Heute enden in Russland Regionalwahlen. Auch in der russisch besetzten Ukraine gaukelt Russland sich Demokratie vor. Dabei hätten die Wahlen dort selbst nach russischem Recht gar nicht stattfinden dürfen.
Im September des vergangenen Jahres ließ Russland in den besetzten ukrainischen Gebieten Scheinreferenden durchführen. Damit sollte der "Beitritt" der vier Bezirke Cherson, Donezk, Luhansk und Saporischschja legitimiert werden. Die Inszenierung richtete sich vor allem an den Westen: Sie fand statt, als die ukrainische Armee gerade bedeutende Erfolge an der Front feierte. Dem Westen sollte signalisiert werden: Cherson, Donezk, Luhansk und Saporischschja gehören jetzt zu Russland, Angriffe auf diese Gebiete können ab sofort atomar beantwortet werden, wie der russische Präsident Wladimir Putin andeutete.
Atomare Drohungen gehören seit Beginn des Überfalls zum rhetorischen Inventar Russlands, das ist auch ein Jahr nach den Scheinreferenden so. Dabei ist das von Moskau kontrollierte Territorium seitdem weiter geschrumpft. Schon damals kontrollierte Russland keine der vier beanspruchten Regionen vollständig. Die laufende ukrainische Gegenoffensive sorgte aber für weitere Rückeroberungen, etwa in Bezirken Saporischschja und Donezk. Trotzdem finden auf dem besetzten Gebiet derzeit die ersten russischen Kommunalwahlen statt. Oder, richtiger gesagt: Auf das Scheinreferendum von 2022 folgen nun die Scheinwahlen von 2023, die offiziell am Freitag begonnen haben und heute zu Ende gehen.
Tatsächlich werden Stimmen spätestens seit dem 31. August eingesammelt, wenn nicht schon länger - angeblich aus Sicherheitsgründen. Richtige Wahllokale gibt es kaum, und die, die es doch gibt, wurden vor allem eingerichtet, um im Fernsehen Normalität vorgaukeln zu können. Hauptsächlich besuchen die Mitglieder der sogenannten Wahlkommissionen die Menschen zu Hause - meist mit militärischer Begleitung. Gewählt werden dürfen nur Parteien, die auch im russischen Parlament sitzen, also die Putin-Partei "Einiges Russland" und die sogenannte Systemopposition. Jegliche Kritik an den russischen Annexionsversuchen ist lebensgefährlich, ob während der Wahlen oder auch generell.
Nach russischem Recht hätten die Wahlen nicht stattfinden dürfen
Ohnehin ist Russland alles andere als ein Rechtsstaat, doch nicht einmal nach der eigenen Gesetzgebung hätte es diese Scheinwahlen geben dürfen. Denn aus russischer Sicht gilt in den Bezirken Cherson, Donezk, Luhansk und Saporischschja das Kriegsrecht. Den russischen Gesetzen zufolge dürfen unter Kriegsrecht eigentlich keine Wahlen durchgeführt werden. Ursprünglich galt das auch für die Präsidentschaftswahlen im März nächsten Jahres: Die Austragung föderaler Wahlen ist komplett untersagt, sobald auch nur in einem Bezirk Kriegsrecht gilt.
Auf Wunsch Putins wurden die entsprechenden Gesetze daher im Eiltempo umgeschrieben, damit beide Abstimmungen doch noch stattfinden können. Offensichtlich ist es dem Kreml-Herrscher wichtig, trotz der laufenden Kampfhandlungen so zu tun, als lasse er Fakten schaffen. Die ukrainische Armee wird sich davon wie schon im September 2022 kaum beeindrucken lassen. Offiziell wird bei diesen Scheinwahlen über die Zusammensetzung der Lokalparlamente bestimmt. Dies erfolgt ausschließlich über Parteilisten, Direktkandidaten gibt es nicht. Die Lokalparlamente sollen dann die Gouverneure der jeweiligen Oblaste wählen.
Kuriositäten rings um die Wahlen gibt es reichlich. In Moskau prognostiziert das staatliche Meinungsforschungsinstitut WZIOM je nach Bezirk 80 bis 89 Prozent für die "Einiges Russland". Das politische System in Russland mag zwar gleichgeschaltet sein, doch von solchen Ergebnissen kann die Putin-Partei nur in Regionen wie Tschetschenien träumen. Immerhin wären 89 Prozent weniger albern als die Ergebnisse der Scheinreferenden vor einem Jahr, als in der "Volksrepublik Donezk" angeblich 99,23 Prozent für den Beitritt zur Russischen Föderation stimmten.
Rentner, Hausfrauen, Arbeitslose
Auch die Parteilisten, die auf dem besetzten Gebiet dem Wähler angeboten werden, haben es in sich. Ursprünglich hätte diese, ebenfalls "aus Sicherheitsgründen", gar nicht veröffentlicht werden sollen. Das unabhängige russische Exil-Medium "Waschnyje Istoriji" (Wichtige Geschichten) und die Analysegruppe Conflict Intelligence Team haben die Listen Ende August ausgewertet. So kommt ein Drittel aller aufgestellten Kandidaten in Bezirken Cherson und Saporischschja auf Hausfrauen, Studenten, Rentner und Arbeitslose mit unklarer Einkommensquelle. Bei "Einiges Russland" liegt die Quote der Hausfrauen und Rentner nur bei drei Prozent. Sie stellt überwiegend Mitarbeiter unterschiedlicher Besatzungsstrukturen auf.
Parteien wie die Kommunisten oder "Gerechtes Russland", die in der Staatsduma in Moskau eine Art Opposition spielen, haben ihre Listen dagegen zur Hälfte mit solchen Kandidaten gefüllt. Das zeigt eindrücklich, wie schwer es für Russland war, selbst die Illusion einer Konkurrenzwahl zu schaffen. Beim tieferen Blick auf die Parteilisten finden sich weitere Merkwürdigkeiten. So stellen die Kommunisten und "Gerechtes Russland" in der Region Saporischschja etwa denselben Kandidaten auf - einen Urologen aus der Stadt Enerhodar. Angesichts des Wahlrechts, das die größte Partei begünstigt, werden in den Regionalparlamenten ohnehin fast ausschließlich Abgeordnete von "Einiges Russland" sitzen. Wie lange sie da hocken werden, hängt maßgeblich von den Erfolgen der ukrainischen Armee ab.