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Mit diesem Urteil ebnet Karlsruhe den Weg für neue EU-Schuldentöpfe

Das Bundesverfassungsgericht hat der europäischen Debatte über neue gemeinsame Schulden für die Energiewende und die Bewältigung der Energiekrise weiteren Schwung verliehen. Die Karlsruher Richter urteilten, dass das rund 807 Milliarden Euro schwere und mit gemeinsamen Schulden finanzierte Corona-Wiederaufbauprogramm NextGeneration EU mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Damit wiesen sie zwei Klagen gegen das Programm und die Aufnahme gemeinsamer EU-Schulden ab.

Für den Fonds nimmt die Europäische Kommission erstmals in solch großem Umfang Schulden auf, für die Deutschland und die anderen EU-Mitgliedstaaten mit ihrem Anteil am EU-Haushalt haften. Die Kläger hatten argumentiert, dass Deutschland damit ganz erhebliche finanzielle Risiken eingehe, insbesondere, wenn ein EU-Staat pleitegehen sollte oder die EU verlässt.

Auch wenn diese Frage in den Klagen und bei der mündlichen Verhandlung in Karlsruhe sehr großen Raum einnahm, haben die Richter sie in ihrem Urteil lediglich gestreift. Bereits bei einer Eilentscheidung im vergangenen Frühjahr hatte das Gericht Bundespräsident Walter Steinmeier erlaubt, das Gesetz für die Schuldenaufnahme zu unterschreiben. Damals hatten die Richter geurteilt, dass selbst im schlimmsten Falle, wenn andere EU-Länder ausfallen würden, Deutschland immer noch in der Lage wäre, die finanziellen Verpflichtungen zu tragen.

Im Urteil vom Dienstag beschäftigten die Richter sich vor allem mit der Frage, ob die EU mit der Aufnahme gemeinsamer Schulden ihre Kompetenzen überschritten habe. In ihrem Urteil machen die Richter klar, dass ihnen die EU-Schulden ganz erhebliche Bauchschmerzen bereiten.

„Die Richter sagen zwar, dass durchaus die Möglichkeit besteht, dass die EU mit NextGeneration EU unter Umständen ihre Kompetenzen überschritten hat und dass damit die Europäischen Verträge verletzt wurden“, sagt Mattias Wendel, Professor für öffentliches Recht an der Universität Leipzig. „Die Vertragsverletzung ist aus ihrer Sicht aber jedenfalls nicht offenkundig.“

Quelle: Infografik WELT

Dass die Mehrheit des Senats den schuldenfinanzierten Fonds trotzdem durchgewinkt hat, liegt daran, dass die Richter sich in diesem Fall sehr zurückgenommen haben und nur untersucht haben, ob eine offensichtliche Kompetenzverletzung vorliegt.

Ein Verfassungsrichter scherte sogar ganz aus: Peter Müller trug das Urteil nicht mit. Aus seiner Sicht ist das Aufbauprogramm der erste Schritt hin zu einer Transferunion, in der Deutschland für die Schulden anderer haftet.

Quelle: Infografik WELT

„Die eigentliche Überraschung war, dass die Richter diese Frage nicht dem Europäischen Gerichtshof vorgelegt haben“, sagt Wendel. „Das hätte für Rechtsklarheit sorgen können. Jetzt ist immer noch nicht geklärt, wo genau die Kompetenzgrenzen verlaufen und das ist juristisch unbefriedigend.“

Die Kläger, darunter der Rechtsprofessor Bernd Lucke, können nicht selbst vor das EuGH ziehen. Die Richter dort nehmen nur Fälle an, die von den nationalen Gerichten dorthin verwiesen werden oder wenn Personen klagen, die ganz direkt von EU-Recht betroffen sind.

Bedingungen für künftige gemeinsame Schulden

Gleichzeitig skizzierten die Richter in ihrem Urteil, unter welchen Bedingungen die EU künftig weitere gemeinsame Schulden machen kann. Die Richter verlangen, dass der Zweck neuer Schuldentöpfe und die Höhe der Schulden klar definiert sind, dass die Schulden zeitlich begrenzt sind und dass die Höhe der neu aufgenommenen Schulden das übrige EU-Budget nicht übersteigt.

Den Einstieg in eine permanente Schuldenunion, in der die EU wie ein Staat Schulden machen kann, um ihre Arbeit zu finanzieren, haben die Richter aber vorerst verbaut. „Das Gericht sagt klar, dass Dauer und Volumen neuer Schulden klar festgelegt sein müssen“, sagte Thu Nguyen, Fellow am Jacques Delors Centre Berlin.

„Einen permanenten Fonds ohne zeitliche Begrenzung unter den jetzigen Verträgen schließen die Richter aber aus.“ Die Hürden für neue zeitlich befristete Schulden sind aus Sicht von Experten so niedrig, dass sie den Weg frei machen für neue Projekte, wie sie derzeit in Europa diskutiert werden.

„Die Hürden, die das Gericht hochzieht, wenn es um die Versuche von Brüssel geht, Aufgaben weiter schuldenfinanziert zu erledigen, sind nicht so streng und hoch, wie die einen erhofft und die anderen befürchtet hatten“, sagt Martin Nettesheim, Professor für Europarecht an der Universität Tübingen. „Wir wissen alle, wie kreativ die Kommission sein kann, Instrumente als einmalig zu bezeichnen. Ich sehe mehr Begründungs- und Konstruktionsaufwand, aber keine echte Hürde.“

„Mit diesem Rückenwind aus Karlsruhe wird der Druck aus Brüssel auf die Bundesregierung nun wachsen, den Weg für die Schuldenfinanzierung neuer EU-Programme frei zu machen“, warnt Friedrich Heinemann vom Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung. Ursula von der Leyen, die Präsidentin der Europäischen Kommission hatte am Sonntag einen „Souveränitätsfonds“ gefordert, der Zukunftstechnologien subventionieren soll.

Paschal Donohoe, der gerade wiedergewählte Vorsitzende der Eurogruppe, schließt einen neuen mit Gemeinschaftsschulden finanzierten Fonds allerdings bis auf Weiteres aus. „Einige Regierungen plädieren öffentlich für neue Finanzierungsmodelle und neue Finanzierungen. Aber der einzige Konsens, den es derzeit auf der Ebene der Finanzminister gibt und die einzige Vereinbarung, die besteht, bezieht sich auf die Instrumente, auf deren Verwendung wir uns bereits geeinigt haben“, sagte der irische Politiker gegenüber WELT.

„Die derzeit einzige politische Übereinkunft deckt bestehende Haushaltsinstrumente und NextGeneration EU und dessen Nutzung. Aber über alles, was darüber hinausgeht, gibt es im Moment keinen politischen Konsens.“ Die vorhandenen Mittel reichten aus, um auf die aktuellen Herausforderungen zu reagieren.

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