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Völkerrecht und Kriegsrhetorik: Machen Panzer und Sprüche ein Land zur Kriegspartei?

Kritiker der westlichen Waffenlieferungen an die Ukraine sehen die NATO auf dem Weg, Kriegspartei zu werden. Putin stellt seinen Krieg ohnehin als Verteidigung gegen den Westen dar. Völkerrechtlich ist beides falsch.

Nicht nur eine Äußerung von Bundesaußenministerin Annalena Baerbock in der vergangenen Woche beim Europarat in Straßburg, vor allem die anhaltende Diskussion um weitere Waffenlieferungen an die Ukraine haben eine alte Frage wieder auf die Tagesordnung gehoben: Wann ist ein Land Kriegspartei?

Die Frage hat eine politische und eine völkerrechtliche Ebene. Völkerrechtlich ist die Sache kompliziert, unterm Strich jedoch klar: "Das Völkerrecht erlaubt den westlichen Staaten und damit auch Deutschland, der Ukraine alles zu liefern, um sie verteidigungsfähig zu halten", sagt der Völkerrechtler Matthias Herdegen im Interview mit ntv. "Ob das nun Wäsche ist, Munition oder auch Kampfpanzer, spielt gar keine Rolle." Durch Waffenlieferungen werde ein Land nicht Kriegspartei, sondern erst dann, wenn es "mit eigenen Soldaten, mit eigenen Streitkräften unmittelbar in den Konflikt" eingreift, so der Direktor des Instituts für Völkerrecht der Universität Bonn.

Klar kodifiziert ist das allerdings nicht. Schon die Vorstellung einer förmlichen Kriegserklärung kommt aus einer Zeit, in der Krieg als bloße Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln gesehen wurde, wie es in dem berühmten Zitat des preußischen Heeresreformers Carl von Clausewitz heißt. Zumindest völkerrechtlich gilt das so nicht mehr: Die Charta der Vereinten Nationen erklärt Angriffskriege für illegal. Staaten neigen seither dazu, Kriege nicht mehr förmlich zu erklären, denn damit würden sie sich offenkundig ins Unrecht setzen. Das dürfte auch ein Grund sein, warum Russland seinen Überfall auf die Ukraine bis heute nur als "Spezialoperation" bezeichnet.

Es kommt nicht mehr auf den Willen an, sondern auf die Gewalt

Baerbock dagegen hat - mutmaßlich unbedacht - von einer Kriegsbeteiligung gesprochen. "Wir kämpfen einen Krieg gegen Russland und nicht gegeneinander", sagte sie bei der Parlamentarischen Versammlung des Europarats in Straßburg. Auch wenn das erkennbar als Appell an die europäische Geschlossenheit gemeint war, so erregte der erste Teil des Satzes deutlich mehr Aufmerksamkeit. Kriegs- oder Konfliktpartei ist Deutschland allerdings auch dadurch nicht geworden - nicht einmal dann, wenn Baerbock ihren Satz wörtlich gemeint hätte. Um Kriegspartei zu werden, komme es heute "nicht mehr auf den subjektiven Willen der Staaten zum Krieg, sondern ausschließlich auf den objektiven Tatbestand des internationalen bewaffneten Konflikts an", schrieb der Völkerrechtler Stefan Talmon schon vor Monaten im Verfassungsblog. "Ein solcher liegt vor, sobald ein Staat gegen einen anderen Staat Waffengewalt einsetzt."

Völkerrechtlich erlaubt wäre theoretisch sogar ein direktes militärisches Beistehen der Ukraine, denn die UN-Charta betont ausdrücklich "das naturgegebene Recht zur individuellen oder kollektiven Selbstverteidigung". Unter kollektiver Selbstverteidigung wäre auch die Entsendung von Truppen gemeint, solange sie nur der Verteidigung der Ukraine dienten. Die NATO hat dies allerdings von Anfang an klar ausgeschlossen, um den Krieg nicht über das Territorium der Ukraine hinaus eskalieren zu lassen.

Auch US-Präsident Joe Biden hat mehrfach gesagt, dass die USA keine Truppen schicken werden. Als er am vergangenen Mittwoch die Entsendung von Kampfpanzern erläuterte, betonte Biden ausdrücklich, dies sei "keine offensive Bedrohung für Russland". Denn: "Wenn die russischen Truppen nach Russland zurückkehren würden, wären sie dort, wo sie hingehören, und dieser Krieg wäre heute vorbei."

Russland sieht NATO längst als Kriegspartei

Das Schreckensbild eines direkten westlichen Einstiegs in den Krieg wird dennoch immer wieder bemüht, um die Diskussion rhetorisch zu eskalieren, aus ganz unterschiedlichen Motiven. Das gilt vor allem für die Russlandfreunde bei AfD und Linkspartei, aber nicht nur. "Dieselben, die heute Alleingänge mit schweren Kampfpanzern fordern, werden morgen nach Flugzeugen oder Truppen schreien", sagte SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich. Das war, bevor die Entscheidung für die Lieferung von Leoparden fiel. Allerdings ging es hier, anders als bei AfD und Linken, nicht darum, Waffenlieferungen komplett zu verhindern, sondern eher darum, die Kanzler-Kritiker bei FDP und Grünen zu diskreditieren. Ähnlich fragte der SPD-Außenpolitiker Ralf Stegner, was nach Kampfpanzern komme. "Kommen dann als nächstes Kampfflugzeuge oder Kampfschiffe, reden wir irgendwann über Truppen?"

Als die Entscheidung bekannt wurde, dass Deutschland der Ukraine Kampfpanzer liefern werde, betonte Bundeskanzler Olaf Scholz wie Biden, dass ein Eintritt in den Krieg damit nicht verbunden ist. "Nein, auf keinen Fall", sagte Scholz im ZDF auf eine entsprechende Frage. "Es darf keinen Krieg zwischen Russland und der NATO geben."

Das sieht Russland naturgemäß anders - zumindest gibt die russische Regierung vor, es anders zu sehen. Aus ihrer Sicht ist die gesamte NATO längst Kriegspartei. Was in der Ukraine passiere, sei kein hybrider Krieg mehr, sondern ein richtiger Krieg, verkündete der russische Außenminister Sergej Lawrow vor einer Woche in Südafrika - wobei Lawrow nicht den eigenen Vernichtungskrieg Russlands gegen die Ukraine meinte, sondern den angeblichen Versuch des Westens, "alles Russische in der Ukraine zu zerstören".

Putin bastelt Propaganda unabhängig von Realität

Für Putin ist die "Spezialoperation" ohnehin ein Kampf gegen die NATO, natürlich rein defensiv. "Ziel des Westens ist es, unser Land zu schwächen, seine Einheit zu torpedieren und es in letzter Konsequenz zu zerstören", behauptete der russische Machthaber in seiner Mobilmachungsrede im September. Die russische Armee stehe in der Ukraine nicht nur "neonazistischen Einheiten" gegenüber, "sondern faktisch der gesamten Militärmaschine des kollektiven Westens". Kaum eine Putin-Rede kommt ohne solche Vorwürfe aus.

Putins Sprecher Dmitri Peskow betonte denn auch, dass die Panzerlieferungen aus Sicht des Kremls eine "direkte Beteiligung am Konflikt" seien. Das behauptete auch Nikolai Patruschew, der Sekretär des Nationalen Sicherheitsrates. "Der Verlauf der speziellen Militäroperation in der Ukraine zeigt, dass die USA und die NATO sich weiterhin bemühen wollen, diesen militärischen Konflikt in die Länge zu ziehen, und dass sie zu dessen Teilnehmern geworden sind", sagte der Putin-Vertraute.

Um das russische Narrativ einer Kriegsbeteiligung der NATO am Leben zu halten, braucht Moskau weder Kampfpanzer noch verrutschte Zitate westlicher Politikerinnen. Putin und sein Apparat basteln sich ihre Propaganda unabhängig von der Realität. Ob Deutschland oder andere NATO-Staaten in deren Weltbild Kriegspartei werden, hängt also nur bedingt von Fakten ab.