Trump vor Gericht, Johnson politisch erledigt
Donald Trump
Foto: CARLOS BARRIA / REUTERSWas für eine bizarre Gleichzeitigkeit: Am selben Tag, an dem die erschöpfend, lange Liste von 37 Anklagepunkten gegen Donald Trump in Florida öffentlich wird, muss in Großbritannien der ehemalige Premierminister Boris Johnson von seinem Amt als Abgeordneter zurückgetreten – weil er das Parlament belogen hatte, wie eine Untersuchungskommission feststellte. Er selbst sieht sich als Opfer einer Verschwörung – dahinterstecke, behauptet er, dass der Brexit rückgängig gemacht werden solle.
Die Gleichzeitigkeit ist Zufall, aber Trump und Johnson waren sich immer in einer Sache ähnlich: Sie vertraten beide den Populismus eines narzisstischen Anführers. Es ist kein Wunder, dass solche Figuren dazu neigen, sich zu überschätzen und sich über dem Gesetz zu glauben. Und dass sie dann auch auf die Nase fallen. Der Populismus als solcher ist trotz dieser überraschenden Doppelnachricht natürlich noch lange nicht am Ende, im Gegenteil, die politische Karriere von Boris Johnson vorläufig allerdings schon. Und die von Donald Trump?
Man könnte sagen, dass Trump auch deshalb Präsident wurde, weil er es schaffte, Hillary Clintons nachlässigen Umgang mit vertraulichen Informationen als schwerwiegender darzustellen als seine ganze Lebensgeschichte voller Verfehlungen. Doch nun holt ihn der Umgang mit vertraulichen Dokumenten selbst ein, die Anklageschrift wirkt auf den ersten Blick vernichtend: Da sind jetzt die entlarvenden Bilder mit Kisten voller vertraulicher Unterlagen, die er überall lagerte. Da sind die verbürgten Zitate von ihm, in denen er darüber spricht, die Geheimdokumente einfach verschwinden zu lassen. Und da sind seine Anwälte – die angesichts dieser Stresssituation ihres Klienten kapituliert haben und zurückgetreten sind. Nein, so richtig gut sieht das alles nicht aus.
Am nächsten Dienstag muss Trump in Florida vor Gericht erscheinen, er wird angeklagt – bereits zum zweiten Mal. Das Verfahren in New York, bei dem er wegen sexueller Übergriffe zu Zahlungen in Millionenhöhe verurteilt wurde, liegt nur wenige Wochen zurück. Und schon bald könnten weitere Anklagen auf ihn zukommen: In Georgia, wo er nach seiner Wahlniederlage Druck auf die Behörden ausübte, die Wahl in seinem Sinne nachträglich zu fälschen. Die Trumpsche Präsidentschaft löst sich also nachträglich auf in eine Reihe von Gerichtsprozessen – während die nächste bereits wieder als Gespenst vor der Tür steht. In Florida hat Trump erst mal Glück: Der Richter, dem er dort gegenübertritt, wurde von Trump selbst ernannt und hat schon in der Vergangenheit in dessen Sinne entschieden. Aber das ändert nichts daran, dass Trumps Gerichtsverfahren für seine Kandidatur im Rennen zum Präsidentschaftswahlkampf ein Risiko sind, das unkalkulierbar ist.
Der Schuldige am Dammbruch ist Putin
Es sind katastrophale Bilder der Zerstörung, die von der Flutkatastrophe in der Ukraine nach und nach zu uns gelangen: Selbst in der Stadt Odessa am Schwarzen Meer, die weit weg von der Mündung des Dnjepr liegt, werden aus dem Überflutungsgebiet Müll, Alltagsgegenstände, sogar Kühlschränke angeschwemmt. Ganze Minenfelder wurden davon geschwemmt, die ganzen verheerenden Folgen werden erst in Tagen und Wochen zu sehen sein. Viele Menschen haben nach dem Krieg nun auch noch durch das Wasser ihre Lebensgrundlage verloren.
Gerettete nach der Flutkatastrophe in Cherson
Foto: Evgeniy Maloletka / picture alliance/dpa/APWie die Katastrophe genau geschehen ist, setzt sich erst nach und nach zusammen. Meine Kolleginnen und Kollegen haben hier in Gesprächen mit Experten und Menschen vor Ort versucht, verschiedene Szenarien zusammenzutragen – und sie beschreiben, wie verzweifelt die Lage entlang des Flusslaufs ist: Katastrophe von Kachowka: Und dann brach der Damm .
Unsere Mitarbeiterin Katja Lutska in Kiew hat den Chef des staatlichen ukrainischen Betreiberkonzerns des Staudamms interviewt . Er sagt: Der Damm sei schon vor Monaten von russischem Militär vermint und nun gesprengt worden. Reparieren werde man ihn nicht können – nur vollkommen neu bauen.
Die genauen Umstände, die zum Bruch des Staudamms führten, müssen noch geklärt werden. Doch für mich gibt es, ganz unabhängig davon, keinen Zweifel, wer schuld an der Katastrophe ist. Es ist Präsident Wladimir Putin. Er ist es, der mit seinem verbrecherischen Krieg verbrannte, vergiftete und überflutete Erde hinterlässt. Damit ist eine Vernichtungsfantasie wahr geworden, mit der Moskaus Herrschende die Ukraine seit Kriegsbeginn überziehen. Zu Beginn wollten die russischen Kriegsherren die ukrainische Identität zertrümmern, mittlerweile wollen sie das ganze Land demolieren. Ich freue mich, wenn Sie dazu auch meinen Leitartikel lesen:
Mehr Nachrichten und Hintergründe zum Krieg in der Ukraine finden Sie hier:
Zerstörtes Stauwerk Nowa Kachowka: »Aberhunderte Kilogramm TNT verursachten diese Explosion«
Zerstörter Kachowka-Staudamm: Gefährden die Fluten die ukrainische Landwirtschaft?
Die jüngsten Entwicklungen: Uno schlägt wegen Hochwasser Alarm, Selenskyj spricht von »schwierigen Schlachten«
Meine Story des Tages: Eine Seekuh, die zur Staatsaffäre wurde
Seekuh Tico in venezolanischem Zoo
Foto: Andrea Hernández Briceño / DER SPIEGELSie mögen mich für verrückt erklären, wenn ich Ihnen sage, dass Sie an diesem Wochenende unbedingt einen Text über eine Seekuh lesen sollten. Aber es ist nun mal so!
Mein Kollege Marian Blasberg erzählt die Geschichte der Seekuh Tico, die zwischen Brasilien und Venezuela zur Staatsaffäre geworden ist. Man lernt viel über Seekühe, die wirklich faszinierende Wesen sind – und nebenbei auch einiges über diplomatische Verwicklungen in Lateinamerika. Tico ist in einem brasilianischen Zoo großgezogen, anschließend freigesetzt worden – und schwamm daraufhin eine Strecke, die für Seekühe absolut ungewöhnlich ist: 5000 Kilometer, bis nach Venezuela. Dort wird Tico nun in einem Zoo festgehalten, in dem die Bedingungen – vorsichtig gesagt – eher bescheiden sind. Und während ihn die Maduro-Regierung als Trophäe behalten will, will Brasilien seine Freilassung erreichen. Diese Lektüre lohnt sich sehr.
Veranstaltung: SPIEGEL Backstage am 13.6. um 20 Uhr
Dann möchte ich Ihnen noch eine Veranstaltung mit zwei unserer Auslandskorrespondenten empfehlen: Droht ein neuer Kalter Krieg? SPIEGEL-Korrespondenten in China und den USA geben exklusiv für Abonnent:innen ihre Antworten.
Georg Fahrion und Christoph Giesen arbeiten in Peking für den SPIEGEL, Bernhard Zand hat ebenfalls viele Jahre aus China berichtet und ist mittlerweile in New York stationiert. Die drei Journalisten werden Ihnen schildern, wie sie die internationale Situation einschätzen. Und sie werden erzählen, wie man in China und den USA als Journalist arbeitet und was man dort erlebt. Moderation: Anne Seith
Die Veranstaltung ist exklusiv für Abonnent:innen, aber wir verlosen zehn freie Zugänge. Interessenten schreiben an: info@events.spiegel.de, Betreff: SPIEGEL Backstage Verlosung. Einsendeschluss Montag, 12.6. um 12 Uhr.
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Exklusiv für Abonnenten: SPIEGEL Backstage – Droht ein neuer Kalter Krieg? - DER SPIEGEL
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Die Startfrage heute: »Ich will, dass ihr handelt, als würde das Haus brennen. Denn es brennt.« Wer hat das gesagt?
Verlierer des Tages…
…ist die Band Rammstein. Ja, natürlich gab es im Rock immer auch Groupies, davon erzählen Filme wie »Almous Famous«. Aber was Frontsänger Till Lindemann, 60, vorgeworfen wird, hat mit diesen klassischen Groupie-Erzählungen nichts zu tun. Es geht um ein perfides Castingsystem für Sex, es geht um die Behauptung, dass rund um Konzerte Frauen belästigt worden seien, um die Frage nach Freiwilligkeit. Einige Frauen vermuten, ihnen seien Drogen ins Getränk gemischt worden. Lindemann und die Band dementieren – aber was meine Kolleginnen und Kollegen in der SPIEGEL-Titelgeschichte zusammengetragen haben, ist erschütternd. Es ist ein Einblick in eine Welt, in der von »Schlampenparade« und »Resteficken« die Rede ist. Ich empfehle Ihnen die Lektüre sehr.
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Ich wünsche Ihnen einen guten Start in den Tag.
Ihr Mathieu von Rohr, Leiter des SPIEGEL-Auslandsressorts