Wahlkampf bedeutet, Aufmerksamkeit zu erregen. Diesbezüglich wäre dem Kreisverband Haßberge von Bündnis 90/Die Grünen fast der große Coup gelungen. Die Grünen hatten von Ricarda Lang eine Zusage erhalten: Am Samstagabend würde die Bundesvorsitzende in Haßfurt auftreten. Lang polarisiert wie kaum eine zweite Person innerhalb der Ökopartei und in der Politik allgemein, genau das erzeugt Aufmerksamkeit. Doch kurzfristig muss die grüne Spitzenpolitikerin krankheitsbedingt absagen.
Pech für die Grünen in den Haßbergen. Ein Pech, das ein Stück weit ins Bild einer Partei passt, die – von der kommunalen bis zur Bundesebene – in der jüngeren Vergangenheit für alles als Buhmann herhalten muss, was tatsächlich oder vermeintlich schiefläuft. Eine Partei, die im bayerischen Landtagswahlkampf von CSU und Freien Wählern zum Hauptfeindbild erklärt wird. Und auch heftigen Anfeindungen aus der Bevölkerung ausgesetzt ist, die zuletzt am Wahlkampfstand des Landtagsabgeordneten Paul Knoblach in Schweinfurt eine neue Stufe erreicht haben.
Wie also sind die Befindlichkeiten der Grünen in der Region? Der Samstagabend bietet die Möglichkeit eines gewissen Einblicks. Denn die Veranstaltung im Kleinen Saal der Stadthalle fällt nicht aus, die Hammelburger Bundestagsabgeordnete Manuela Rottmann springt spontan für Ricarda Lang in die Bresche.
Mit dabei Lara Appel (Theres) und Roland Baumann (Oberaurach), die beide für den Landtag kandidieren. Baumann erklärt den gut 50 Zuhörerinnen und Zuhörern im Saal, dass seine Grünen im Wahlkampf "ordentlich auf die Mütze" kriegen. Als einen Tiefpunkt bezeichnet er die Aussage von Ministerpräsident Markus Söder (CSU), die Grünen passten mit ihrem Weltbild nicht zu Bayern. Was soll das heißen, fragt Baumann: Dass all die Ehrenamtlichen in seiner Partei im Freistaat nicht mehr willkommen seien? Wenn die demokratischen Kräfte so miteinander umgingen, dann profitierten nur "die undemokratischen Kräfte, die diese Demokratie abschaffen wollen".
In Bayern herrscht laut Manuela Rottmann Stillstand
Manuela Rottmann wirkt entspannt, fast abgebrüht, ein Politprofi mit dickem Fell. Sie glaubt, dass es sich für die Grünen auszahlt, bei den Themen zu bleiben und nicht auf politische Gegner einzudreschen. Dass der Landkreis Haßberge deutschlandweit zu den absoluten Schlusslichtern zählt, was die Erreichbarkeit mit dem ÖPNV anbelangt, ist so ein Thema für sie. Oder die Misere der kommunalen Kliniken, die Haßberg-Kliniken eingeschlossen. Bayern verlange stets nach Geld vom Bund, verschließe sich aber nun als einziges von 16 Bundesländern der überfälligen Strukturreform, kritisiert die Grünen-Politikerin.

"Die CSU hat natürlich auch viel geleistet in diesem Land", erkennt Rottmann an. Doch seit Markus Söder 2018 Ministerpräsident geworden ist, herrsche Stillstand. Darüber könne auch das "Mia san Mia und Bier ist Bier" nicht hinwegtäuschen, mit dem der CSU-Chef die Menschen abzulenken versuche. Rottmann kann durchaus Attacke, etwa wenn sie sich darüber mokiert, dass Söder Jahr für Jahr Millionen Euro für Geburtstagskarten an seine Bürgerinnen und Bürger rauswerfe, anstatt das Geld in sinnvolle Projekte zu stecken.
Aber der Ton an diesem Abend bleibt immer gemäßigt. Vielleicht, weil die Grünen doch noch auf eine Koalition mit der CSU hoffen? Rottmann, Baumann und Appel sind der Meinung, dass alle demokratischen Kräfte prinzipiell koalitionsfähig sein sollten. Die klare Absage von Söder an Schwarz-Grün sei ein schwerer taktischer Fehler, der die Freien Wähler stark mache, ist sich die Bundestagsabgeordnete sicher.
Wehrt sich die Partei zu wenig gegen Attacken?
Das Publikum in der Stadthalle, im Wesentlichen Mitglieder oder der Öko-Partei gegenüber positiv eingestellt, sieht aber auch Fehler bei den Grünen. Das kommt nicht direkt zur Sprache, auch nicht, als der Saal per Zettel Fragen an Rottmann, Appel und Baumann stellen darf. Sondern bei den Gesprächen am Rande. Da ist Enttäuschung zu spüren, dass die grünen Spitzenpolitiker die ständigen Vorwürfe wie den, Verbotspartei zu sein, ohne wirkliche Gegenwehr über sich ergehen lassen.
Und auch in den Haßbergen sind Mitglieder und Fans der Grünen frustriert darüber, wie wenig sich ihre Partei in die Ampel einbringen konnte. "Die haben sich noch nicht mal beim Tempolimit durchgesetzt", klagt ein Zuhörer, der deshalb am Sinn der grünen Regierungsbeteiligung zweifelt.
Grüne wollen Nummer 2 hinter der CSU werden
Manuela Rottmann ist zuversichtlich, dass ihre Partei bei der Landtagswahl am 8. Oktober die Nummer 2 hinter der CSU werden kann. 15 Prozent der Wählerstimmen sollten es schon sein. Sie sieht motivierte, engagierte, kompetente Kandidatinnen und Kandidaten in den eigenen Reihen. Zumindest in der grünen Basis ist jedoch auch Verunsicherung, wenn nicht Entmutigung zu spüren. Ob Ricarda Lang das geändert hätte?