einer neuen Arbeitswelt. Hier finden Sie weitere Kolumnen von Markus Väth

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