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Urteil zu Sozialkriterien: Rentennähe darf bei Kündigungen eine Rolle spielen

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Die Arbeitsrichter bewerteten die rentennähe als Kriterium für betriebsbedingte Kündigungen.

(Foto: picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild)

In einem Unternehmen werden Dutzende Beschäftigte gekündigt. Unter ihnen ist eine Frau, die innerhalb der nächsten zwei Jahre in Rente gehen wird. Dies rechtfertigt nach Ansicht des Insolvenzverwalters, die Mitarbeiterin auf die Auswahlliste für Kündigungen zu setzen. Sie wehrt sich und zieht bis vors höchste deutsche Arbeitsgericht.

Arbeitnehmer, bei denen der Renteneintritt nicht mehr weit entfernt ist, können bei betriebsbedingten Kündigungen als Folge von Firmenpleiten schlechte Karten haben. Bei der sozialen Auswahl sei neben anderen Kriterien auch die Rentennähe zu berücksichtigen, entschied das Bundesarbeitsgericht in Erfurt (6 AZR 31/22). "Bei der Gewichtung des Lebensalters kann hierbei zu Lasten des Arbeitnehmers berücksichtigt werden, dass er bereits eine (vorgezogene) Rente wegen Alters abschlagsfrei bezieht", erklärten die höchsten deutschen Arbeitsrichter in einem Fall aus Nordrhein-Westfalen.

Das gelte auch, "wenn der Arbeitnehmer rentennah ist, weil er eine solche abschlagsfreie Rente oder die Regelaltersrente spätestens innerhalb von zwei Jahren nach dem in Aussicht genommenen Ende des Arbeitsverhältnisses beziehen kann", erklärten die Richter. Lediglich eine Altersrente für schwerbehinderte Menschen dürfe nicht berücksichtigt werden.

Im Streitfall ging es um Massenentlassungen bei einem Stahlunternehmen in Nordrhein-Westfalen. Wegen Insolvenz wurde der Betrieb 2020 heruntergefahren und dann Ende Mai 2021 stillgelegt. Zunächst wurden 61 der 396 Beschäftigten entlassen. Laut Gesetz sind bei einer solchen Auswahl soziale Kriterien zu berücksichtigen. Wenn es einen Betriebsrat gibt, trifft dieser mit dem Arbeitgeber die Auswahl.

Richter in Vorinstanzen unentschieden

Auf der Auswahlliste stand auch der Name der Klägerin. Mit ihrer Klage verwies sie auf ihr Alter von damals 63 Jahren. Ein nicht gekündigter Kollege sei viel jünger und zudem bei Weitem nicht so lange in dem Betrieb beschäftigt gewesen. Der Insolvenzverwalter hielt die Auswahl dennoch für gerechtfertigt. Denn die Klägerin habe als einzige die Möglichkeit gehabt, bereits ab Dezember 2020 eine abschlagsfreie Rente für langjährig Versicherte zu beziehen.

In den ersten beiden Gerichtsinstanzen hatte die Frau mit ihrer Kündigungsschutzklage noch Erfolg. Die Bundesrichter erklärten das Auswahlkriterium Lebensalter für ambivalent. Die soziale Schutzbedürftigkeit nehme wegen schlechterer Arbeitsmarktchancen mit steigendem Lebensalter zu. Sie sinke aber wieder, wenn Arbeitnehmer spätestens innerhalb von zwei Jahren nach dem Ende des Arbeitsverhältnisses über ein Ersatzeinkommen in Form einer abschlagsfreien Rente verfügen könnten, erklärten sie. Die Betriebsparteien hätten bei einer Sozialauswahl somit einen Wertungsspielraum.