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Pflanzliche Nahrungsreste: Neandertaler aßen raffinierter als bisher gedacht

Neandertaler ernährten sich nicht nur von dem, was sie jagten, sondern aßen auch einen beträchtlichen Teil an pflanzlicher Nahrung. Diese wurde mit vielen verschiedenen Techniken bearbeitet und zubereitet, wie Fachleute anhand von uralten Nahrungsresten nun herausfinden.

Die Küche der Neandertaler und unserer Vorfahren war schon in der Altsteinzeit ausgefeilter als bislang gedacht. Das zeigen Funde von pflanzlichen Nahrungsresten im Irak und in Griechenland, die bis zu 75.000 und rund 12.000 Jahre alt sind. Sie seien die jeweils ältesten Belege ihrer Art für das Zubereiten von Speisen in Südwestasien und in Europa, schreibt ein Forscherteam um Ceren Kabukcu von der Universität Liverpool im Journal "Antiquity".

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Die mikroskopischen Aufnahmen zeigen brotähnliche Nahrung aus der Franchthi-Höhle und hülsenfruchtreiche aus der Shanidar-Höhle (v.r.).

(Foto: Ceren Kabukcu)

"Unsere Funde sind die ersten echten Hinweise auf komplexes Kochen - und damit auf eine Essenskultur - bei Neandertalern und auch bei frühen modernen Menschen, lange vor der Landwirtschaft und vor Restaurants", sagte Mitautor Chris Hunt von der Liverpool John Moores University. Zum Kochen zählen die Forscher auch das Zubereiten von Pflanzensamen wie Einweichen, Stampfen, Würzen und Erhitzen.

Mithilfe verschiedener Mikroskop-Techniken analysierte das Team verkohlte Reste der pflanzlichen Nahrung der Jäger und Sammler, die auch Hinweise auf die jeweiligen Zubereitungsmethoden liefern.

Linsen und Reste von Fladenbrot analysiert

Die rund 12.000 Jahre alten Funde aus der Franchthi-Höhle in Griechenland geben Aufschluss über die frühen Kochkünste der modernen Menschen (Homo sapiens). Die Forscher entdeckten verschiedene verkohlte Samen und sogar Überreste von Nahrungsmitteln, die an Fladenbrot erinnern. Die gefundenen Schalen der Samen seien für Linsen, Wicken und andere Hülsenfrüchte charakteristisch. Eine Art konnten sie sogar genau bestimmen: die Linsenwicke (Vicia ervilia). Sie enthält bittere Substanzen und muss vor dem Essen bearbeitet werden.

Aus den glatten Kanten einiger Samenfragmente schließen die Forscher, dass diese gestampft oder grob gemahlen wurden. Weitere Strukturen deuten auf das Einweichen ganzer trockener Samen oder die Verwendung frischer Samen mit hohem Feuchtigkeitsgehalt hin. Die Franchthi-Funde seien die ältesten derartigen Pflanzenreste in Europa, betonen die Forscher.

Reste beweisen besondere Formen der Zubereitung

In der Shanidar-Höhle, die in der autonomen Region Kurdistan im Norden des Iraks liegt, bereitete der Homo sapiens bereits vor 35.000 bis 42.000 Jahre Speisen zu. Aus der Zeit fanden die Forscher unter anderem zerkleinerte und verschmolzene Reste von Platterbsen und Erbsen. Wahrscheinlich seien auch Wilder Senf und Pistazien dabei gewesen, schreiben sie.

Zuvor hatten Neandertaler in der Höhle gelebt und schon vor 70.000 bis 75.000 Jahren Hülsenfrüchte und Gräser zubereitet, wie verkohlte und zerstoßene Überreste der Pflanzen belegen. Frühere Untersuchungen des Zahnsteins von Neandertalern aus der Shanidar-Höhle hatten bereits ergeben, dass ihre Ernährung abwechslungsreich war und sie Wildgetreide erhitzten. Bislang fehlte aber eine klare Vorstellung davon, wie ihre Speisen tatsächlich aussahen.

Wissen um Aromen und Bitterstoffe

Das Einweichen von wilden Hülsenfrüchten gefolgt von Stampfen oder grobem Mahlen, auf das die Funde von Franchthi und Shanidar hindeuten, habe bitter schmeckende Verbindungen in den Samenhüllen reduziert, schreiben die Forscher. Somit sei die Nahrung schmackhafter geworden und habe weniger schädliche Stoffe enthalten. Die Samenhüllen seien jedoch nicht komplett entfernt worden. Aus den entdeckten Fragmenten von Samenschalen schließen die Forscher, dass ein geringer Anteil an Pflanzenchemikalien wie Tannine und Alkaloide absichtlich in der Speisenzubereitung erhalten worden sein könnte. Dies deute auf die Entwicklung kulinarischer Kulturen hin, in denen Aromen schon sehr früh von Bedeutung waren, sagte Kabukcu.

"Das Einweichen und Pürieren beziehungsweise Mahlen oder Stampfen von Hülsenfrüchten wurde sowohl in der Homo-sapiens- als auch in der Neandertaler-Phase in Shanidar beobachtet", sagte Kabukcu der Deutschen Presse-Agentur. Sehr ähnliche Verarbeitungstechniken seien auch in der späteren Homo-sapiens-Besiedlung in der Franchthi-Höhle entdeckt worden. Die Studie zeige daher eine Kontinuität und Verbindung der "kulinarischen Praktiken" im Laufe der Zeit und zwischen den beiden geografischen Regionen.

Einweichen, Stampfen, Pürieren

Über die genaue Art des Erhitzens der Speisen können die Forscher nur spekulieren. Aus den Proben geht laut Kabukcu hervor, dass die Samen einen hohen Feuchtigkeitsgehalt hatten, als sie Hitze ausgesetzt waren, das sei also während oder nach dem Einweichen geschehen. "Wir haben kleine Feuerstellen in den archäologischen Ablagerungen in der Shanidar-Höhle gesehen und halten es für möglich, dass sie einige Gegenstände auf heißen Steinen gegart haben", sagte die Archäologin der dpa. "Insgesamt gibt es mehrere Möglichkeiten, darunter das Einweichen der Samen in Wasser über einen längeren Zeitraum und das anschließende Pürieren beziehungsweise Stampfen der Samen, um sie danach auf einer ebenen Fläche zu garen."

"Da die Neandertaler keine Töpfe besaßen, nehmen wir an, dass sie ihre Samen in einer entsprechend gefalteten Tierhaut einweichten", sagte Hunt der Zeitung "Guardian".

Die Ergebnisse zeigten, dass die Auswahl von Nahrungsmitteln und die Zubereitungsarten mehrere zehntausend Jahre älter sind als die frühesten Belege für den Anbau von Pflanzen, der erst durch ein besseres Klima möglich geworden sei, resümieren die Forscher in der Studie.