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Wirkt grüne Viehhaltung Wunder?: "Wir brauchen mehr Menschen, die Rindfleisch essen"

Wirkt grüne Viehhaltung Wunder? "Wir brauchen mehr Menschen, die Rindfleisch essen"

Die globale Methan-Konzentration in der Atmosphäre ist 2021 stärker gestiegen als jemals zuvor. Als einer der größten Verursacher gilt die Landwirtschaft. Vor allem in der Rinderzucht wird Methan - nach Kohlenstoffdioxid (CO2) das zweitwichtigste Klimagas - ausgestoßen. Für Ulrich Mück, Agraringenieur und Berater für nachhaltige Landwirtschaft, eine einseitige Betrachtungsweise: "Rinder scheiden bereits seit 30 Millionen Jahren Methan aus", betont er im "Klima-Labor" von ntv - und zwar ohne dass neue Quellen dazugekommen wären, wie er erzählt. Außerdem würden die positiven Eigenschaften von Wiederkäuern ignoriert: "Rinder spielen eine ungeheuer wichtige Rolle für Biodiversität und für Kohlenstoff-Einbindung", sagt der Vieh-Experte. Deshalb weise nachhaltig bewirtschaftetes Grünland auch einen bis zu fünf Mal höheren Kohlenstoffgehalt auf als ein durchschnittlicher Acker - von dem sich Vegetarier und Veganer ernähren. Mücks Tipp? Andere sollten deren Rindfleischanteil am besten mitessen - und gleichzeitig Schweinefleisch und Geflügel meiden.

ntv.de: Sind Vegetarier klimafreundlicher als Menschen, die Fleisch essen?

Ulrich Mück: Das ist eine schwierige Frage, denn sie fokussiert so ungeheuer auf das Thema Fleisch und Rindfleisch. So sollte man das in einem "Lebenszusammenhang Erde" eigentlich nicht machen. Man muss auf das große Ganze hinschauen, um dann zu sagen: Welche Rolle spielen Rinder eigentlich fürs Klima, aber auch darüber hinaus?

Aber Menschen suchen ja immer nach der einfachen Lösung. Und die lautet auch der führenden Wissenschaft zufolge: Wenn sich die Menschheit klimafreundlicher ernähren will, verzichtet man am besten weitestgehend auf Rindfleisch. Würden Sie dem widersprechen?

In Bezug auf Rindfleisch ja. Wir brauchen mehr Menschen, die Rindfleisch essen. Nur so können wir das Klima erhalten und insbesondere den Kohlenstoff dort einbinden, wo er hingehört: ins Grünland der Erde.

Es essen nicht genug Menschen Rindfleisch?

Ja.

Viele werden jetzt wahrscheinlich hinterfragen, was sie in den letzten 10 oder 20 Jahren gehört und gelernt haben. Erläutern Sie bitte.

Wenn wir uns anschauen, welche landwirtschaftlichen Flächen der Erde die Menschen ernähren, haben wir mindestens zwei Drittel Grünland und ein Drittel Acker. Veganer müssen sich aus dem Acker ernähren, denn das Grünland wird von Pflanzenfressern und speziell Rindern in Fleisch und Milch umgewandelt. Die Grünlandfläche leistet den überwiegenden Anteil an der Ernährung der Menschen. Insofern muss man sagen, dass die Menschen ohne Fleischesser auf der Erde nicht ernährt werden könnten.

Dann sind Veganer also schlecht für die Umwelt?

Wo finde ich das Klima-Labor?

Das Klima-Labor finden Sie bei ntv und überall, wo es Podcasts gibt: Audio Now, Apple Podcasts, Amazon Music, Google Podcasts, Spotify, RSS-Feed

Das kann man so auch nicht sagen. Grundsätzlich ist jeder frei in seiner Ernährung. Aber wir brauchen in Bezug auf das Klima darüber hinaus einen Blick auf die Lebenszusammenhänge der Erde, um eine Grundorientierung der Ernährung zu erhalten. Die kann so aussehen, dass eine oder einer in der Familie wenig oder gar kein Fleisch isst und sagt: Iss du die doppelte Portion, damit wir eine nachhaltige Landwirtschaft auf der Erde umsetzen können.

In einer neuen Studie der Universität Oxford wurde untersucht, welche Lebensmittel wie klimafreundlich sind. Da schneiden Fleischprodukte, insbesondere Rindfleischprodukte, wie so oft mit am schlechtesten ab. Inwiefern kann Rindfleisch dann so gut für das Klima sein?

Das Problem der Oxford-Studie liegt darin, dass produktbezogene Durchschnittswerte ermittelt werden. Diese Einschätzungen von einzelnen Lebensmitteln haben ungeheuer breite Spannen. Ein einzelnes Produkt kann sowohl ungeheuer klimaschädlich als auch klimapositiv sein - je nachdem, wie viel fossile Energie in Produktion, Erfassung, Verarbeitung, Transport und Verpackung enthalten sind. Insofern sind Mittelwerte, die in vielen Studien veröffentlicht werden, eigentlich immer nur richtig für ein einzelnes Produkt. Aber mit diesem Ansatz kann man nicht den Warenkorb beurteilen, den die Erde als Ernährung anbietet.

Das Problem ist also die Betrachtung, nicht die Rinder?

Wir müssen klimaschonende oder klimaschädliche Ernährung flächenbezogen betrachten: Welche Flächen gibt es auf der Erde? Wofür eignen die sich? Nachhaltig wird Ernährung nur dann, wenn sich Menschen entlang dieser Flächen ernähren. Ein Einzelner kann dann natürlich für sich entscheiden, ich ernähre mich vegetarisch. Nur muss ganz deutlich sein: Für alle Menschen geht das nicht. Wir brauchen viele Esser von Rindfleisch auf der Erde. Ein wesentlicher Punkt, der bei Rindern noch dazukommt: Methangas spielt eine große Rolle. Die Klimawirkung von Methan wurde in Bezug auf die Rinder über viele Jahre falsch, also zu stark eingeschätzt.

Warum zu stark? Wir wissen doch, dass Methan eines der schädlichsten Klimagase ist. Es verbleibt nicht ganz so lange in der Atmosphäre wie CO2, aber es hat einen starken kurzfristigen Effekt bei der Erderwärmung.

Aber solange ein immer gleichbleibender Level von Methan ausgeschieden wird, der innerhalb eines Jahrzehnts weitgehend abgebaut wird, verliert es seine temperatursteigernde Klimaschädlichkeit. Jedenfalls, solange keine neuen Quellen dazukommen, was bei den Rindern nicht der Fall ist. Die scheiden bereits seit 30 Millionen Jahren Methan über ihr Verdauungssystem aus.

Aber durch die Massentierhaltung gibt es doch heute viel mehr Rinder auf der Erde.

Nicht in Deutschland und nicht in Bayern. Für Bayern kann ich dank einer großen Viehzählung im Bayerischen Königreich im Jahr 1873 sogar belegen, dass damals 22,7 Prozent mehr Kühe vorhanden waren als heute.

Weltweit hat sich die Zahl der Rinder aber schon erhöht, oder?

Möglicherweise. Ganz konkret kann ich nachvollziehen, dass sich die Zahl der Kühe in Bayern und Deutschland innerhalb des menschengemachten Klimawandels - das ist der Zeitraum seit etwa 1880 - nicht erhöht hat.

Aber beim Klimawandel müssen wir doch die gesamte Welt betrachten. Es hilft ja nichts, wenn es in einem Land weniger Kühe werden und dafür in 100 anderen mehr.

Die grundsätzliche Frage ist doch: Warum werden Rinder überhaupt in den menschengemachten Klimawandel mit einbezogen? Es gibt auch andere natürliche Methanproduzenten wie zum Beispiel Blattschneide-Ameisen, Termiten oder Wild-Wiederkäuer.

Weil wir Rinder als Nutztiere halten, Termiten aber nicht.

Dann müssen wir aber auch andere Aspekte betrachten wie zum Beispiel die Ernährungssicherheit, die nicht berücksichtigt wird. Rinder spielen eine ungeheuer wichtige Rolle für Biodiversität und für Kohlenstoff-Einbindung. 30 Millionen Jahre lang haben sie durch ihren Verbiss im Grünland die heimischen Pflanzen immer wieder angeregt, neue Wurzeln auszutreiben, während die alten den Kohlenstoff im Boden angereichert haben. Deshalb hat Grünland einen 1,2 bis 5 Mal höheren Kohlenstoffgehalt als ein durchschnittlicher Acker.

Das gilt doch aber auch nur für Rinder, die draußen auf der Weide herumlaufen dürfen und nicht für diejenigen, die irgendwo in einem riesigen Stall auf ein und derselben Stelle stehen.

Wenn Rinder mit Grünland gefüttert werden, sind sie klimaschonend und klimapositiv. Wenn sie, wie das in vielen konventionellen Tierhaltungen getan wird, hohe Anteile ihrer Rationen über Kraftfutter erhalten, nicht. Aber Grünland und Rinder sind eine naturgegebene, wunderbare Paarung. In dieser Form sind Rinder auch Verdauungswunder, die eine minderwertige, nicht für den Menschen verfügbare Biomasse in Lebensmittel umwandeln können.

Nehmen wir das Extrembeispiel Brasilien. Dort werden riesige Flächen gerodet, damit Rinder weiden können. Wie ordnen Sie dieses System ein?

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Feedlots werden vor allem in den USA betrieben. Die riesigen Fressplätze für Zehntausende Tiere haben einen einzigen Zweck: ...

(Foto: imago images/ZUMA Wire)

Solche Feedlots, wie man sie auch aus Mexiko oder den USA kennt, sollte man nicht unterstützen und solche Rinder sollte man nicht verzehren. Aber wir sind in Deutschland und haben Rindfleisch aus dem Ökolandbau und aus der Weidehaltung. Das ist eindeutig eine klimaschonende Ernährung, die man fördern sollte.

Okay, im besten Fall kein Rindfleisch aus Brasilien, Mexiko oder den USA, sondern nur Ökolandbau aus Deutschland. Und in welchen Mengen? Sie haben vorhin gesagt, es braucht mehr Menschen, die Rindfleisch essen.

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... Dort werden Rinder gemästet.

(Foto: picture alliance / Frank Duenzl)

Der Fleischverzehr in Deutschland ist ungeheuer groß und muss reduziert werden. Aber 83 Prozent des Schlachtgewichts sind Schwein und Huhn, nur 15 Prozent Rindfleisch. Fleischreduzierung also bitteschön bei den Tieren, die eigentlich systemische Lebensmittelverschwender sind. Denn deren Fleisch und deren Eier gehen daraus hervor, dass ungeheuer viele Lebensmittel verfüttert werden. Bei jeder Ration sind es etwa 80 Prozent. Das ist verschwenderisch.

Der Vorteil von Rindern und Kühen ist also, dass sie praktisch aus nichts beziehungsweise aus Dingen, die der menschliche Körper nicht verarbeiten kann, brauchbare Nahrungsmittel machen. Schweine und Hühner dagegen essen dasselbe wie der Mensch.

Ja, es sind Nahrungsmittelkonkurrenten. Das Rind - zumindest potenziell - nicht. Es kann aus 100 Prozent Gras 100 Prozent Lebensmittel in Form von Fleisch und Milch herstellen. Es gibt auch einen wissenschaftlichen Begriff dafür: Lebensmittelkonversionseffizienz. Dabei stellte man üblich Rationen und landwirtschaftliche Tierarten nebeneinander und hat Vergleiche, welche wie effizient aus Nicht-Lebensmitteln wie Gras oder auch Abfällen aus der Mühlenindustrie essbare Lebensmittel herstellen. Wenn Rinder mit etwa 10 Prozent Lebensmittelanteil und 90 Prozent Gras gefüttert werden und Schweine und Geflügel 50/50 mit Lebensmitteln und mit Futtermitteln, die aus der zweiten Verwertungsstufe der Lebensmittel stammen - Nachmehl aus der Mühle zum Beispiel -, zeigt sich, dass Rinder eine drei- bis viermal höhere Fähigkeit haben, aus Nicht-Lebensmitteln Lebensmittel herzustellen.

Außerdem brauchen wir Kühe unbedingt, um Kohlenstoff im Grünland zu erhalten und um weiteren Kohlenstoff einzubinden. Es ist etwa fünf Mal mehr Kohlenstoff im Dauergrünland der Erde enthalten als in allen Äckern der Welt.

Und wie konnte es dann passieren, dass ausgerechnet Kühe und Rinder zu Klimakillern erklärt wurden? Auch in vielen wissenschaftlichen Studien? Fehlt ihnen die Lobby?

Ein gewisses Lobbying spielt möglicherweise eine Rolle. Allerdings ist auch die Bilanzierung des Klimawandels gemäß IPCC, also des Weltklimarats, sehr ungeeignet, um übergreifende Aspekte entschlüsseln zu können. Es wird einfach nur nationalstaatlich auf Bilanzen geschaut. Einflüsse wie die Verfütterung von Importfuttermitteln an Schweine und Hühner bleiben außen vor und damit auch die CO2-Last, die im Ausland entstanden ist.

Aber die Leute beim IPCC sind ja nicht doof und sicherlich offen für Ihre Argumente. Das müsste man doch nachvollziehen und die Bilanzierung dann anpassen können.

Rinder haben über Jahrmillionen, auch in der Kulturgeschichte der Menschen, in so vielen Bereichen Positives bewirkt. Das ist mit dem sektoralen Blickwinkel eines Klimaforschers oder einer Physikerin nicht einzusehen. Aber seit zwei Jahrzehnten gibt es beim Rind nur noch den Fokus Klima, nichts anderes: Die Erhaltung von Grünland? Die Erhaltung von Kohlenstoff? Dafür sind Rinder Leittiere - auch bei der Biodiversifizierung vielfältiger Grünlandlandschaften über den Kuhfladen. Der ist ein Labsal für viele Insekten.

Hat das negative Konsequenzen? Sie sagen ja recht offen: Der Trend zum Veganismus und Vegetarismus führe in die falsche Richtung.

Ich sehe diesen Trend nicht positiv. Diese Menschen würde ich gerne dafür gewinnen, dass sie anderen sagen: Ich mag kein Rindfleisch, aber bitte iss du meinen Anteil mit. Das wäre gut für den Grundwarenkorb der Erde, der zwei Drittel Dauergrünland und ein Drittel Acker anbietet.

Sieht die ideale Ernährung dann so aus, dass man sich zu zwei Dritteln mit Produkten von Kühen oder Ziegen ernährt und zu einem Drittel von Gemüse, Getreide und Obst?

Nein. Wir brauchen keine Herbivoren, also rein vegane Esser. Wir brauchen auch keine Karnivoren, die ausschließlich Fleisch essen, und auch keine Omnivoren, die sowohl das eine als auch das andere essen. Stattdessen brauchen wir eine vierte Dimension des Ernährungsmenschen, nämlich den Locavoren. Diesen Begriff hat vor einigen Jahrzehnten Jessica Prentice geprägt, eine Ernährungs-Aktivistin aus den USA. Damit wird ein Mensch beschrieben, der sich vorwiegend von dem ernährt, was in seiner Umgebung wächst.

Womit wir wieder beim regionalen Ansatz sind.

Genau. Wenn ich in einer Region lebe, in der es viel Grünland gibt, sollte sich meine Ernährung vor allem aus Fleisch und Milch zusammensetzen, das von Grünland-Tieren stammt. In Regionen mit weniger Grünland kann der Anteil geringer sein. Das würde auch sehr viel weniger Transportenergie benötigen.

Aber das setzt natürlich voraus, dass Länder wie Brasilien ihre Rinderwirtschaft auch auf eine nachhaltige umstellen.

Das würde für viele Länder eine ganz andere Orientierung bedeuten. Das Erstaunliche ist, dass der Begriff der Nahrungssouveränität in der Entwicklungshilfe schon seit Jahrzehnten zentral ist: Jede Gesellschaft sollte in der Lage sein, den überwiegenden Anteil der eigenen Nahrungsmittel selbst herzustellen. Das sollten wir auch auf uns anwenden und sagen: Wir essen zuerst die Lebensmittel, die auf unseren heimischen Flächen entstehen. Für die Welt insgesamt wäre das ein sehr wichtiger politischer Ansatz.

Mit Ulrich Mück sprachen Clara Pfeffer und Christian Herrmann. Das Gespräch ist zur besseren Verständlichkeit gekürzt und geglättet worden.

Klima-Labor von ntv

Was hilft gegen den Klimawandel? "Klima-Labor "ist der ntv-Podcast, in dem Clara Pfeffer und Christian Herrmann Ideen und Behauptungen prüfen, die toll klingen, es aber selten sind. Klimaneutrale Unternehmen? Gelogen. Klimakiller Kuh? Irreführend. Aufforsten? Verschärft Probleme. CO2-Preise für Verbraucher? Unausweichlich. Windräder? Werden systematisch verhindert.

Das Klima-Labor - jeden Donnerstag eine halbe Stunde, die informiert und aufräumt. Bei ntv und überall, wo es Podcasts gibt: Audio Now, Apple Podcasts, Amazon Music, Google Podcasts, Spotify, RSS-Feed