In einer dramatischen Wende hat der US-Kongress einen Regierungsstillstand abgewendet. Das Ergebnis aber bringt die Ukraine in Gefahr und setzt Deutschland unter Zugzwang.
Bastian Brauns berichtet aus Washington
Kurz vor Mitternacht gab es in Washington zwei Gewissheiten: Der sogenannte "Government Shutdown", also die Stilllegung der Bundesverwaltung, ist für die kommenden 45 Tage abgewendet. Aber die Ukraine bekommt in ihrem Überlebenskampf gegen Russland vorerst keine milliardenschweren Finanzhilfen mehr.
Weckruf für den Rest der Welt
Die Alarmglocken dürften damit von Washington, über Berlin bis nach Kiew schrillen. Und auch in Moskau und Peking wird man das amerikanische Geschehen mit Interesse verfolgen. Denn mit einem Mal wird Realität, wovor seit Monaten gewarnt wird: Die USA können als wichtigster militärischer und finanzieller Unterstützer der Allianz für die Ukraine und gegen Russland über Nacht ausfallen. Für das Land, das sich seit inzwischen 19 Monaten gegen einen völkerrechtswidrigen Vernichtungskrieg wehrt, wird damit endgültig zum Opfer der amerikanischen Innenpolitik.
Als der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj vergangene Woche als Gast vor den US-Senatoren sprach, machte er sein Anliegen überdeutlich: "Wenn wir die Hilfen nicht erhalten, dann werden wir den Krieg verlieren", flehte er laut dem demokratischen Mehrheitsführer im Senat, Chuck Schumer. Nach der erfolgten Abstimmung sagte ausgerechnet Schumer nun: "Das ist eine sehr gute Nacht. Die Bundesbehörden bleiben offen. Wir haben es geschafft."
Wie konnte das geschehen und was bedeutet diese dramatische Wende für die Ukraine, aber auch für Deutschland und die übrigen Verbündeten?
Erpressungspotenzial im Kongress
Das demokratische System der USA macht es derzeit möglich, dass eine kleine Gruppe von rund 20 radikalen Republikanern eine Verabschiedung des Haushalts und damit nicht nur die Ukraine-Hilfen, sondern jegliche Finanzierung für die Arbeit der Biden-Regierung blockieren können. Denn die Republikaner haben im Repräsentantenhaus nur eine hauchdünne Mehrheit. Und das bedeutet, dass der Sprecher, Kevin McCarthy, andauernd in Gefahr ist, von den eigenen Leuten gestürzt zu werden, wenn er ihren Willen nicht erfüllt.
Die Demokraten hatten das vorgesehene Geld für die Ukraine stets in das zur Abstimmung gestellte Haushaltspaket geschrieben. Das bedeutet: Repräsentantenhaus und Senat haben bislang nicht gesondert über die Ukraine-Hilfen abgestimmt, sondern schlicht den Haushalt verabschiedet. Dieses Mal aber ist dieses Manöver nicht gelungen. Kevin McCarthy wollte wegen des Drucks in seiner Fraktion dem Haushalt nicht zustimmten und hätte eher den besagten "Government Shutdown" riskiert.
Das hätte bedeutet, dass Millionen von Amerikanern, die für die Bundesbehörden überall im Land arbeiten, kein Gehalt mehr ausbezahlt bekommen hätten. Ein unabsehbar langer Streit wäre darum entbrannt, wer die politische Verantwortung dafür trägt. Ein Jahr vor den nächsten Präsidentschaftswahlen bedeutet eine solche Diskussion ein heikles Pokerspiel, bei dem sowohl Republikaner als auch Demokraten empfindlich an Zustimmung verlieren könnten.
Ein letzter Schachzug von Kevin McCarthy
Schließlich legte Kevin McCarthy einen Gesetzesentwurf für einen 45-tägigen Übergangshaushalt vor, bei dem die Finanzhilfen für die Ukraine herausgestrichen wurden. Damit brachte er zwar nicht die Radikalen in seiner Fraktion auf seine Seite. Aber auf diese Weise konnte er die Demokraten politisch erpressen.
Hätten sie mit ihren Stimmen McCarthys Kompromiss-Haushaltsentwurf im Repräsentantenhaus oder im Senat scheitern lassen, wäre es um Mitternacht zum "Government Shutdown" gekommen. Die Demokraten hätten plötzlich als Blockierer ausgesehen, die das Wohl von Ukrainern über das Wohl von US-Amerikanern stellen würden.