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"Unser Volk ist nicht dumm": Staatsmedien dürfen über Fehler im Krieg berichten

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Ein ganz neues Gefühl: Wladimir Putin muss sich angeblich im Staatsfernsehen kritisieren lassen.

(Foto: picture alliance / ZUMAPRESS.com)

Lange scheint öffentliche Kritik an Putin in Russland unvorstellbar. Doch ausgerechnet am Geburtstag des russischen Präsidenten erlaubt der Kreml dem Staatsfernsehen, kritisch über Fehler im Krieg zu berichten. Die Lage sei so schlecht, dass man nicht weiter lügen könne, heißt es in einem Bericht.

Da seine Truppen fast täglich an Boden verlieren, weist der Kreml einem Medienbericht zufolge einige seiner staatlichen Medien an, manche Fehler des Einmarsches von Präsident Wladimir Putin in der Ukraine zuzugeben. Der Kreml befürchtet, seine unermüdlich optimistische Propaganda könne öffentliche Zweifel schüren, schreibt unter anderem das Nachrichtenportal "Bloomberg".

Nachdem monatelang praktisch nur über Erfolge auf dem Schlachtfeld berichtet wurde, habe das staatliche Fernsehen in letzter Zeit Rückzüge und Niederlagen Russlands vermeldet - ohne die übliche positive Darstellung des Verteidigungsministeriums. "Wir müssen aufhören zu lügen", sagte etwa Andrej Kartapolow, ein ehemaliger General, der jetzt den Verteidigungsausschuss im Unterhaus des Parlaments leitet, diese Woche in einer beliebten Online-Talkshow. "Unser Volk ist nicht dumm."

Fragen an Putin oder seine Entscheidung, in die Ukraine einzumarschieren, seien hingegen nicht gestattet, heißt es in dem Bericht. Da es derzeit nicht danach aussieht, dass die russische Armee der ukrainischen Gegenoffensive in naher Zukunft etwas entgegenzusetzen hat, hoffe man durch die Berichterstattung auf wachsende Unterstützung in der Bevölkerung.

Rechtfertigung für willkürliche Angriffe?

Der neue Ansatz spiegelt sich auch auf höchster Ebene wider. Der Präsident habe seit dem Frühsommer mindestens zwei Treffen hinter verschlossenen Türen mit einer kleinen Gruppe russischer Militärkorrespondenten abgehalten, darunter eines kurz vor der plötzlichen Entscheidung im vergangenen Monat, die Einberufung von 300.000 Reservisten anzuordnen, so die mit der Situation vertrauten Personen.

Die plötzlich aufflammende Kritik im Staatsfernsehen an dem militärischen Vorgehen im Krieg könnte eine Rechtfertigung für Aufrufe der russischen Elite nach willkürlicheren Angriffen auf ukrainische Städte und Infrastruktur liefern, sagte Tatiana Stanovaya, Gründerin der Forschungsgruppe R.Politik. "In der herrschenden Klasse gibt es eine große Debatte darüber, wie man diesen Krieg gewinnt, jetzt wo die Armee gezeigt hat, dass sie dazu nicht in der Lage ist", sagte sie. "Es gibt eine Jagd nach den Verantwortlichen und Bemühungen, Putin dazu zu bringen, nach anderen Lösungen zu suchen."

Bei ihrem letzten Treffen mit Putin zeichneten die Kriegsberichterstatter, die für ihre nationalistischen Ansichten und ihre Skepsis gegenüber den Militärs bekannt sind, offenbar ein düsteres Bild der Lage an der Front. In nur wenigen Wochen seien die ukrainischen Streitkräfte in große Landstriche eingedrungen, um deren Besetzung russische Truppen Monate gekämpft hätten. Einige fragten sich deshalb, ob Putin bei seinen offiziellen Briefings einen vollständigen Bericht über die tatsächliche Lage erhalten habe.