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Torhagel, Dramen, Gefühlswahn: Diese Bundesliga-Finals brachten uns um den Verstand

Torhagel, Dramen, Gefühlswahn Diese Bundesliga-Finals brachten uns um den Verstand

Zehn Jahre dominiert der FC Bayern die Fußball-Bundesliga nach Belieben, das Meisterrennen verkommt zum Dauer-Langweiler. 2023 ist das endlich anders: Am letzten Spieltag ist der Kampf um die Schale noch offen, bei den Fans von Borussia Dortmund und den Münchnern herrscht Herzkasper-Alarm. Zeit, auf die spannendsten Saisonfinals zurückzublicken.

Saison 1977/78 – Kölner Jubel trotz Gladbacher Torhagel

Die rheinischen Rivalen 1. FC Köln und Borussia Mönchengladbach liegen 1978 nach 33 Spieltagen punktgleich an der Spitze. Vor dem Finale am 29. April spricht dennoch alles für die von Hennes Weisweiler trainierten Kölner. Der FC hat eine um zehn Tore bessere Tordifferenz und muss bei Absteiger FC St. Pauli ran. Die Gladbacher empfangen im Düsseldorfer Rheinstadion die "andere" Borussia aus Dortmund, die unter Otto Rehhagel in der Bedeutungslosigkeit des Mittelfelds vor sich hindümpelt.

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Das Saisonfinale entwickelt dennoch eine ungeahnte Spannung, geht als Tor-Spektakel in die Geschichte ein. Die "Fohlen" um Berti Vogts und Jupp Heynckes trampeln gnadenlos über völlig indisponierte Dortmunder hinweg. Zur Pause steht es 6:0, die Hälfte des Kölner Torvorsprungs ist weg (der FC führt zur Halbzeit nur 1:0 auf St.Pauli). Nach Wiederanpfiff geht der Torhagel gegen Rehhagels schwarzgelbe Tagesluschen weiter – nach 90 Minuten prangt ein unfassbares 12:0, bis heute der höchste Sieg der Bundesliga-Historie. Trotz der Show guckt Gladbach in die Röhre. Köln legt im hohen Norden einen Zahn zu, gewinnt 5:0 und rettet einen Drei-Tore-Vorsprung ins Ziel.

Saison 1991/92 – "Lebbe geht weider"

Eines der viel zu inflationär verwendeten Wörter im Sportjournalismus ist "unglaublich". Was sich beim Saisonfinale 1992 abspielt, ist jedoch genau das. Eintracht Frankfurt, der VfB Stuttgart und Borussia Dortmund haben am 38. Spieltag (die Liga war nach der Widervereinigung auf 20 Teams aufgestockt worden) allesamt 54:20 Punkte auf ihren Konten. Das beste Blatt hat Frankfurt: Die Mannschaft von Dragoslav Stepanovic (+36) hat gegenüber Stuttgart (+29) das klar bessere Torverhältnis, Dortmund (+18) eigentlich nur noch eine Außenseiterchance. Und doch sieht es beim Finale lange nach der schwarzgelben Überraschung aus. Der BVB geht in Duisburg früh in Führung, Frankfurt plagt sich bei Hansa Rostock, Stuttgart in Leverkusen – bei beiden Spielen steht es bis in die Schlussphase 1:1.

In den letzten zehn Minuten überschlagen sich die Ereignisse. Beim Spiel in Rostock wird der vermeintliche Sieg- und Meistertreffer der Eintracht zurückgepfiffen, in Leverkusen meckert sich "Motzki" Matthias Sammer vom Feld, beschert dem VfB Unterzahl. Und es wird noch wilder: Frankfurts Edgar Schmidt trifft in Rostock den Pfosten, Stuttgarts Manfred Kastl statt in selbigen auch nur Aluminium. Der VfB rennt weiter an: Ludwig Kögl flankt, Guido Buchwald schraubt sich in die Luft, köpft die Kugel in der 86. Minute in die Maschen und trifft den von Ottmar Hitzfeld trainierten BVB mitten ins Herz. Alles sieht nach Schwabenstreich aus, da spitzt sich das Frankfurter Drama im Osten auf unerhörte Weise zu. Ralf Weber wird im Hansa-Strafraum eindeutig regelwidrig zu Fall gebracht, die Pfeife von Schiri Alfons Berg bleibt stumm. Statt Elfer und Meisterschaft kassiert die Eintracht im Gegenzug das 1:2 – Stuttgart bejubelt seinen vierten Meistertitel, Frankfurt spuckt Gift und Galle. Nur Stepanovic bleibt ruhig. "Lebbe geht weider", sagt "Steppi". Punkt.

Saison 1994/95 – Bayern versaut König Ottos dritte Bremer Krönung

In der Saison 1994/95 liefern sich Werder Bremen und Borussia Dortmund ein packendes Duell um die Schale. Otto Rehhagels Werderaner liegen vor dem letzten Spieltag ein Pünktchen vor der Hitzfeld-Elf aus Dortmund. Der SVW muss allerdings noch beim großen FC Bayern ran, während der BVB im Westfalenstadion den in dieser Saison farblosen Hamburger SV empfängt. Pikant: Es ist Rehhagels letztes Spiel als Bremer Trainer, der an der Weser als "König Otto" verehrte Fußball-Lehrer wechselt ausgerechnet zu den Bayern. Im Olympiastadion vermasseln seine künftigen Spieler Rehhagel die dritte Meisterschaft mit Werder (nach 1987/88 und 1992/93). Bremen geht mit 1:3 baden. In Dortmund bringt Andreas Möller den BVB dagegen per Zauberfreistoß auf Kurs, am Ende heißt es 2:0. Der schwarzgelbe Teil des Potts explodiert, Dortmund ist zum ersten Mal seit 1957 wieder Meister.

Saison 1999/2000 – Bayer Leverkusens Waterloo in Unterhaching

Unterhaching – ein Vorort von München ist im Jahr 2000 Schauplatz der bittersten Stunde Bayer Leverkusens. Dabei sieht vor dem letzten Spieltag der Saison alles nach dem ersten Leverkusener Meistertitel aus. Die "Werkself" von Trainer-Guru Christoph Daum fährt mit drei Punkten Vorsprung auf die Bayern in den Süden, ein Punkt bei der Spielvereinigung reicht. Die Münchner empfangen ein paar Kilometer weiter Werder Bremen – und hoffen auf ein Fußball-Wunder. Im Falle einer Bayer-Pleite würde das bessere Torverhältnis das Hitzfeld-Team bei einem Sieg über Werder zum Meister machen.

Leverkusen agiert im Unterhachinger Sportpark wie von Angst befallen, Michael Ballack leitet das Unheil mit einem Eigentor nach 20 Minuten ein. Die Bayern spielen sich derweil in einen Rausch, führen zur Pause schon 3:1 – und können kaum glauben, was sie aus "Haching" hören. Nach der Pause verwaltet der FCB seine Führung, während es Leverkusen nicht gelingt, sich aufzuraffen. In der 72. Minute kassiert Bayer das 0:2 und stürzt ins Tal der Tränen.

Saison 2000/2001 – Meister der Herzen ist nicht gleich Meister

In Sachen Dramatik ist im Jahr 2001 schon der 33. Spieltag kaum zu toppen. Tabellenführer Schalke 04 (vor Anpfiff bei 59 Punkten) würgt sich in Stuttgart zu einem scheinbar wertvollen 0:0, weil Verfolger Bayern München (59 Zähler vor Anpfiff, aber schlechtere Torbilanz) zu Hause gegen Kaiserslautern auch nur ein 1:1 gebacken bekommt. Doch dann schlägt die 90. Minute, das Meisterblatt wendet sich binnen weniger Sekunden. Krassimir Balakow schießt die "Königsblauen" ab, Hitzfeld-Joker Alexander Zickler knallt die Bayern per Volleyhammer zum Sieg. Den Münchner reicht am letzten Spieltag somit ein Punkt beim HSV zum dritten Titel in Folge, S04 muss im heimischen Parkstadion gegen die als Absteiger feststehende SpVgg Unterhaching zwingend gewinnen.

Zunächst schaut es so aus, als spielen die Hachinger für ihren großen Nachbarn wieder Edelhelfer. 2:0 und 3:2 geht die Truppe von Lorenz-Günther Köstner in Führung, ehe sich Huub Stevens' "Knappen" am Riemen reißen, die Partie drehen und mit 5:3 gewinnen. Schluss auf Schalke. Ideenlose Bayern halten im Hamburger Volkspark derweil das titelbringende 0:0, sehnen den Abpfiff herbei – und werden wie die Schalker am Spieltag zuvor in Minute 90 knallhart bestraft. Per Kopf versetzt Sergej Barbarez den Münchnern den Meister-K.-o. So scheint es, so kommt es auf Schalke an, wo auf einmal alle Dämme brechen.

Ein Fernseh-Reporter bestätigt den Schalkern fälschlicherweise, in Hamburg sei Schluss, S04 habe die Schale sicher. Manager Rudi Assauer jubelt wie zehntausend andere in Blau-Weiß. Doch dann kapieren sie in Gelsenkirchen, dass das Bayern-Spiel sehr wohl noch läuft, starren gebannt auf die Großleinwand im Parkstadion. Was sie sehen, können die Schalker bis heute nicht glauben: Wie Bayern-Torwart Oliver Kahn ("weiter, immer weiter!") seine Mannen nach vorne brüllt. Wie HSV-Schlussmann Matthias Schober (eine Schalke-Leihgabe) einen angeblichen Rückpass mit der Hand aufnimmt und Schiri Markus Merk indirekten Freistoß pfeift. Wie der Schwede Patrick Andersson die Pille irgendwie durch die vielen Hamburger Mauerbeine ins Netz hämmert. Wie am Ende doch wieder die Bayern jubeln, Kahn die Schale in den Himmel reckt und ruft: "Da ist das Ding!" Schalke ist nur Vier-Minuten-Meister. Meister der Herzen zwar – aber mehr halt nicht.