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Tests an Mäusen zeigt: Allergierisiko sinkt nicht durch Umwelt mit Mikroben

Junge Mäuse werden im Labor verschiedenen Mikroorganismen ausgesetzt. Andere Jungtiere wachsen in einer keimfreien Umgebung auf. Danach schauen sich die Forschenden das Allergierisiko der Tiere an. Die Ergebnisse könnten die Hygienehypothese, die beim Entstehen von Allergien angebracht wird, ins Wanken bringen.

Experimente mit Mäusen stellen die Hygienehypothese, der zufolge ein früher Kontakt zu Mikroben in der Kindheit das Risiko für spätere Allergien verringert, infrage. So zeigt eine Studie unter deutscher Beteiligung, dass Mäuse, die seit ihrer Geburt zahlreichen Mikroorganismen ausgesetzt sind, ebenso anfällig für Allergien sind wie keimfreie Labormäuse. Unabhängige Forschende betonen indes, dass für die Entwicklung von Allergien viele Faktoren eine Rolle spielen.

In einigen Industrieländern sind Erhebungen zufolge etwa 30 Prozent der Kinder im Alter von fünf Jahren von chronischer Nasenschleimhaut-Entzündung, Neurodermitis oder Asthma betroffen. "Der deutliche Anstieg allergischer Erkrankungen im 20. Jahrhundert kann nicht allein durch genetische Faktoren erklärt werden", schreibt das Team um Jonathan Coquet vom Karolinska Institutet in Stockholm und Stephan Rosshart von der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg im Fachblatt "Science Immunology".

Tatsächlich wird in diesem Zusammenhang regelmäßig die Hygienehypothese - auch Bauernhofthese genannt - angeführt. Diese besagt, dass die Menschen in der modernen Welt durch verbesserte Hygiene, Impfungen, Antibiotika und eine veränderte Ernährung nicht mehr so vielen Mikroben ausgesetzt seien wie früher. Dies habe Auswirkungen auf das Immunsystem, das wegen Unterforderungen auf harmlose Substanzen reagiere.

Natürliche und keimfreie Umwelt

Die Forschungsgruppe schuf nun zwei Gruppen genetisch identischer Labormäuse: Die Nager der ersten Gruppe wurden möglichst keimfrei gehalten. Die Tiere der zweiten Gruppe, sogenannte Wildling-Mäuse - wurden als Embryonen in wilde Mäusemütter transplantiert, von diesen ausgetragen und dann unter halbnatürlichen Bedingungen gehalten. Das bedeutet, dass ihre Käfige natürliche Materialien wie Heu und Kompost enthielten und sie von Geburt an einer Vielzahl von Mikroben ausgesetzt waren.

Wurden die Wildlinge nun über mehrere Tage Hausstaubmilben ausgesetzt, entwickelten sie vergleichbare allergische Reaktionen wie die genetisch identischen Labormäuse der ersten Gruppe, die keimfreier aufgewachsen waren. Die Forschenden beobachteten zudem, dass eine Variante des Proteins Interleukin 33 und der Schimmelpilz Alternaria alternata in den Wildlingen zuverlässig und schnell Typ-2-T-Helferzellen des Immunsystems aktivieren konnten. Diese T-Helferzellen sind häufig an allergischen Reaktionen des Körpers beteiligt. "Das war ein wenig unerwartet, deutet aber darauf hin, dass es nicht so einfach ist zu sagen: 'Ein schmutziger Lebensstil stoppt Allergien, während ein sauberer Lebensstil sie auslösen kann'", wird Coquet in einer Mitteilung seines Instituts zitiert. Zwar könne die Aussage in bestimmten Zusammenhängen zutreffen, aber sie sei womöglich keine grundsätzliche Regel.

Eva Untersmayr-Elsenhuber von der Medizinischen Universität Wien, die nicht an der Studie beteiligt war, gibt zu bedenken, dass das verwendete Modell nur einen Aspekt der Hygienehypothese erfasse, nämlich die Kolonisierung der Körperoberflächen mit einem "natürlichen" Mikrobiom: "Dies limitiert nicht die Qualität der Studie, sondern nur die Aussagekraft hinsichtlich der Hygiene-Hypothese, die ja weit mehr Aspekte umfasst." Insgesamt entkräfte das Ergebnis nicht die Annahme, dass verringerter Mikrobenkontakt die Ausbildung von Allergien fördere, so Untersmayr-Elsenhuber: "Die Studie zeigt, dass auch bei einem natürlichen, diversen Mikrobiom eine Allergieentstehung möglich ist."

Mäuse entwickeln kein Asthma

Die Allergieforscherin betont zudem, dass die Immunantwort bei Menschen und Mäusen unterschiedlich sei: "Mausmodelle sind relevant, um Mechanismen zu untersuchen, aber die Bestätigung der generierten Daten muss immer bei Patienten erfolgen." Ein Aspekt, den auch Harald Renz, Direktor des Instituts für Laboratoriumsmedizin und Pathobiochemie der Philipps-Universität Marburg, aufgreift: "Obwohl ich ein ausgewiesener Mausforscher bin und vor 35 Jahren ein Mausmodell für experimentelles Asthma erstellt habe, sehe ich den Nutzen von Mausmodellen für die Allergieforschung mittlerweile skeptischer." Mäuse entwickelten an sich kein Asthma oder keine Neurodermitis. "Die Modelle bilden immer nur einen Aspekt einer sehr komplizierten Erkrankung ab, und man kann die Forschungsergebnisse nicht auf das gesamte Krankheitsbild übertragen", so Renz.

Für die Autorinnen und Autoren der aktuellen Studie bedeutet ihre Arbeit, dass die Hygienehypothese als Erklärung für die zunehmenden Allergien bei Menschen zumindest ergänzungsbedürftig sei. "Unsere Studie könnte dazu beitragen, die wissenschaftliche Sicht auf die Hygienehypothese neu zu kalibrieren und das Fachgebiet dazu zu bewegen, sich andere Faktoren wie das Leben in Innenräumen, körperliche Aktivität, Schadstoffe und chemische Verbindungen in der modernen Welt genauer anzusehen", erklärt Rosshart laut einer Mitteilung des Fachjournals.

Tatsächlich sei die Entwicklung von Allergien ein multifaktorielles Geschehen, sagt auch Untersmayr-Elsenhuber: "Es spielen noch weitere Faktoren bei der Entstehung von Allergien eine wichtige Rolle, beispielsweise die Barrierefunktionen der Schleimhäute oder die Menge der von Pflanzen gebildeten Allergene - Stichwort Klimawandel und der damit verbundene Stress der Pflanzen." Harald Lenz erklärt dazu: "Viele Faktoren schlagen sich auf das Mikrobiom nieder, die in Folge unser Immunsystem und damit unsere Allergieanfälligkeit beeinflussen." Dazu gehörten Ernährung, Bewegung, Luftverschmutzung, Klimawandel oder die abnehmende Biodiversität in der Natur. "Deshalb braucht es jetzt auch vermehrt Forschung in Richtung Klimawandel und Gesundheit."