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Migration und Chancen-Aufenthalt: Verramscht die Ampel den deutschen Pass?

Mit mehreren Großprojekten will die Ampelkoalition die Migrationspolitik neu ausrichten. Auftakt ist ein "Chancen-Aufenthaltsrecht", Abschluss soll ein neues Staatsbürgerschaftsrecht sein. Aus der Union kommt vehemente Ablehnung, aber auch Zustimmung.

Migrations- und Integrationspolitik ist immer umstritten, sie eignet sich hervorragend für Vorwürfe. Die einen warnen bei jedem Vorstoß der anderen vor einer Einwanderung in die Sozialsysteme, die anderen werfen den einen jahrzehntelange Versäumnisse vor. Dass die Ampel viel Widerspruch ernten würde mit ihrem Vorhaben einer "Modernisierung des Einwanderungsrechts", auf die sie sich in ihrem Koalitionsvertrag mit dem Titel "Mehr Fortschritt wagen", geeinigt hatte, war abzusehen.

Jetzt ist es so weit. Die Union wirft der Koalition vor, sie wolle den deutschen Pass "verramschen". Dabei geht es um die Pläne des SPD-geführten Bundesinnenministeriums zur Einbürgerung, die in der Koalition noch umstritten sind. Mit Blick auf die Anwerbung ausländischer Fachkräfte sagte der bayerische Innenminister Joachim Herrmann am Mittwoch im "Frühstart" von ntv, es gebe in Deutschland aktuell rund eine Million arbeitslose Ausländer. "Wenn jemand ohne berufliche Qualifikation in unser Land kommen will und es gibt auch keinen Arbeitgeber, der gleich sagt, den will ich haben, dann kann es schon schwierig werden", so der CSU-Politiker. "Wir wollen keine Zuwanderung in unsere Sozialsysteme, sondern tatsächlich Arbeitskräfte, die mithelfen."

Auch CDU-Chef Friedrich Merz kritisierte die Pläne der Ampel zur Einwanderung von Fachkräften. "Wir brauchen mehr", räumte Merz ein. Aber Deutschland schöpfe "die Potenziale, die wir schon jetzt haben, nicht aus", sagte er und verwies auf die in Deutschland vorhandenen Arbeitslosen, auf die Freizügigkeit für Arbeitnehmer in der EU sowie auf "hunderte, wenn nicht tausende" Fachkräfte, die im Ausland darauf warteten, ein Visum für Deutschland zu bekommen, "und sie bekommen es nicht, weil die Mitarbeiter [in den Auslandsvertretungen] nicht da sind und nicht schnell genug arbeiten".

"Chancen-Aufenthaltsrecht"

Die Anwerbung von Fachkräften ist nur ein Punkt aus einer Reihe von migrationspolitischen Vorhaben der Ampelkoalition. An diesem Freitag stimmt der Bundestag über die Einführung eines sogenannten "Chancen-Aufenthaltsrechts" ab. Im Gesetzentwurf heißt es, damit solle auch jenen Ausländern, "die ausreisepflichtig sind, sich aber erfolgreich in unsere Gesellschaft integrieren und sich rechtstreu verhalten", die Chance eingeräumt werden, "die notwendigen Voraussetzungen für einen dauerhaften Aufenthalt zu erlangen".

Wer zum Stichtag 1. Januar 2022 seit fünf Jahren legal in Deutschland lebte und nicht straffällig geworden ist, soll eine auf ein Jahr befristete Aufenthaltserlaubnis erhalten. Wer es in dieser Zeit schafft, die übrigen Voraussetzungen für ein Bleiberecht zu erfüllen, soll das Recht auf einen langfristigen Aufenthalt bekommen. Notwendig dafür sind vor allem Sprachkenntnisse und die Sicherung des eigenen Lebensunterhalts. Betroffen sind dem Gesetzentwurf zufolge 136.605 Ausländer.

Der Gesetzentwurf soll zugleich "die Voraussetzungen für eine zügige Aufenthaltsbeendigung derjenigen" schaffen, die sich nicht rechtstreu verhalten und nicht integrieren.

Aus der Union kommt nicht nur Kritik. Eine Gruppe von 19 Abgeordneten der Fraktion verfasste eine gemeinsame Erklärung, in der das Chancen-Aufenthaltsrecht gelobt wird. Der Gesetzentwurf folge "der bisherigen Linie der Union, wonach langjährig geduldeten Flüchtlingen eine dauerhafte Bleibeperspektive geboten wird, wenn sie sich in die Gesellschaft integrieren", heißt es in dem Text, den unter anderem der frühere CDU-Chef Armin Laschet unterzeichnet hat. Da es trotzdem Punkte gebe, die man kritisch bewerte, wollen die Unterzeichner sich am Freitag im Bundestag enthalten.

Beschleunigung von Asylverfahren und Rückführungsoffensive

Ebenfalls am Freitag stimmt der Bundestag über einen Gesetzentwurf über eine Beschleunigung von Asylverfahren ab. Nach Darstellung der Ampelkoalition soll die asylrechtliche Rechtsprechung vereinheitlicht, Asylverfahren erleichtert und das Asylrecht vereinfacht und das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge entlastet werden. So soll die sogenannte Regelüberprüfung durch das BAMF gestrichen werden und nur noch "anlassbezogen" erfolgen. Die Flüchtlingshilfeorganisation Pro Asyl befürchtet, dass Geflüchtete es künftig "noch schwerer" haben werden, ihre Rechte vor Gericht einzuklagen.

In ihrem Gesetzentwurf verweisen die Ampelfraktionen auf die "Rückführungsoffensive", die sie bereits vor einem Jahr in ihrem Koalitionsvertrag verabredet hatten. Keine Rede ist im Gesetzentwurf vom Sonderbevollmächtigten, auf den SPD, Grüne und FDP sich damals ebenfalls geeinigt hatten. Dessen Aufgabe sollte die Aushandlung von Migrationsabkommen sein, bei denen es einerseits um die Anwerbung gehen sollte, andererseits um die Zusammenarbeit bei der Rückkehr abgelehnter Asylbewerber.

Dass diese Stelle endlich geschaffen wird, mahnt vor allem die FDP an. Nach einem Bericht des "Spiegel" wollen die Liberalen das Amt mit dem früheren nordrhein-westfälischen Integrationsminister Joachim Stamp besetzen. Danach ist der Grund für die von der FDP geäußerte Skepsis beim Einbürgerungsrecht die Tatsache, dass dies noch nicht geschehen ist.

Einwanderung von Fachkräften

Der nächste Punkt auf der Liste der Ampel ist ein neues Zuwanderungsrecht für Fachkräfte. Ein 23-seitiges Eckpunktepapier dazu wurde am Mittwoch vom Bundeskabinett beschlossen. Das geplante Regelwerk werde "das modernste Gesetz Europas zur Fachkräfteeinwanderung", sagte Bundesinnenministerin Nancy Faeser. Obwohl es bislang nur Eckpunkte sind, ist das Projekt der Ampel offenkundig wichtig: Zur Vorstellung des Plans kamen neben Faeser auch Arbeitsminister Hubertus Heil, Wirtschaftsminister Robert Habeck und Bildungsministerin Bettina Stark-Watzinger.

In Deutschland gebe es "unglaublich viele Arbeitsplätze", für die es keine Fachkräfte gebe, so die SPD-Politikerin Faeser, "so dass wir eine Zuwanderung aus Drittstaaten zwingend brauchen". Ihre Kollegin Stark-Watzinger von der FDP sagte, das Gesetz sei "überfällig".

Entsprechend drückt die Bundesregierung auf die Tube: Anfang 2023 soll aus den Eckpunkten ein Gesetz werden. Dazu soll dann auch eine "Chancenkarte" nach dem Vorbild des kanadischen Punktesystems gehören, mit der auch Menschen nach Deutschland kommen können, die keinen Arbeitsvertrag mit einem deutschen Arbeitgeber haben. "Zu den Auswahlkriterien können Qualifikation, Sprachkenntnisse, Berufserfahrung, Deutschlandbezug und Alter gehören", heißt es im Eckpunktepapier. Die Kritik von Oppositionsführer Merz wird darin auch gleich aufgegriffen: Um das Potenzial für Fachkräfte im Inland zu heben, sollen Bildungschancen verbessert, Aus- und Weiterbildung verstärkt und die Erwerbstätigkeit von Frauen erhöht werden.

Ein neues Einbürgerungsrecht?

Umstritten in der Ampel ist allerdings die eigentlich auch im Koalitionsvertrag verabredete Modernisierung des Staatsangehörigkeitsrechts. Faesers Ministerium hat dazu einen Referentenentwurf vorgelegt, ein Papier also, das der Form nach ein fertiger Gesetzentwurf ist, aber faktisch den Status eines Denkanstoßes hat - wenn auch eines sehr kräftigen.

Darin steht letztlich kaum etwas, das nicht auch im Koalitionsvertrag steht: Die Mindestaufenthaltsdauer vor der Einbürgerung soll von acht auf fünf Jahre verkürzt werden, bei besonderen Integrationsleistungen auf drei Jahre; doppelte Staatsbürgerschaften - die in der Praxis heute schon bei Einbürgerungen fast 70 Prozent ausmachen - sollen grundsätzlich möglich sein; und für Ausländer, die das 67. Lebensjahr vollendet haben, sollen die Anforderungen an das Sprachniveau gesenkt werden.

Der FDP geht das allerdings zu schnell. Erst wenn es "ein funktionierendes Einwanderungsrecht in Deutschland" gebe, "können wir gerne auch über das Thema Einbürgerung sprechen", sagte FDP-Fraktionsvize Konstantin Kuhle ntv.de. Er betonte allerdings auch, dass seine Partei sich nach wie vor zum "migrationspolitischen Gesamtpaket der Ampelkoalition" bekenne.