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Person der Woche: Frank Werneke: Ein Mega-Streik, um Verdi zu retten

Person der Woche: Frank Werneke Ein Streik, um Verdi zu retten

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Deutschland erleidet einen unnötigen Riesenwarnstreik. Doch für die Gewerkschaft Verdi geht es nicht nur um höhere Löhne. Verdi braucht eine Machtdemonstration und kämpft um die eigene Existenz. Denn der Gewerkschaft laufen die Mitglieder in Scharen davon.

Keine Züge, keine Flüge, keine Busse - mit ihrem beispiellosen Großwarnstreik haben die Gewerkschaften zum Wochenauftakt Deutschland lahmgelegt. Der Vorgang verursachte tausendfachen Ärger und millionenschweren Schaden. Dabei handelt es sich offiziell nur um einen Warnstreik. Für Deutschland bedeutet dieser Vorgang einen Kulturbruch. Bislang haben die Tarifpartner hierzulande weithin geordnet und mit Augenmaß um Löhne gestritten. Die dramatische Schnell-Eskalation durch Verdi überrascht die verärgerte Bevölkerung.

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Frank Werneke ist seit 2019 Chef von Verdi.

(Foto: dpa)

In Politik und Wirtschaftsverbänden wird der Vorgang weithin als "völlig überzogen" bewertet. Die Kommunen werfen den beiden Gewerkschaften Verdi und der Bahngewerkschaft EVG maßlose Übertreibung vor. "Das Streikrecht wird inflationär ausgereizt", klagt die Verhandlungsführerin der Kommunen, Karin Welge. Die VKA-Präsidentin verweist darauf, dass in der dritten Runde schließlich ein Ergebnis erzielt werden solle. Die Eskalation der Gewerkschaften mache sie "sauer", sagte Welge, die zugleich Oberbürgermeisterin von Gelsenkirchen ist.

Welge ist SPD-Politikerin und normalerweise gewerkschaftsnah positioniert. Doch dieser spektakuläre Vorgang irritiert auch sie: "Das ist nicht der Verhandlungston, den wir pflegen." Ähnlich klingt der Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), Steffen Kampeter: "Wer so handelt, handelt unverhältnismäßig und gefährdet die Akzeptanz für das Streikrecht".

Da dieser Streik den tarifpolitischen Frieden in Deutschland offensichtlich verletzt, stellt sich die Frage nach dem Motiv. Bei Verdi wird die Früheskalation zum einen mit der Dringlichkeit beim überfälligen Inflationsausgleich verteidigt. Zum anderen sagt Verdi-Chef Wernke: "Lieber jetzt ein starkes Signal als wochenlange Arbeitskämpfe mit entsprechenden Folgen." Verdi fordert in der laufenden Tarifrunde für die Angestellten von Bund und Kommunen 10,5 Prozent mehr Gehalt, mindestens aber 500 Euro mehr im Monat bei einer Laufzeit von zwölf Monaten. Die Arbeitgeber wollen keinen Mindestbetrag - und bieten bislang 5 Prozent mehr Lohn über 27 Monate.

70.000 neue Verdi-Mitglieder

Doch es gibt auch verdeckte, interne Motive für die große Streikshow von Verdi: Die Gewerkschaft will offensichtlich ihre Macht demonstrieren, um ihre Bedeutung zu untermauern. Verdi leidet unter massivem Mitgliederschwund und Bedeutungsverlust. Hatte Verdi im Jahr 2001 noch 2,8 Millionen Mitglieder, so sind es jetzt nur noch 1,8 Millionen. Der Exodus ist deutlich schlimmer als bei den austrittsgeplagten Kirchen in Deutschland: Im Schnitt kehren 3000 Mitglieder pro Monat Verdi den Rücken. Im vergangenen Jahr meldete Verdi 147.300 Abgänge, aber nur 110.400 Eintritte.

"Es gibt Betriebe im Niedriglohnbereich, da haben wir innerhalb eines Jahres ein Viertel unserer Mitglieder verloren", klagt Verdi-Chef Werneke. Verdi leidet obendrein unter internen Konflikten. Der Gewerkschaft wird von der Basis gerne vorgeworfen, zu politisch ausgerichtet und von einer Funktionärselite dominiert zu sein. Zuweilen kommt es zu Korruptionsvorgängen wie jüngst bei Verdi in Nordrhein-Westfalen, wo Familienangehörige von Funktionären lukrative Aufträge von der Gewerkschaft bekommen haben. Werneke sieht sich daher unter Druck, die Notwendigkeit einer schlagkräftigen Gewerkschaft unter Beweis zu stellen.

"Dieser Streik ist eine dreiste Mitgliederwerbe-Aktion von Verdi", kritisiert ein kommunaler Spitzenmanager aus München diese Strategie. Als der langjährige Verdi-Chef Frank Bsirske abtrat, gab er Werneke die Mahnung mit, er müsse "organisieren, organisieren, organisieren". Die Werbung von Mitgliedern sei die wichtigste Aufgabe für Verdi. Publikumswirksame Aktionen waren in der Pandemie aber nicht möglich. Kurzarbeit, Kontaktbeschränkungen und Home-Office machten es den Verdi-Vertrauensleuten schwer, Beschäftigte anzusprechen. Nun ist die Pandemie vorbei und Werneke scheint dem Rat Bsirskes mit einem großen Paukenschlag zu folgen.

Die Aktion scheint Wirkung zu zeigen. In den Verdi-Büros häufen sich tatsächlich Anträge für Neumitgliedschaften. Der Tarifkonflikt mobilisiere die Belegschaften, freut sich die Verdi-Zentrale. Schlagartig habe Verdi 70.000 neue Mitglieder verzeichnet. "Das ist der stärkste Mitgliederanstieg seit unserer Gründung vor mehr als 20 Jahren", frohlockt Werneke. Dafür gönnt sich Verdi schon mal den größten Warnstreik aller Zeiten.