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Melonis Wahlsieg ist ein anti-politischer Erfolg

Eine Überraschung war das nicht mehr. Das Bündnis dreier entschieden rechts von der Mitte stehender Parteien hat die Parlamentswahl in Italien klar gewonnen. Es wird in beiden Kammern des Parlaments, dem Abgeordnetenhaus und dem Senat, über eine deutliche Mehrheit verfügen. Auch ist es nicht überraschend, dass die Fratelli d’Italia (Italiens Brüder) mit etwa 25 Prozent stärkste Partei wurden – ein Triumph für die nur knapp zehn Jahre alte Partei nach nur 4,4 Prozent bei der vorigen Parlamentswahl im Jahre 2018. Alles spricht dafür, dass Giorgia Meloni, die Vorsitzende der Fratelli d’Italia (FdI), die erste Ministerpräsidentin Italiens wird.

Sicher ist aber nichts, Überraschungen kann es daher durchaus noch geben. Denn in Italien er- und verglühen politische Sterne seit geraumer Zeit mit atemberaubender Geschwindigkeit. Bei der Parlamentswahl vor vier Jahren wurde die 5-Sterne-Bewegung bei knapp 33 Prozent mit Abstand stärkste Partei – doch schon bald wandten sich die Wähler in Scharen von ihr ab. Der Erfolg von Melonis Partei ist im Grunde kein politischer, ist kein Erfolg einer politischen Idee. Er gründet in erster Linie darauf, dass die Fratelli als einzige der wahrnehmbaren Parteien Opposition betrieben haben, genauer: dass sie zu allem konsequent und stur nein gesagt haben, was die drei Regierungen der vergangenen vier Jahre taten.

Der Erfolg Melonis ist ein unpolitischer, ja ein anti-politischer Erfolg. Was auch daran zu erkennen ist, dass sie mit ihren Heilsversprechen den Trend zur Wahlenthaltung nicht stoppen konnte: Nur knapp zwei Drittel der Wählerinnen und Wähler gingen an die Urne, zehn Prozent weniger als vor vier Jahren.

Zwar kommt Melonis Partei – was deren Logo mit Absicht noch immer erkennen lässt – aus der Tradition der postfaschistischen Partei MSI, die 1946 vor allem von Anhängern des Mussolini-Faschismus gegründet worden war. Doch dieses Erbe, das in der Partei sehr wohl noch weiterwirkt, macht nicht deren Kern aus. So zupackend und optimistisch sich die Vorsitzende Meloni gibt, hinter ihr sammeln sich die Unzufriedenen, die Frustrierten und Politikmüden. Meloni bedient deren Überdruss mit patriotischen Parolen, mit dem schalen Traum von der Rückkehr Italiens zu angeblich alter Größe und zugleich Heimatlichkeit. Mit der Forderung, der Glanz des Made in Italy müsse von den Schulen bis zur letzten Manufaktur über dem ganzen Land erstrahlen. Und mit der gänzlich widersprüchlichen Idee, Italien könne in der Europäischen Union als Nation am besten dann bestehen, wenn das Land vollkommen souverän bleibt.

In Italien wird gerne der alte Traum vom Bel Paese, von dem schönen, in sich ruhenden Land des guten, herkömmlichen Lebens geträumt. Melonis Erfolg beruht nicht zuletzt darauf, dass sie diese Nostalgie bedient. Was nicht im Widerspruch dazu steht, dass sie eine energische, laute, aggressive und unerbittliche Machtpolitikerin ist.

Der Sieg ihres Wahlbündnisses ist freilich nicht so glänzend ausgefallen, wie sich das deren Anführer erhofft hatten. Denn dem Erfolg der Fratelli steht der Misserfolg der Lega Matteo Salvinis und Berlusconis Forza Italia gegenüber. Beide Parteien wollten, um in dem angestrebten Regierungsbündnis gewichtig mitreden zu können, deutlich mehr als zehn Prozent erreichen. Beide verfehlten ihr Ziel, die Lega sank von 17,3 auf knapp neun Prozent, Forza Italia von 13,9 auf etwa 7,5 Prozent. Das heißt: Berlusconis Partei, die vor einem Viertel Jahrhundert über Nacht zum politischen Stern aufstieg, ist am Verglühen.

Und gleiches gilt für die Lega und insbesondere Salvini, der mit seinem rabiaten Kurs, insbesondere in der Flüchtlingspolitik, die eigene Partei halbiert hat. Und der vermutlich schon bald von jenen Lega-Politikern im Norden gestürzt werden wird, die in kommunaler und regionaler Regierungsverantwortung stehen.

Meloni, die seit geraumer Zeit auf internationale Reputierlichkeit setzt, hat schon vor Wochen klargemacht, dass Salvini unter ihr das Amt in keinem Fall bekommen wird, das er mit aller Kraft anstrebte: das des Innenministers mit einem fanatischen Hang zur Flüchtlingsabwehr. Auch passt es ihr gar nicht ins neue moderate und Amerika-freundliche Konzept, dass Salvini vor gar nicht langer Zeit noch mit Putin-T-Shirts herumlief und den russischen Diktator einen der bedeutendsten Staatsmänner unserer Epoche nannte.

Nur die Lega und Forza Italia sind bereit, mit Melonis Partei ein Bündnis einzugehen. Man könnte vermuten, die neue Schwäche beider Parteien würde sie zu zahmen Partnern machen. Doch es mag auch anders kommen. Schwache entwickeln ihre eigene Irrationalität, in Italien zumal. Salvini und Berlusconi, beide nicht eben Gleichstellungsfans, wissen gut, dass sie Meloni um das angestrebte Amt bringen können. Und es ihr, sollte sie es erringen, im Amt sehr, sehr schwer machen können. Rechtslastige Politiker, schon gar Naturen wie Salvini und Berlusconi, halten nicht nur in der Europapolitik, sondern auch nach innen sehr wenig von Berechenbarkeit, politischer Disziplin oder gar Solidarität. Auch das ein italienisches Erbe: Im Zweifel ist die destruktive Energie von Politikern mit schwindender Bedeutung deren stärkste Triebkraft.

Dennoch ist es wahrscheinlich, dass eine Regierung aus Fratelli, Lega und Forza Italia zustande kommt. Denn etliches verbindet sie durchaus. Sie wollen ein Europa der souveränen Nationen, nicht der gemeinsamen Institutionen. Sie wollen Einwanderung nicht (einvernehmlich mit den EU-Staaten) regeln, sondern möglichst vollständig unterbinden. Sie sind – wenn auch unterschiedlich stark – gegen Globalisierung eingenommen. Sie glauben – wenn auch unterschiedlich stark – an eine internationale Verschwörung mit dem Ziel, Italien durch Einwanderung „umzuvolken“. Und sie haben alle drei mehr oder minder großes Verständnis für Ungarns Orbán und Putins Russland. Berlusconi hat wenige Tage vor der Wahl gar behauptet, Putins Motiv für den Angriffskrieg auf die Ukraine sei nachvollziehbar: Er habe die Regierung in Kiew ablösen und durch „anständige Leute“ (persone perbene) ersetzen wollen – womit er Putins wahnhafte Idee teilte, in der Ukraine regierten die Faschisten.

All diese Einstellungen haben die drei Parteien gemein. Es liegt auf der Hand, dass eine Regierung, die sich auch nur teilweise von diesen Ideen leiten lässt, augenblicklich in Konflikt mit anderen Staaten und insbesondere der EU käme. Von dieser EU erwartet Italien aber die baldige Auszahlung großer Summen für den nationalen Aufbau- und Resilienzplan (PNRR). Giorgia Meloni würde Italien gerne ein Präsidialsystem verpassen, weil man in dem „durchregieren“ könnte. Schon jetzt ist klar: Eine Ministerpräsidentin Meloni wäre zwischen ihren Bündnispartnern, den besorgten EU-Institutionen und einer erwartungsvollen Bevölkerung fest eingeklemmt. Mit präsidialem Durchregieren wird es da nichts werden. Im Amt wird sie gezwungen sein, sich selbst zu dementieren, zurückzunehmen, zu relativieren. Was einem beträchtlichen Teil ihrer Anhängerschaft sehr missfallen würde. Schon wieder könnte ein Stern am politischen Firmament Italiens zu sinken beginnen.

Dass eine von Giorgia Meloni angeführte Dreier-Regierung wohl zustande kommen wird, liegt nicht zuletzt aber auch an den Mitte-links-Parteien. Die Demokratische Partei (PD) hatte mit dem ehemaligen Kurzzeit-Regierungschef Enrico Letta – nicht zum ersten Mal – einen freundlichen, klugen, moderaten, aber ganz und gar nicht charismatischen, technokratisch wirkenden Spitzenkandidaten. Die PD präsentierte sich vor allem als Partei der Vernunft, ein wenig auch als die Partei des Sozialstaats. Und kam damit nicht gegen die Populisten des anderen Lagers an, die sozialpolitisch das Blaue vom Himmel herunter versprachen.

Vor allem aber gelang es der Linken mit ihrem Hang zur Abgrenzung nicht, ein eigenes Wahlbündnis zu schließen. Damit liefen sie sehenden Auges in die Niederlage. Denn weil allein Meloni ein solches Bündnis zustande bekam, eroberte dieses dank des Wahlrechts die große Mehrheit der Direktmandate. In absoluten Zahlen lag es dagegen keineswegs vorne. Denn zählt man die 5-Sterne-Bewegung zum Mitte-Links-Lager hinzu, liegt dieses etwa gleichauf: beide bei etwa 42 Prozent. Hätte die Demokratische Partei ihre Abneigung gegen die ursprünglich rabiat-populistische 5-Sterne-Bewegung, die jetzt im Süden des Landes überraschend stark geworden ist, überwunden und wäre mit dieser ein Wahlbündnis eingegangen, hätte dieses womöglich vorne liegen können. Und Mario Draghi hätte vielleicht Ministerpräsident bleiben können – was freilich bedeutet hätte, dass Italien wieder einen Regierungschef ohne Parlamentsmandat bekommen hätte.

Ganz Italien erschrak, als im Sommer der Po, die Wasserader Norditaliens, den tiefsten Stand aller Zeiten hatte. Im Wahlkampf spielte das – wie viele andere existenzielle Themen – überhaupt keine Rolle. Es war ein ganz nach innen gerichteter Spektakel-Wahlkampf, wie gehabt. Der in Italien populäre linke, aber auch bei den Fratelli geschätzte Sänger Francesco Guccini wurde in der vergangenen Woche gefragt, was es bedeute, dass nach Berlusconi, Beppe Grillo und Salvini nun Giorgia Meloni der neue politische Star sei. Er antwortete: „Das zeigt, dass die Gesellschaft nach rechts tendiert, nicht nach links.“ Und er fügte hinzu: „Das war schon immer die vorherrschende Gefühlslage in Italien.“