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Schmerzpatienten droht Prozess - Roman braucht 8 Gramm Marihuana pro Tag

München – Roman Urdl (59) lebt mehr oder weniger in seinem Bett. Seine Wohnung kann er nur unter größte Anstrengungen verlassen. „Ich kann maximal 10 Minuten im Rollstuhl sitzen. Dann werden die Schmerzen massiv."

Urdl ist Schmerzpatient. Mit fünf Jahren wurde ihm bei einem Unfall der Arm abgerissen. Eine OP missglückte, seitdem ist er querschnittsgelähmt – und hat wegen Liegewunden massivste Schmerzen.

45 Gramm hochkonzentriertes Marihuana bekommt Urdl monatlich auf Rezept

Foto: Theo Klein

Sein Arzt verschreibt ihm Marihuana. Doch jetzt droht dem Schwerbehinderten eine Gerichtsverhandlung. Wegen Besitzes von Betäubungsmittel in nicht geringer Menge. Der Vorwurf der Staatsanwaltschaft: weil ihm die Rezepte nicht reichten, soll er selbst Marihuana angebaut haben. Als der Feuermelder bei ihm losging, kam die Polizei – und entdeckte in der Wohnung eine kleine Privatplantage.

„Ich bräuchte am Tag rund acht Gramm Marihuana, damit meine Schmerzen halbwegs erträglich sind", sagt Urdl. Früher hat er Joints geraucht. Weil er vor zweieinhalb Jahren einen Herzinfarkt hatte, raucht er aber nicht mehr. „Ich nutze nur noch den Inhalator, beidem man keinen Rauch, sondern nur den Dampf inhaliert.“

Als er erst fünf Jahre alt war, änderte sich das Leben des Kolbermoorers schlagartig und für immer. „Ich habe in die alte Wäscheschleuder gefasst, dabei wurde mir der rechte Arm abgerissen." Da er dazu noch eine Blutung im Kopf hatte, wurde er in Rosenheim operiert. „Die Operation ging schief, seitdem kann ich meine Beine nicht mehr bewegen."

Laien-Pfleger Egidius (28) kümmert sich um Urdl. Seit fast 40 Jahren wird er rund um die Uhr versorgt. Egidius ist neu in Urdl Betreuer-Team. Gegen ihn gab es keine Ermittlungen

Foto: Theo Klein

Den Lebensmut hat der Schwerstbehinderte nie verloren. „Als junger Mensch bin ich viel gereist, nach Indien, Thailand, war auf Konzerten." Doch je älter er wurde, umso mehr verschlechterte sich sein Zustand. Seit vielen Jahren ist Urdl bettlägerig, hat rund um die Uhr Pfleger in seiner Wohnung, die sich um ihn kümmern. „Aufgrund mehrerer Operationen am Gesäß ist meine Haut an diesen Stellen extrem empfindlich, weshalb sich dort schlimme Liegewunden entwickelt haben. Und das ist wahnsinnig schmerzhaft."

45 Gramm hochkonzentriertes Marihuana bekommt Urdl zur Therapie auf Rezept monatlich aus der Apotheke. Das reicht aber bei Weitem nicht aus. Urdl: „Mein Zustand und meine Teilhabe am öffentlichen Leben hat sich immer weiter verschlechtert." Als im Sommer 2020 bei Urdl der Feuermelder losging, kam die Feuerwehr – und wenig später die Polizei. Rund 500 Gramm Marihuana wurden in seiner Wohnung sichergestellt. Ein Verfahren wurde eingeleitet. Auf Anraten seines Anwalts Philip Müller äußert sich Urdl dazu nicht.

Urdl mit seiner Mischlingshündin Sophie (9). Der Schwerstbehinderte ist bettlägerig, kann ohne Hilfe kaum leben

Foto: Theo Klein

Die Krux: bereits 2013 hatten Polizisten bei einem Einsatz im Haus verdächtigen Geruch aus Urdls Wohnung festgestellt, fanden bei einer Durchsuchung über zwei Dutzend Setzlinge. Der 59-Jährige wurde per Strafbefehl zu einer Bewährungsstrafe verurteilt. Daher droht ihm dieses Mal ein Prozess. Ein Gutachter hatte ihn nämlich für verhandlungsfähig erklärt. Urdl: „Wenn es zum Prozess kommt, dann werden mich Feuerwehrleute in einem Tragetuch durchs Treppenhaus transportieren müssen. Sitzen kann ich nicht länger, ich brauche dann im Gerichtssaal ein Bett."

Vergangene Woche war bereits ein Prozesstermin vor dem Amtsgericht München angesetzt. Dieser wurde jedoch verschoben. Wann Urdl nun vor Gericht erscheinen muss, ist unklar.

Auf Anfrage erklärte eine Sprecherin das Amtsgerichts München, dass es dem Gericht bewusst sei, dass es sich um einen tragischen Fall handle. „Allerdings liegt keine dauerhafte Verhandlungsunfähigkeit vor." Zudem handle es sich aufgrund der Menge von ca. 500 Gramm Marihuana juristisch um einen Verbrechenstatbestand. Die Sprecherin zu BILD: „Eine Verfahrenseinstellung ist bei Verbrechenstatbeständen nach dem Gesetzeswortlaut nicht vorgesehen." Die Einstellung wäre nur bei Vorliegen eines minderschweren Falles möglich. Auch ein Absehen von der Verfolgung unter Auflagen sei nur bei geringeren Mengen möglich.

Urdls Verteidiger, der Münchner Rechtsanwalt Philip Müller, erklärte auf Anfrage: „Zu den Vorwürfen selbst erfolgt keine Stellungnahme. Insgesamt handelt sich um eine außergewöhnliche Ausnahmekonstellation. Ich habe schon die Hoffnung, dass das auch auf Seiten der Justiz erkannt wurde und sich eine faire Lösung finden lässt."

Auch gegen vier von Urdls Pflegern wurde ermittelt, ob und inwieweit sie die Plantage in seiner Wohnung betreut und genutzt haben. Bei ihnen gab es deshalb auch Hausdurchsuchungen, sogar gerichtlich angeordnete DNA-Analysen. Angeklagt wurde keiner der Pfleger, doch sie müssen in Urdls Verfahren als Zeugen aussagen.