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"Sozialtourismus": Was steckt hinter Friedrich Merz' Äußerung?

Typische Unbeherrschtheit

Testet dort jemand die Grenzen des Sagbaren aus? In der Union glaubt allerdings an diesem Dienstag niemand daran, dass hinter Merz' jüngsten Äußerungen eine Strategie steckt. "Es kann auch mal ein Satz verrutschen", sagt ein hochrangiger Funktionär aus der Schwesterpartei CSU.

Auch in der CDU werten viele die Attacke als Ausdruck jener für Merz nicht untypischen Unbeherrschtheit, mit der er sich immer wieder in Schwierigkeiten bringt. So sorgte Merz im September 2020 für tagelange Debatten, als er ebenfalls bei Bild TV auf die Frage, ob in Deutschland auch ein schwuler Kanzler werden könne, antwortete: "Solange sich das im Rahmen der Gesetze bewegt und solange es nicht Kinder betrifft." Auch hier musste er zurückrudern. Er sei "missverstanden" worden, "teilweise bösartig", schrieb er damals auf Facebook, und dann fast wortgleich wie diesmal: "Wenn sich irgendjemand davon persönlich getroffen gefühlt hat, bedauere ich das sehr. Das war nicht meine Absicht."

Machtkampf um Kanzlerfrage?

Nach seiner Wahl zum Partei- und Fraktionschef schien Merz seine Impulsivität eine Zeit lang im Griff zu haben. Warum er sich zur Sozialtourismus-Einlassung hinreißen ließ, darüber kursiert in der Union eine Vermutung. In den vergangenen Tagen habe CSU-Chef Markus Söder anklingen lassen, dass er das Kanzleramt nicht aus den Augen verloren habe. Mit seinem Interview bei Bild TV habe Merz seinen eigenen Machtanspruch untermauern wollen und sei deshalb besonders markig aufgetreten.

Doch selbst, wenn es nur ein unbedachter Ausrutscher des CDU-Vorsitzenden war (wofür einiges spricht), so wird er von vielen in der Partei mit Sorge gesehen. Scharfe Äußerungen über kriminelle Flüchtlinge mögen zwar den rechtskonservativen Teil der Union begeistern, die Mehrheit der Anhänger aber nicht. Und erst recht nicht die Mehrheit der Bevölkerung, die immer noch in großer Solidarität hinter dem Kampf der Ukrainer und Ukrainerinnen gegen den russischen Aggressor steht.

Dies ist umso brisanter, als eine Studie der Konrad-Adenauer-Stiftung im vergangenen Jahr ("Vermessung der Wählerschaft vor der Bundestagswahl 2021") eine immer größere Wechselbereitschaft bei den Wählern zeigt. Insbesondere zwischen Union und Grünen haben die "Wechselaktivitäten" zugenommen.

Glaubwürdigkeit beschädigt

Und noch etwas ergab die Studie: bei der Frage der Wahlmotive lag der Wunsch nach einem "konservativen Profil" auf dem vorletzten Platz. Am wichtigsten war den Wählern und Wählerinnen, dass ihre jeweilige Partei "sozial" ausgerichtet ist. Wäre es Friedrich Merz darum gegangen, die rechtskonservative Klientel zu bedienen und von der AfD Stimmen einzusammeln, so könnte sich das schnell als falsches Kalkül erweisen.

Einen ersten Stimmungstest dürfte es am übernächsten Sonntag geben: Dann wird in Niedersachsen ein neuer Landtag gewählt. Union und SPD liegen in den jüngsten Umfragen relativ nah beieinander. In der niedersächsischen CDU soll man deshalb auch wenig begeistert über den Auftritt von Merz gewesen sein.