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Migrationsforscher zu EU-Streit: "Diese Asylreform wird am Ende nichts bewirken"

Ein Machtwort des Kanzlers, zähe Verhandlungen in Brüssel und Italien ziert sich noch: Wird am Ende die EU-Asylreform gelingen? Migrationsforscher Knaus glaubt an einen Kompromiss. Um die Probleme wirksam anzugehen, sind die neuen Regeln nach seinen Worten jedoch ungeeignet.

ntv: Wird es in den nächsten Tagen tatsächlich einen Kompromiss im EU-Asylstreit geben und wie wird er aussehen?

Gerald Knaus: Ich glaube, dass wir davon ausgehen können, dass sich die Staaten einigen werden. Diese gesamte Reform steht schon seit einiger Zeit nicht mehr unter der Frage, was das bewirken kann, sondern nur noch unter dem Druck: Wir brauchen irgendeine Lösung, weil wir schon so lange verhandelt haben. Und am Ende wird das dazu führen, dass die Regierungen sich einigen auf einen Kompromiss, von dem ihnen bis heute kein Innenminister erklären kann, was er in der Praxis verbessert. Das Europaparlament kann und muss sich noch einschalten, am Ende sieht aber alles danach aus, dass es zu einem Kompromiss kommt. Die Enttäuschung von all jenen, die jetzt glauben, dass das ein Durchbruch wird, wird dann sehr groß sein.

Also ein Kompromiss, der nichts bringen wird: Was müsste aus Ihrer Sicht geschehen, damit es etwas bringt?

Schauen wir uns den Kern dieses Kompromisses an: Die Kernidee ist, dass mehr Asylverfahren an den Grenzen stattfinden sollen. Die praktische Frage ist - und ich verstehe nicht, dass das nicht zentral war in den Diskussionen seit Jahren: Wie würde das aussehen mit dem, was wir seit Jahren erleben? Ein Beispiel: Im letzten Jahr kamen 21.000 Ägypter mit Schiffen nach Italien. Die allermeisten bekommen keinen Schutz, Italien kann aber im gesamten letzten Jahr nur 300 Ägypter zurückschicken. Was bringen dann Verfahren an den Grenzen, wenn ohnehin alle bleiben, weil es keine Abkommen zu Rückführungen gibt? Noch drastischer sind die Beispiele Elfenbeinküste und Guinea, die größte Gruppe der Menschen, die nach Lampedusa kommen: Im letzten Jahr konnte Italien von ihnen genau drei Personen abschieben.

Die Grundfrage, wie diese Reform dazu führt, dass sich weniger Menschen in Boote und weniger Menschen sterben, bleibt also ungelöst?

Genau. Wir brauchen Abkommen mit Staaten, die sicher sind. Diese Staaten müssen ein Interesse haben, sicher sein zu wollen, um dann sagen zu können: Wir retten jeden, niemand wird unmenschlich behandelt. Aber wir entmutigen Menschen, in Boote zu steigen, weil sie wissen, ab einem Stichtag haben sie keine Chance auf Asyl und grundsätzlich keine Garantie, nach Europa zu kommen. Das im Einklang mit der Europäischen Menschenrechtskonvention zu tun, ist möglich, aber schwierig. Das braucht die Anstrengung und den Fokus der Politiker. Und der fehlt uns, weil wir über diese Reform reden, die am Ende gar nichts bewirken wird.

Migrationsforscher Gerald Knaus
Migrationsforscher Gerald Knaus

Migrationsforscher Gerald Knaus

(Foto: picture alliance/dpa)

Es müsste also mehr Abschiebungen geben?

Nicht ganz. Es geht darum, dass wir realistisch über Abschiebungen nachdenken. Italien, wie gesagt, schafft es nicht, viele Menschen nach Afrika abzuschieben. Das schaffen aber auch Frankreich und Spanien nicht. Das gilt auch für Deutschland. Wir müssen also darüber strategisch nachdenken. Es muss also darum gehen, mit möglichst wenigen Abschiebungen und immer im Einklang mit der Menschenrechtskonvention, die irreguläre Migration zu verringern.

Was ist also die Lösung?

Das kann nur funktionieren, wenn es glaubwürdig ist. Es ist sinnvoll, etwa im Beispiel Lampedusa sagen zu können, ab einem Stichtag steht dort die Infrastruktur bereit, um Menschen zwar zu registrieren, jeden zu retten und niemanden mehr nach Libyen zurückzubringen. Aber wir haben einen Partner, einen sicheren Drittstaat in Afrika, der für die Aufnahme bereit ist. Und in diesem Staat können ab diesem Stichtag etwa durch den UNHCR Verfahren stattfinden. Das würde sofort dazu führen, dass sich weniger Menschen in die Boote setzen.

Kann das gelingen?

Das haben wir gesehen zwischen den USA und Kuba in den 90er Jahren. Wir haben es gesehen in Australien, mehrmals in den letzten Jahrzehnten. Und ja, in diesem Fall hätten wir eine Politik, die dazu führt, dass weniger Menschen in Boote steigen, weniger Menschen sterben. Wir haben die Kontrolle. Das geht natürlich nur, wenn wir dafür auch legale Wege öffnen, mehr Leute legal aufnehmen, auch Flüchtlinge, wie das etwa Kanada tut. Das ist der Paradigmenwechsel, den auch die Ampel-Regierung versprochen hat. Aber die aktuellen Diskussionen lenken nicht nur die deutsche Regierung, sondern die ganze Europäische Union davon ab, was wirklich zu tun wäre. Und am Ende stehen wir dann wieder vor einem Gesetzeswerk, das in der Praxis nicht angewandt wird und das nicht dazu führt, dass weniger Menschen sterben oder irregulär kommen.

Mit Gerald Knaus sprach Raimund Brichta