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Putins Atomdrohung | Militärexperte: "Lage ist sehr, sehr ernst"

Putins Ankündigung, dass er im Falle einer Bedrohung der "territorialen Integrität" Russlands "von allen zur Verfügung stehenden Waffensystemen Gebrauch machen" würde, könnte zunächst heißen, dass Russland den Krieg mit konventionellen Mitteln ausweitet.

Etwa mit weitreichenden Flugkörpern und Bombenangriffen aus der Luft auch im Westen der Ukraine, mit massivem Beschuss von Städten, Versorgungseinrichtungen und kritischer Infrastruktur, die für die Lebensfähigkeit der Ukraine als Staat und Volk, aber auch für die Führung der Armee wesentlich ist. Eine weitere Möglichkeit wären chemische oder Nuklearwaffen.

Wie real schätzen Sie die Gefahr eines Atomwaffeneinsatzes ein?

Da muss man fein differenzieren: Putins Drohung muss man ernst nehmen. Aber man darf auch nicht in Panik verfallen, denn darauf zielt Putin ab. Auch wenn einige russische Politiker immer wieder von einem Atomwaffeneinsatz reden, hat Putin selbst bisher nur indirekt gedroht. Er allein bestimmt über einen tatsächlichen Einsatz.

Und: Nuklearwaffen sind politische Waffen. Die Drohung mit ihrem Einsatz soll den Gegner erst einmal einschüchtern und entmutigen. Die Furcht in der Bevölkerung vor einem Einsatz ist die eigentliche Waffe. Putin will außerdem wohl die Ukraine von weiteren energischen Angriffen abhalten. Und er zielt auf die westlichen Regierungen, vermutlich um sie von der Lieferung weiterer schwerer Waffen an die Ukraine abzuhalten.

Heinrich Brauß.

Militärexperte Heinrich Brauß

Heinrich Brauß, 69, ist Generalleutnant a.D. der Bundeswehr und war von 2013 bis 2018 Beigeordneter Generalsekretär der Nato für Verteidigungspolitik und Streitkräfteplanung. In dieser Funktion war er für die strategische Ausrichtung der Allianz zuständig. Brauß arbeitet bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) zur Nato und europäischen Sicherheit.

Warum verfolgt der Kremlchef zurzeit diese Strategie?

Ich vermute, Russland muss Zeit gewinnen für die Auffrischung seiner Armee in der Ukraine. Dort hat sie massive Verluste erlitten. Es scheint, dass sie im Osten und Süden derzeit nicht mehr angriffsfähig ist. Im Gegenteil, sie steht stark unter Druck. Putins Truppen brauchen eine operative Pause, personellen und materiellen Ersatz und Verstärkung, deswegen die sogenannte Teilmobilisierung. Und jetzt stehen die Schlammperiode und der Winter bevor. Vermutlich will Russland im Frühjahr mit frischen Kräften einen weiteren Großangriff starten. Denn Putin wird nicht von seinem Kriegsziel ablassen, die Ukraine zu unterwerfen. Es ist aber fraglich, ob die Mobilisierung eine durchschlagende Wirkung hat.

Erwarten Sie, dass die Ukraine nun in den vier Gebieten militärisch zurückhaltender agiert, um die Situation zu entschärfen?

Davon gehe ich nicht aus. Die Ukrainer kämpfen um ihre Existenz. Sie haben nach wie vor einen starken Kampfeswillen. Und auch wenn man Putins Drohungen nicht abtun darf, kommt es darauf an, weiter fest zur Ukraine zu stehen und sie militärisch wirkungsvoll unterstützen.

Von was für atomaren Waffen sprechen wir derzeit genau? Oft ist die Rede von weniger verheerenden, taktischen Nuklearwaffen.

Das ist ein wichtiger Punkt, über den viel Verwirrung herrscht. Auch da muss man präzise sein. Das Wort "taktisch" suggeriert, dass man mit solchen Nuklearwaffen Krieg führen könne, weil ihre Sprengwirkung begrenzt sei. Das ist aber nicht der Fall. "Taktisch" sagen manche, weil es sich um Flugkörper kürzerer oder mittlerer Reichweite handelt, im Gegensatz zu den Interkontinentalraketen, über die Amerika und Russland verfügen. Aber der Gefechtskopf einer solchen taktischen Rakete hat eine ähnliche Sprengkraft wie die Bomben von Hiroshima und Nagasaki im Jahr 1945 – also von mehr als zehn Kilotonnen TNT – mit katastrophalen Auswirkungen. Nuklearwaffen haben also immer eine "strategische" Wirkung, weil sie den Charakter des Krieges fundamental verändern und die Folgen ihres Einsatzes kaum beherrschbar sind.