1. Söders Schubkraft
Wenn wir Journalisten gar nicht wissen, was wir einen Politiker fragen sollen, dann fragen wir: Was treibt Sie an? Meine Kollegen Sebastian Fischer, Jan Friedmann und Florian Gathmann haben jetzt mit Markus Söder gesprochen und ebendiese Frage nicht gestellt. Eine Antwort liefert ihr Interview trotzdem: Markus Söder wird, das zeigt sich schnell, wie das Raumschiff Enterprise angetrieben durch einen Warp-Kern. Aber im Unterschied zum Raumschiff Enterprise prallen bei Söder nicht Materie und Antimaterie aufeinander, um den enormen Energiebedarf zu decken, sondern These und Gegenthese.
Der Söder-Antrieb speist sich aus Widersprüchen; je eklatanter, desto höher die Schubkraft. Zwei Beispiele: Die CSU bekomme allein keine Mehrheit, sagt Söder, weil die Leute mit der Ampel in Berlin unzufrieden seien. Der Hauptgegner der CSU sei die AfD, sagt Söder, und drischt besonders heftig auf die Grünen ein. (Hier das ganze Interview. )
»Söder war guter Dinger, als wir ihn trafen«, sagt Sebastian, »am Wochenende hatte die CSU ihm beim Parteitag mit einem Traumergebnis den Rücken gestärkt – wenig überraschend, so kurz vor der Wahl.« Allerdings grummelt es in der Partei, manche halten es für ungeschickt, dass Söder sich so früh auf die Freien Wähler als Koalitionspartner festgelegt hat. »Erstmals in der neueren CSU-Geschichte zieht die Partei mit einer klaren Koalitionsaussage in den Wahlkampf, nun können sich Hubert Aiwangers Wählerinnen und Wähler sicher sein, dass ihre Stimmen nicht verloren sind.« Söder versucht gegenzusteuern im Gespräch mit meinen Kollegen, er mahnt: Die Freien Wähler bräuchten keine Leihstimmen aus dem CSU-Lager. Und er betont, dass die Freien Wähler auf Bundesebene keine Rolle spielen. Wird das verfangen? »Ich glaube nicht«, sagt Sebastian. »Aiwanger wird gestärkt in die nächsten Koalitionsverhandlungen gehen und mehr für sich und seine Leute fordern.« Aber auch das wird Markus Söder als Erfolg darstellen – und so seinen Antrieb befeuern.
2. Väterchen Rost vs. Väterchen Frust
Die US-Autoindustrie schlittert in den größten Streik seit Jahrzehnten, und die Rivalen ums Weiße Haus eilen ins Herz des »Rust Belt« nach Detroit. »Für Biden ist der Streik Gelegenheit und Risiko zugleich«, berichtet mein Kollege Alexander Demling. »Gelegenheit, weil der selbst ernannte ›gewerkschaftsfreundlichste Präsident in der Geschichte‹ mit seinem Leib- und Magenthema durch einen Battleground State touren kann.« (Hier der ganze Bericht. )
Aber Michigan ist auch einer der Staaten, in denen Donald Trump 2016 sensationell gegen Hillary Clinton gewann. »Es ist der symbolträchtigste der ›Rostgürtel‹-Staaten, in denen darbende Industrien wie Stahl oder Auto noch immer Identität stiften«, schreibt Alex. Eine zunehmend von Groll und Zukunftsangst geprägte Identität, die Trump wieder nutzen könnte.
Wie, das analysiert mein Kollege Roland Nelles: Trump müsse in die Stammwählerschaft der Demokraten vordringen und gleichzeitig mehr Wechselwähler auf seine Seite ziehen. »Sein Auftritt vor streikenden Autogewerkschaftern ist wohl Teil dieses Kalküls«, schreibt Roland. »Deshalb ist er nun nett zu den Gewerkschaftern und gibt den Arbeiterführer.« Dabei habe sich Trump als Präsident nie ernsthaft für die Belange der Gewerkschafter interessiert. Immer wieder attackierte er deren Führungsleute, warf ihnen Maßlosigkeit vor. »Trumps Regierung verabschiedete sogar mehrere Regelungen, die die Rechte von Arbeitern beschneiden sollten.« Die neue Taktik nennt Roland »Trump im Schafspelz« und fürchtet: Sie könnte aufgehen.
3. Achtung, Flake-News
Wir unsportlichen Kinder der Achtziger und Neunziger hatten ein Wappentier: Tony, den Zeichentrick-Tiger mit rotem Halstuch. Es klappt nicht so beim Tennis, Surfen, Eishockey? Dann hau dir einfach überzuckerte Frühstücksflakes rein – die wecken den Tiger in dir! (Und dir !)
Auch bei Kellogg’s selbst scheint der Tiger erwacht zu sein: »Mit überraschender Härte hat sich der Konzern mit gleich zwei führenden deutschen Supermarktketten angelegt, mit Edeka und Rewe«, berichten meine Kolleginnen Maria Marquart und Kristina Gnirke . Es geht natürlich nicht um Sport, sondern ums Geld. Die Supermärkte finden, Kellogg’s wolle zu viel draufschlagen – und blasen zur Großwildjagd: »Exorbitante Preisforderungen« wirft Edeka dem Konzern vor.
Rewe und Edeka als Rächer des inflationsgepeinigten Einkaufswagenschiebers? »Die Supermarktketten inszenieren sich so, um verärgerte Kunden zu halten, damit sie nicht zur Konkurrenz abwandern, obwohl Markenprodukte fehlen«, sagt Maria. Die Abfuhr, die Rewe und Edeka von dem US-Konzern bekommen haben, macht allerdings auch eine unschöne Nachricht für deutsche Verbraucher deutlich: »Die Sparsamkeit beim Lebensmittelkauf macht das Geschäft hierzulande so unattraktiv, dass sich die globalen Konzerne angesichts geringer Margen für den deutschen Markt nicht mehr besonders interessieren.« Für Edeka heißt das: Lass ihn weg, den Tiger. In den Regalen stehen jetzt Eigenmarken statt Smacks, Froot Loops und Frosties.
Was heute sonst noch wichtig ist
Kabinett beschließt Kindergrundsicherung: Sie gilt als zentrales Vorhaben zur Bekämpfung von Kinderarmut: Die Bundesregierung hat die hart umkämpfte Kindergrundsicherung auf den Weg gebracht. Das Vorhaben umzusetzen, wird jedoch dauern.
Rödder gibt Posten als Chef der CDU-Grundwertekommission auf: In der CDU gab es scharfe Kritik für die Äußerungen des Historikers Andreas Rödder, der eine Minderheitsregierung mit AfD-Unterstützung ins Spiel brachte. Nun bemängelt er die Diskussionskultur in der CDU und zieht Konsequenzen.
Kiew meldet Rückkehr der Wagner-Kämpfer in die Ostukraine: Nach dem Marsch auf Moskau waren viele Beteiligte offiziell ins Exil abgeschoben worden. Nun heißt es aus der Ukraine: Einige Söldner der Gruppe um den verunglückten Jewgenij Prigoschin kämpfen erneut für Russland.
Nordkorea will übergelaufenen US-Soldaten ausweisen: Im Juli rannte Travis King über die Grenze von Süd- nach Nordkorea und sitzt dort seither in Gewahrsam. Nun melden Staatsmedien, die Befragung des US-Soldaten sei abgeschlossen. Er müsse das Land wieder verlassen.
Was wir heute bei SPIEGEL+ empfehlen
Kommt jetzt die Apotheke ohne Apotheker? Gesundheitsminister Karl Lauterbach überlegt, das Apothekenwesen von Grunde auf neu zu regeln – und löst damit einen Proteststurm aus. Die Idee ist tatsächlich nicht ungefährlich .
Wie Google »das Internet« wurde: Mit Innovationen, Übernahmen und gewaltigen Rechenzentren wurde das von Larry Page und Sergey Brin gegründete Google zum führenden Internetkonzern. Zum 25. Geburtstag leistet sich das Unternehmen, mehrere seiner Angebote einzudampfen .
Eine ganz köstliche Geschichte: Thessaloniki war einst eine kosmopolitische Metropole, diese Vergangenheit sieht man der Stadt kaum noch an. In ihren Kochtöpfen aber ist die Geschichte lebendig. Die besten Tipps für Foodies .
Was heute weniger wichtig ist
In die Röhre glucksen: »Tagesschau«-Sprecherin Susanne Daubner, 62, hat sich offenbar durch eine Bemerkung eines »Morgenmagazin«-Moderators aus der Fassung bringen lassen und vor laufender Kamera einen Lach-Flash bekommen. Nach dem Satz »Einen schönen guten Morgen, meine Damen und Herren« musste sie kichernd pausieren und sagte »Entschuldigung«. Dann der erste Versuch, eine Nachricht zum Chemiegipfel vorzulesen: »Bundeskanzler Scholz trifft sich …« Sie wurde wieder vom Lachen überwältigt, atmete tief durch: »Das tut mir jetzt echt leid.«
Mini-Hohlspiegel
Aus einer Werbebeilage
Und heute Abend?
Könnten Sie im Kino die neue Dokumentation »Carlos: Santanas Reise« anschauen. An dem Film hat der Weltstar und Ausnahmegitarrist selbst mitgewirkt. Mein Kollege Arno Frank hat mit ihm über Rassismus, Reiseflughöhen, Spiritualität und Sex gesprochen. Der lustigste Satz: »Menschen sind Blumen, Musik ist Wasser – und ich bin ein Gartenschlauch.« (Hier das ganze Interview. )
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Ihr Oliver Trenkamp, Blattmacher in der Chefredaktion