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Mindestens neun Hurrikan-Tote in Florida - „Das Wasser steigt, man sitzt im Haus fest“

Monster-Hurrikan Ian hinterließ eine Spur unfassbarer Zerstörung. Der Wirbelsturm hatte Mittwoch mit Windstärken von 250 Stundenkilometern die südliche Westküste Floridas heimgesucht: Ganze Landstriche wurden zu Trümmerlandschaften.

Besonders dramatisch ist die Lage auf der Küste vorgelagerten Inseln, darunter Fort Myers Beach. Und die Brücke nach Sanibel stürzte einfach ins Meer, die Insel ist von der Außenwelt abgeschnitten. Dazu ist der Strom für Millionen Menschen ausgefallen.

Schwere Schäden gibt es in der Stadt Cape Coral, wie BILD vor Ort feststellen konnte: Fast wie in Trance kommen viele Bewohner beim ersten Tageslicht aus ihren Häusern. Der erlebte Horror mit heulenden Winden, steigenden Wassermassen und fliegenden Trümmern steht ihnen ins Gesicht geschrieben.

Praktisch alle Bezirke wurden von Ian verwüstet: Straßen sind überflutet, umgeknickte Strommasten und Bäume blockieren den Verkehr. An einigen Gebäuden stürzten sogar gemauerte Wände zusammen. Krankenwagen und Feuerwehrwagen rollen durch den devastierten Ort.

Umgeknickte Bäume, ein Boot auf dem Bürgersteig: Hurrikan Ian wirbelte alles durcheinander

Foto: TOBIAS EVERKE

Mitten drinnen im Sturm war der deutsche Auswanderer Marco Wischmeyer: „Wir sahen das Wasser immer näher kommen, es war bereits Zentimeter vor der Tür“, erzählt der Vermieter von Urlauberwohnungen (Wischi’s Florida Home) über einen Sturmtag, den er nie vergessen werde: „Das Wasser steigt, man sitzt im Haus fest, es gibt keine Fluchtmöglichkeit, da kriegt man es schon mit der Angst zu tun“, sagt er.

Der deutsche Immobilienmakler und Ferienhausvermieter Marco Wischmeyer vor seinem Haus in Cape Coral

Foto: TOBIAS EVERKE

Stundenlang harrte er mit seiner Frau und Tochter aus, während draußen die Naturgewalten tobten. Die Straße vor dem Haus stand meterhoch unter Wasser.

Hatte er Todesangst? Er schüttelt den Kopf: „Eher ist es ein beklemmendes Gefühl der Hilflosigkeit!“

Unter dem Dachgiebel hatte er eine Zufluchtsstätte eingerichtet, ein kleiner Raum mit Kissen zum Ausharren. Und eine Hacke ist dort, damit im extremen Notfall das Dach durchschlagen werden kann. Solche Werkzeuge hatten viele bei Hurrikan Katrina (2005, 1600 Tote) nicht dabei, erinnert sich der Unternehmer, damals ertranken viele hilflos im Dachboden.

Diese Straße in Cape Coral wurde von den umgestürzten Bäumen blockiert

Foto: TOBIAS EVERKE

Er zeigt die Schäden am Haus: Die Pflanzen sind umgeworfen, das Mückengitter über dem Pool weggeweht, das Becken jetzt voll bräunlichen Flutwassers. Die Abdeckung des Jacuzzi wurde weggerissen, „mit einem lauten Knall“, sagt Wischmeyer.

Fast wäre auch sein Boot von den Hochwassermassen weggerissen worden. So, wie es einigen Nachbarn erging: „Da sah man die Schiffe vorbeifahren, alle ohne Kapitän“, muss er fast grinsen. Dann wieder ernst: „Das waren Szenen wie aus einem Katastrophenfilm, wie im ,The Day After Tomorrow’, als der Kahn durch das geflutete New York treibt.“

Aber warum sind hier fast alle geblieben? Die Kritik an falschen Prognosen über die mögliche Sturmbahn wird lauter. Lange hatte es genießen, Ian werde im Großraum Tampa einschlagen. Als klar wurde, dass der Monster-Hurrikan vor Cape Coral gegen die Küste krachen wird, war es für die Flucht zu spät.

Erklärgrafik Hurrikan: So funktioniert der Wirbelsturm – info.BILD.de

Deshalb könnte es eine grauenhaft hohe Todesbilanz geben, befürchten die Behörden. Der Sheriff des Landkreises „Lee County“, zu dem Cape Coral und Fort Myers gehören, mutmaßte gegenüber ABC, dass es „Hunderte Tote“ geben könnte, besonders auf den vorgelagerten Inseln.

Er ruderte dann, zurückgepfiffen offenbar von Florida-Gouverneur Ron DeSantis (44), jedoch zurück: Es habe sich nur um eine Vermutung gehandelt. Bis zum Donnerstag bestätigten die Behörden neun Tote im Zusammenhang mit dem Hurrikan. Zwei Opfer waren in Kuba zu beklagen.

US-Präsident Joe Biden sagte am Donnerstag, „unser ganzes Land leidet“ mit den Menschen in Florida. Der Sturm könnte der „tödlichste Hurrikan in der Geschichte Floridas“ werden.

BILD sah auf der Autobahn endlose Kolonnen an Rettungswagen, die auf dem Weg in die Katastrophenzonen waren. Eine vorbeugende Verlegung – oder wurden sie gebraucht?

„Ich habe meine Tochter gebeten, von Tampa zu uns nach Cape Coral zu kommen“, nennt Auswanderer Wischmeyer ein sehr persönliches Beispiel für die Vorhersage-Misere bei Ian. Am Ende blieb Tampa, 200 Kilometer nördlich, beinahe unversehrt – und seine evakuierte Tochter musste im Horror-Hurrikan um ihr Leben fürchten.

Ein paar Straßenblöcke weiter nehmen entschlossene Bürger das Heft selbst in die Hand: Cameron Jolly zersägt mit einer Kettensäge den Stamm und die Äste eines umgestürzten Baumes, sein Freund zieht das Hindernis mit einem am Pickup montierten Seil von der blockierten Straße. „Damit Einsatzfahrzeuge hier durchkommen“, sagt er: „Wir wollen keine Zeit verlieren!“

Cameron Joll räumt auf: Mit einer Kettensäge und einem Pickup eines Freundes schafft er die umgestürzten Bäume beiseite

Foto: TOBIAS EVERKE

Den Sturm beschreibt er als „crazy“, verrückt eben: „Es hat unser Dach weggeweht!“ Er lebte früher in den Florida Keys, sei an Wirbelstürme gewöhnt, fügt er an. Doch so eine Zerstörung wie durch Ian habe er noch nie erlebt.

Bei all diesen Szenen der Verwüstung wird klar: Südwest-Florida hat einen langen und noch schmerzhaften Weg zurück in die Normalität vor sich.