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Merz beklagt „Manipulation durch Weglassen“ in der Integrationsdebatte

Vor dem Gemeinschaftshaus Gropiusstadt in Berlin-Neukölln steht Ahmed Abed, Fraktionschef der örtlichen Linkspartei, und ruft: „Wir fordern die CDU auf, keine anti-arabischen Agitatoren wie Herrn Merz einzuladen, Rassisten raus!“ Die vielleicht 25 Zuhörer erwidern die Parole dreimal. Am benachbarten Stand der SPD sind noch weniger versammelt, die dem Aufruf zum Protest gegen die CDU-Veranstaltung folgten. Alle sind friedlich und halbwegs entspannt.

Es ist Wahlkampf in Berlin, und im gut gefüllten Saal in der Gropiusstadt – einem jener Kieze, in denen die Silvesternacht besonders aus dem Ruder lief – sprechen Spitzenkandidat der Hauptstadt-CDU Kai Wegner, Parteichef Friedrich Merz sowie die Stadtteilpolitiker Nimet Avci und Falko Liecke von der CDU Neukölln. Es geht um die Reaktion auf derartige Ausschreitungen im „Brennpunkt Neukölln“, so der Name der Veranstaltung. Und darum, wie man sie bestenfalls gar nicht erst geschehen lässt.

Wahlkämpfer Wegner lobt Neukölln als „richtig tollen Bezirk“, der aber „an der ein oder anderen Stelle Probleme hat“. Über die dürfe man nicht schweigen, Polizisten hätten ihm, Wegner, erst am Freitag von ihrem Einsatz in der Silvesternacht erzählt. Mit Krawall hätten sie gerechnet. Doch die „Brutalität“ habe dieses Mal „eine neue Dimension“ erreicht.

Man habe ein Gewaltproblem von „rechts, links“, und: „Ja, auch mit jungen Männern mit Migrationshintergrund.“ Der Vorwurf, die CDU verallgemeinere, stimme nicht. Es gehe nur um einen Teil dieser jungen Leute aus Zuwandererfamilien. „Die wollen wir für unsere Gesellschaft gewinnen“, sagt Wegner.

Vorwürfe aus den linken Parteien, die Polizei sei „strukturell rassistisch“, trügen in diesem Prozess nicht dazu bei, dass den Beamten mit größerem Respekt begegnet werde. Wegner warf der Berliner Bürgermeisterin Giffey vor, die SPD-Politikerin habe in Ihrer Zeit als Neuköllner Bürgermeisterin zu wenig getan für die Eindämmung der Kriminalität und gegen die mangelnde Integration im Stadtteil.

Wahlkämpfer Merz (l.) und Wegner

Wahlkämpfer Merz (l.) und Wegner

Quelle: dpa/Monika Skolimowska

Es sei wichtig, mehr über die Täter aus der Silvesternacht zu erfahren. Die Berliner CDU habe die vielfach kritisierte Frage nach den Vornamen der Festgenommen gestellt, weil der Senat keine Aussagen zum Migrationshintergrund der beteiligten Personen getroffen habe. „Anders als die Bundesinnenministerin von der SPD“, die angemerkt habe, dass viele junge Männer mit Migrationshintergrund an den Krawallen beteiligt waren. Erst wenn man wisse, von wem Probleme ausgehen, könne man passend mit Prävention und Bildung reagieren, so Wegner.

Dann wird die Bühne an den „lieben Friedrich“ übergeben: CDU-Chef Merz ruft zunächst den heutigen Gedenktag zur Befreiung des KZ Auschwitz durch die Rote Armee am 27. Januar 1945 in Erinnerung und fügt an, man könne trotz der Verbrechen der Nationalsozialisten „stolz auf unser Land“ sein, weil es nach der faschistischen Herrschaft eine stabile Demokratie errichtet habe. Dies allerdings ist einigen jungen Zuhörern offenbar zu patriotisch. Mit der Ansage „So einen rassistischen Scheiß tue ich mir nicht an“, verlassen sie den Saal.

„Wenn Sie der Meinung sind, das ist rassistischer Scheiß, was ich hier sage“

Zwei Wochen vor der Berliner Wiederholungswahl hält CDU-Chef Friedrich Merz eine Wahlkampf-Rede in Neukölln. Als er unterbrochen wird, reagiert er harsch: „Wenn Sie der Meinung sind, das ist rassistischer Scheiß, was ich hier sage, dann haben wir genau das Problem bei einer ganz kleinen Minderheit erkannt.“

Quelle: WELT

Merz kritisiert das Bild, das Berlin derzeit nach außen abgebe. Dass Berlin keine Wahl organisieren und keinen Flughafen bauen könne und dass „Polizisten und Einsatzkräfte behandelt werden wie Abschaum“.

Er wolle „stolz sein auf unsere Hauptstadt“. Die „miserable Führung dieser Stadt“ müsse ersetzt werden. Merz forderte einen neuen Zusammenhalt der Gesellschaft, die aus sogenannten „Biodeutschen“ und Menschen mit Migrationshintergrund gleichermaßen bestehe.

„Viele Menschen mit Migrationshintergrund schämen sich doch für ihre Landsleute“, sagt Merz, wenn diese Straftaten begingen oder wie in der Silvesternacht „Rabatz machen“.

Man müsse sich zwar auch über bessere Justiz und Strafverfolgung Gedanken machen, doch, so sehe er es: „Gefängnisse lösen keine Probleme“. Vor allem gehe es um bessere Prävention und das Stiften eines Zusammengehörigkeitsgefühls. Etwa auch über die Einführung eines freiwilligen sozialen Jahres, damit junge Leute auch eine „Verpflichtung spüren, etwas für dieses Land zu machen“. Man müsse wieder vermitteln, dass es „nicht immer nur um Rechte“ gehe – „sondern auch um Pflichten“.

Unterstützer der CDU im Gemeinschaftshaus Gropiusstadt

Unterstützer der CDU im Gemeinschaftshaus Gropiusstadt

Quelle: dpa/Monika Skolimowska

Hintergrund des CDU-Termins in Neukölln sind natürlich die Silvester-Krawalle. Die waren zwar in vielen Städten zu beklagen. Am heftigsten aber knallte es in der Hauptstadt, und dort besonders in Neukölln. Auf zahlreichen Videos zu den Krawallen waren junge Migranten zu sehen, auch betroffene Einsatzkräfte schilderten diesen Eindruck der Presse. In der anschließenden Debatte war strittig, ob der Migrationsaspekt politisch und medial thematisiert, oder ob dies unterlassen werden soll, um keine Fremdenfeindlichkeit zu schüren. Merz hatte in einer ZDF-Talkshow anschließend insinuiert, ein Grund für die Silvester-Krawalle liege auch in falschen Erziehungsmustern mancher Migrantenfamilien aus dem muslimischen Kulturkreis.

Zwar hatte der CDU-Chef in der ZDF-Talkshow „Lanz“ zu dem Thema zunächst gesagt, man habe es in Deutschland mit einer zunehmenden Verrohung und mangelndem Respekt zu tun, es gebe aber eine kleine Gruppe von jungen Männern – zum Teil, aber nicht ausschließlich mit Migrationshintergrund –, die nicht bereit sei, sich an die Regeln dieses Landes zu halten. Dagegen müsse sich ein Staat klar zur Wehr setzen. Merz betont auch, dass er diese Kritik nicht pauschal meine und dass es Ausländer im Land gebe, die sich besser verhielten als mancher Deutscher.

„Manipulation durch Ausschnitte, durch Weglassen“

Doch dann sprach er die Worte aus, die aus Sicht vieler eher links eingestellter Politiker, Journalisten und Meinungsmacher die Grenze des öffentlich Sagbaren überschreiten: Über den Umgang mit Lehrern und vor allem Lehrerinnen sagte Merz: „Und dann wollen sie diese Kinder zur Ordnung rufen und die Folge ist, dass die Väter in den Schulen erscheinen und sich das verbitten. Insbesondere, wenn es sich um Lehrerinnen handelt, dass sie ihre Söhne, die kleinen Paschas, da mal etwas zurechtweisen.“

In der Neuköllner Gropiusstadt beklagt Merz, dass nach seinem Auftritt „nur der Videoschnipsel“ von den „kleinen Paschas“ im Zentrum der Medienberichte gestanden hätten. Dies sei „Manipulation durch Ausschnitte, durch Weglassen“.

Franziska Giffey, die Regierende Bürgermeisterin Berlins, hatte Freitagnachmittag bezüglich der CDU-Veranstaltung in Neukölln mitgeteilt: „Erst die schrecklichen Ereignisse an Silvester für den eigenen Wahlkampf instrumentalisieren, dann die Menschen in Berlin nach Vornamen in Schubladen stecken wollen und jetzt ausgerechnet in Neukölln einen Wahlkampftermin inszenieren.“ Was Friedrich Merz und die Berliner CDU seit Wochen veranstalteten, sei „populistisch und durchschaubar“. Die Partei wolle spalten, hetzen und dann wieder relativieren. „Mit diesem Muster macht die CDU Positionen der Rechten salonfähig.“

Besonderen Anstoß nahm Giffey an einer Anfrage der Berliner CDU an den Senat nach den Vornamen der in der Silvesternacht ermittelten Tatverdächtigen. Weil Berlin in der Kommunikation von Kriminalitätsstatistiken auf die Mitteilung des Migrationshintergrundes verzichtet, so auch nach der Silvesternacht, hatte die CDU-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus diese Anfrage an den Senat gestellt, um dennoch ein etwas besseres Bild über die migrantische Komponente der Krawalle zu erhalten.

Diesen Prozess bewerteten viele linke Politiker als unzulässig. Der SPD-Innenpolitiker Helge Lindh nahm darin sogar eine „Rassifizierung nach Namen in der Tradition der Namenspolitik der Nazis“, wahr. „Wir werden Zeugen einer völkisch-rassistischen Enthemmungswelle der CDU“, schrieb der Sozialdemokrat. Verglichen damit war selbst die Wahlkämpferin Giffey in ihrer Kritik an der CDU und deren Strategie, Wählerstimmen zu gewinnen, noch moderat.

In der Gropiusstadt will am Ende noch eine Zuhörerin wissen, ob sich die CDU bald der AfD annähern wolle. Dazu sagt Parteichef Merz, man werde Leuten, die Verbrechen der Nazizeit als „Fliegenschiss“ bezeichnen, „keinen Millimeter“ entgegenkommen.

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