Germany
This article was added by the user . TheWorldNews is not responsible for the content of the platform.

Russland kämpft mit Putins Mobilmachung: "Wir sind kein Fleisch!"

"Papa, tschüss"

Mit dem Beginn der Mobilmachung von Reservisten betrifft der Krieg, den viele Russen bislang verdrängt haben, nun so gut wie jede Familie in dem Riesenland mit seinen 146 Millionen Einwohnern. Bei vielen herrscht blanke Panik. Sieben Monate nach dem Einmarsch in die Ukraine hat Putin offenbar die Rechnung ohne einen großen Teil seiner Bevölkerung gemacht.

In sozialen Netzwerken kursieren Videos vom Abtransport von Männern, der nur Stunden nach Putins TV-Ansprache am Mittwoch begann. Kremlkritiker veröffentlichen Aufnahmen von weinenden Ehefrauen und Müttern an Bahnstationen und Busbahnhöfen. "Papa, tschüss", schluchzt eine Kinderstimme in einem viel beachteten Clip. In Chatgruppen berichten Menschen davon, wie Männer im wehrpflichtigen Alter ohne Vorwarnung an ihrem Arbeitsplatz oder Zuhause abgeholt werden.

Kanonenfutter für die Front

Immer wieder wurden in den vergangenen Monaten Umfragen zitiert, denen zufolge die Mehrheit der Russen den Krieg unterstützt. Soziologen wiesen allerdings schon früh darauf hin, dass viele Befragte mit Unbehagen statt Enthusiasmus auf die Kämpfe blickten. Und nun zeigt sich deutlich, dass nur wenige einsehen, warum ihre Männer, Söhne und Enkel in der Ukraine sterben sollen. Es werde wohl noch eine Weile dauern, aber dann könne die Proteststimmung im Land noch deutlich zunehmen, glaubt der Politologe Abbas Galljamow.

Schon jetzt ist die russische Sprache um ein neues Wort reicher geworden: "Mogilisazija" – eine Mischung aus den Begriffen "Mobilisierung" und "Grab". Viele Russen sind überzeugt: Sie sind nur Kanonenfutter, sollen schlicht verheizt werden für die Ziele eines Kriegs, an denen selbst ihre Berufsarmee scheitert.

Die hat sich unter dem Druck ukrainischer Gegenoffensiven zuletzt aus dem ostukrainischen Gebiet Charkiw zurückgezogen. Nun braucht es eine große Anzahl Soldaten, um zumindest die besetzten Teile der Gebiete Luhansk, Donezk, Saporischschja und Cherson zu halten, die Moskau mithilfe von derzeit laufenden Scheinreferenden annektieren möchte. Für besondere Wut in der russischen Bevölkerung sorgt zudem, dass einfache Bürger gezwungen werden, ihr Leben zu riskieren, während Mitglieder der politischen Führung unbeschadet davonkommen.

Insgesamt 300.000 Männer sollen laut Verteidigungsminister Sergej Schoigu eingezogen werden. Einer Recherche des Mediums "Nowaja Gaseta" zufolge soll es der Kreml insgeheim sogar auf eine Million Rekruten abgesehen haben. Putins Sprecher dementierte das zwar kürzlich – doch viele Russen haben das Vertrauen in Aussagen ihrer politischen Führung komplett verloren.

In Wolgograd (früher Stalingrad) wurde Medienberichten zufolge ein 63-jähriger, an Diabetes erkrankter Mann eingezogen – obwohl offiziell nur bis 55-Jährige kämpfen sollen. In der Region Burjatien trifft es einen Vater von fünf Kindern. In Jakutien in Sibirien muss Republikchef Aissen Nikolajew einräumen, dass Fehler gemacht worden seien in den Wehrkreisämtern. "Es wurden Reservisten fehlerhaft eingezogen, sie müssen zurückgeschickt werden."